Rechtsextremismus Wieso rechtsextreme Gewalt in Deutschland zunimmt

Die Zahl der rechtsextrem motivierten Gewalttaten in Deutschland steigt seit Jahren. Ist Gewalt inzwischen ein akzeptiertes Mittel, um Andersdenkende einzuschüchtern? Wir haben mit einem Experten darüber gesprochen.

Von: Maria Christoph

Stand: 17.03.2020 | Archiv

Springerstiefel vor Parkbank mit Basbeallschläger | Bild: picture-alliance/dpa

Als der Notruf bei der Polizei eingeht, wurde die 36-Jährige Münchnerin von den Männern bereits gewürgt und gegen den Kopf geschlagen. In ihrer eigenen Wohnung. Morgens um sieben. An ihre Zimmerwand sprayten die Täter einen Spruch, eine unmissverständliche Drohung, die in der rechtsextremen Szene als Code für Selbstjustiz gilt. Daneben einen Schlagring. Die Männer: vermutlich Neonazis. Sie hatten laut der Frau einfach geklingelt und sie hatte geöffnet. Die 36-Jährige hätte ein paar Tage später in einem Prozess gegen ein Mitglied der rechtsradikalen Szene wegen Körperverletzung aussagen sollen. Die besagte Gerichtsverhandlung musste wegen dem Vorfall vertagt werden. Mittlerweile ermittelt der Staatsschutz.

Ein Fall von vielen. Die Münchnerin ist nicht die Einzige, die Opfer vermutlich rechtsextrem motivierter Gewalt wurde. Erst im Februar starben in Hanau neun Menschen durch einen rassistisch motivierten Täter, der in Shisha-Bars und einem Kiosk bewusst auf Menschen mit Migrationshintergrund zielte.

Laut Verband der Opferberatungsstellen (VBRG) gab es 2018 insgesamt 1.212 Angriffe mit rechtsradikalem, rassistischem oder antisemitischem Beweggrund. Im Osten Deutschlands werden im Schnitt täglich fünf Menschen Opfer rechtsextrem motivierter Gewalt. Jeden Tag ist eine Frau davon betroffen, fast täglich auch ein Kind, so der Verband. Es gibt eine hohe Dunkelziffer, die Zahlen von Polizei und Opferschutzverbänden unterscheiden sich. Denn: Nicht jeder Angriff kommt zur Anzeige – auch aus Angst vor den meist männlichen Tätern.

Mit den Gründen dafür beschäftigt sich der Soziologe Axel Salheiser am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ). Er forscht zu rechtsextremen, fremdenfeindlichen und auch demokratiefeindlichen Einstellungen in der Bevölkerung.

PULS: Herr Salheiser, rechtsextrem motivierte Gewalt in Deutschland nimmt zu – woran liegt das?

Axel Salheiser: Einer der Gründe dafür ist die gestiegene Gewaltbereitschaft in der rechtsextremen Szene. Die Täter nutzen die Gewalt, um politische Ziele zu erreichen. Sie sind der Meinung, dass sie sich gegen Menschen mit einer anderen politischen Haltung wehren müssten. Vermeintliche Notwehr also. Gerade in den letzten Jahren scheint die Hemmschwelle bei den Täter*innen so stark gesunken zu sein, dass man keine Scheu hat, teilweise am helllichten Tag schwerste Straftaten zu verüben. Immer mit der Behauptung verbunden, dass man letzten Endes das Recht dazu hat.

Warum nimmt diese Scheu ab, "zur Tat zu schreiten"?

Häufig findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Nach dem Motto: Wir müssen uns verteidigen gegen sogenannte "Invasoren", gegen vermeintlich kriminelle Ausländer, Migrantengruppen, gegen die Islamisierung des Landes und das System, das diese unterstützt. Das Beunruhigende daran: Wir Soziologen beobachten diese sogenannte "Notwehr-Ideologie" nicht nur innerhalb der rechtsextremen Szene, sondern auch in neurechten Kreisen und innerhalb der Anhängerschaft der AfD.

Fühlen sich Gewalttäter*innen heute stärker legitimiert?

Ja, vor allem auch durch ihr soziales Umfeld und das Internet. Dort wird sich zu Straftaten gegenseitig hochgepusht und ermutigt. Die Foren, in denen das passiert, sind nicht immer geschlossen. Das passiert zunehmend auch öffentlich in Sozialen Medien wie auf Facebook. Vor allem jüngere Menschen berichten uns in Umfragen, dass sie eingeschüchtert werden, wenn sie eine kontroverse politische Meinung einnehmen. Das führt zum Verstummen - und letztlich dazu, was die Täter bewirken wollen: Einschüchterung. Das ist gefährlich.

Wie kann man Gewalt am besten vorbeugen?

Axel Salheiser vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft

Bei den Hassverbrechen handelt es sich immer auch um Botschaften. Die Demokratie als Ganzes soll angegriffen werden, die freiheitlich demokratische Grundordnung und Werte inklusive der Menschenwürde. Straftaten gegen Migrant*innen können staatsgefährdenden Charakter haben, sie stören den Frieden unserer Gesellschaft. Deswegen ist Demokratiebildung und Aufklärung super wichtig. Wir müssen demokratische Werte vermitteln - und Betroffene unterstützen. Aber auch ganz klar rote Linien aufzeigen: indem Chaträume eingeschränkt werden, eine bessere Überwachung von Kommunikation im Internet, wie sie vom Staat auch vorgeschlagen wird, kann helfen. Natürlich ohne Zensur. Klar, geht es dort auch um den freien Meinungsaustausch. Aber der muss eben auch ganz klaren demokratischen Regeln folgen.

Wieso weicht die Zahl der Polizei von Opfern rechtsextrem motivierter Gewalt häufig stark von der Zahl der Opferschutzverbände ab?

Das grundlegende Problem ist die Anerkennung der Tatmotive. Schon bei der polizeilichen Ermittlung. Das heißt konkret: Rassistisch motivierte Straftaten müssen überhaupt erst als solche erkannt werden. Leider ist das von Innenministerium zu Innenministerium der Bundesländer unterschiedlich. Erst vor ein paar Jahren gab es eine Änderung in der Strafprozessordnung, seitdem muss eine menschenfeindliche Motivation der Tat überhaupt erst festgehalten werden.

PULS am 17.03.2020 - ab 15.00 Uhr.