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Jesiden im Irak Diese junge Irakerin bekämpft den Mord an ihrem Volk

Rozin Khalil ist 2008 aus dem Irak geflohen. Freunde in der Heimat berichten ihr aber regelmäßig, was der IS vor allem jesidischen Frauen und Mädchen täglich antut. Im Interview erzählt sie, was ihre Petition bisher erreicht hat.

Stand: 13.08.2016 | Archiv

Portrait Rozin Khalil | Bild: Rozin Khalil

Wir hören fast jeden Tag vom Schrecken der Terrormiliz IS. Aber so richtig etwas darunter vorstellen können wir uns meistens nichts. Rozin Khalil dagegen schon. Die 18-Jährige kommt aus dem Irak, ist 2008 nach England geflohen. Von ihren Freunden aus der Heimat weiß sie aus erster Hand vom Völkermord, den der IS seit 2014 an der religiösen Minderheit der Jesiden verübt. Deshalb startete sie vor einem Jahr die Petition "Help the Yazidi women and girls kidnapped by ISIS". Darin fordert sie die britische Regierung auf, den jesidischen Frauen und Mädchen doch endlich zu helfen. Im Interview mit PULS erzählt Rozin, was jesidische Frauen und Mädchen im Norden des Irak täglich durchmachen müssen und was sie mit ihrer Petition bisher erreichen konnte.

PULS: Rozin, wieso hast du die Petition gestartet?

Rozin Khalil: Ich habe die Petition auf change.org gestartet, um die britische Regierung dazu zu bringen, den jesidischen Mädchen zu helfen. Besonders denen, die seit ihrer Gefangenschaft durch den IS stark traumatisiert sind. Ich habe mit ein paar Bekannten von zu Hause gesprochen und sie haben mir erzählt, dass die Mädchen dort dringend Hilfe brauchen. Sie sind zusammengetrieben in Flüchtlingscamps, auch Menschen aus meinem Heimatdorf. Und meine Freunde haben mir erzählt, was die Mädchen dort durchmachen. Deutschland hat den Jesiden bereits sehr geholfen und ich finde, Großbritannien sollte das Gleiche machen.

Wie ist denn die Situation der jesidischen Frauen und Mädchen aktuell im Irak?

Sie wurden in ihrer Zeit in Gefangenschaft vom IS gefoltert und vergewaltigt. Immer wieder und wieder. Jetzt hausen sie in Flüchtlingscamps, sie haben ihre Angehörigen verloren, ihre Eltern, ihre Väter, Brüder und Schwestern. Sie müssen so viel durchmachen und leben in ständiger Angst, wieder gefangen genommen zu werden.

Es ist jetzt ein Jahr her, seit du die Petition gestartet hast. Was ist seitdem passiert?

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Im November durfte ich den britischen Minister für internationale Entwicklungsarbeit treffen. Ich habe ihm erklärt, dass die Hilfe, die Großbritannien zugesagt hat, nicht bei den richtigen Leuten ankommt. Viele Länder glauben, sie helfen, aber es kommt einfach nicht bei den richtigen Menschen an. Er hat mir zugestimmt und mir versprochen, dass er es ändern wird. Aber bisher kann ich keine Verbesserung erkennen. Ich hoffe, dass sich jetzt durch die neue Ministerpräsidentin etwas ändert.

Mehr als 268.000 Menschen haben bisher deine Petition unterzeichnet. Hast du mit so viel Unterstützung gerechnet?

Ehrlich gesagt nicht. Aber diese Leute geben mir die Kraft weiterzumachen, ein 'Nein' als Antwort einfach nicht zu akzeptieren. Die jesidischen Mädchen brauchen Hilfe - und sie brauchen sie jetzt.

Warum machst du das? Du bist in England, du bist in Sicherheit. Warum kämpfst du für die Jesiden?

Zum einen: Es ist mein Volk. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, in ständiger Angst zu leben. Es ist sehr gefährlich für die jesidische Minderheit im Irak. Ich mache das aber nicht nur, weil ich selbst Jesidin bin. Ich mache das, weil das dort Menschen sind. Und ich glaube sehr stark an Menschlichkeit. Ich glaube, wir sollten alle zusammenhalten und diesen Mädchen helfen.

Du selbst bist 2008 - lange vor dem IS - aus dem Irak geflohen. Warum?

Der Irak hatte schon immer mit politischen Problemen zu kämpfen. Mein Vater kam 2002 nach England. 2007 gab es in meinem Heimatort dann einen Anschlag, bei dem 700 Menschen getötet wurden. Es war einer der größten Anschläge damals. Mein Vater rief an und sagte, es ist zu gefährlich für uns, im Irak zu bleiben. Jesiden sind wegen ihres Glaubens immer wieder das Ziel von Extremisten.

Und wie sieht deine Zukunft aus?

Ich werde ab September Jura, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit an der De Montfort Universität in Leicester studieren. So kann ich später Menschen helfen, die von Kriegen und Katastrophen betroffen sind. Ich hoffe zwar, dass sich bis zu meinem Abschluss in drei Jahren die Situation für die jesidischen Frauen und Mädchen im Irak geändert hat, aber wir haben auch nicht mit dem Genozid durch den Islamischen Staat gerechnet - es ist also nicht ausgeschlossen, dass es irgendwann einen weiteren gibt.


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