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Buch "ZAR ZIP FLY ZORO" "Graffiti muss nicht legalisiert werden, es braucht nur mehr Freiräume"

München ist die Stadt, in der Anfang der 1980er die ersten Graffiti Europas entstanden sind. Roman Häbler zeigt in einem neuen Buch die allerersten Graffiti der Stadt und erklärt, warum das für uns heute etwas schwer zu glauben ist.

Von: Ulrich Knapp

Stand: 21.09.2018 | Archiv

Erste Graffiti in München von Konrad Kittel | Bild: Konrad Kittel

Roman Häbler ist einer der Herausgeber von "ZAR ZIP FLY ZORO – die erste Schicht Graffiti in München". Zusammen mit seinen Kollegen Leonhard Rothmoser und Jonas Hirschmann gründete er den Verlag Klick Klack Publishing, dessen Publikationen sich tiefgehend mit dem Phänomen Graffiti auseinandersetzen. Für ihr neues Buch haben Roman und seine Kollegen die Geschichte des Graffiti erforscht – und die hat europaweit tatsächlich in München begonnen.

PULS: Das Buch von dir und deinen Kollegen hat den Titel "ZAR ZIP FLY ZORO". Woher kommt dieser Titel?

Roman Häbler: Das sind Beispiele für Buchstabenfolgen, die in den ersten Graffiti zu finden waren. Es sind Namen von Writern, die sie aber teilweise einfach mal benutzt haben, weil sie die Buchstaben spannend fanden. Oder weil sie den Namen so vielleicht in New Yorker Graffiti entdeckt haben und auch mal malen wollten. Ein eindeutiger Titel wäre uns für dieses Buch nicht kryptisch und rätselhaft genug gewesen. Zar Zip Fly Zoro erinnern vielleicht an Comichelden, aber eigentlich sind es kryptische Namen und das ist genau das, was zu der Zeit Anfang der 80er in München passierte. Diese Buchstabenfolgen stehen für den Moment, in dem die ersten Bilder auftauchten, die man noch gar nicht lesen und verorten konnte. Es ist der Beginn und hinter dem Zoro könnten noch ganz viele Namen folgen.

In dem Buch erzählt ihr, dass die Graffiti-Bewegung in Europa ursprünglich von München ausging. Das heißt also: Die ersten Graffiti kommen echt aus München? Das kann ich irgendwie nicht glauben.

Das lässt sich natürlich schwer empirisch oder statistisch nachweisen, aber ja, man sagt, dass die Graffiti-Bewegung in München begonnen hat. Zumindest deutschlandweit, europaweit gibt es noch andere Städte wie Paris oder Amsterdam, in denen es fast zeitgleich anfing. In den 70ern gab es die ersten spannenden Bewegungen, bei denen Menschen zum ersten Mal politische Sprüche oder lustige Figuren irgendwo hingemalt haben. Aber das richtige "Style-Writing" aus New York, also dass Leute Namen wählen, die verbreiten und einen Style entwickeln, das kam 1983 in München auf. Hier wurde auch die erste S-Bahn großflächig besprüht, die ging als Geltendorfer Zug in die Geschichte ein. Aus verschiedenen Gründen hat es sich in München ziemlich schnell und prominent entwickelt, sodass Ende der 1980er auch Sprüher aus New York, Paris oder Amsterdam nach München gekommen sind. Diesen Pionierstatus hat München heute immer noch.

München gilt ja als sehr saubere, vielleicht sogar zu saubere Stadt. Wie passt das zusammen?

Das ist eine spannende Frage, die uns auch sehr lange beschäftigt hat. Als ich jünger war, gab es ganz viele Orte in München, an denen Graffiti geduldet wurde, an denen sich die Szene getroffen und ausgetauscht hat und die man so abenteuermäßig erkunden konnte. Dass diese Plätze jetzt nach und nach abgerissen oder wieder illegal geworden sind, hat natürlich was mit stadtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen zu tun. Aber auch in den 80ern war in München schon viel Geld da. Das kann irgendwie nicht alles sein und solche Klischees und Diskurse über Städte muss man auch immer hinterfragen oder relativieren.

Graffiti von 1984

Warum es hier anfing, dafür gibt es keine Erklärung – nur ein paar Vermutungen. Es können auch immer mal Einzelpersonen sein, die sowas in die Hand nehmen und viele Leute anstecken. Gleichzeitig gab es in München noch viele Besetzungen durch Amis, die auch viel Break Dance und Rap-Musik nach München brachten. Und vielleicht führte auch das Schöne und Residenzielle dieser Kunststadt dazu, dass Jugendliche, die von den 70er Jahren von Olympia, Otl Aicher (bedeutender deutscher Grafikdesigner, der unter anderem das Gesamtdesign der Olympischen Spiele 1972 in München definierte, Anm. d. Red.) und von vielen visuellen Dingen unterbewusst geprägt waren, dass die das irgendwie aufsaugten und wieder raushauen konnten. Vielleicht hatten Jugendliche in anderen Städten in den 80ern diesen Input einfach nicht. Es kann aber auch sein, dass einfach die richtigen Leute zur richtigen Zeit die richtigen Orte hatten. Und dann war es vielleicht einfach nur Glück, dass es München war.

In eurem Buch zeigt ihr viele Graffiti aus München. Teilweise sind die schon Jahrzehnte alt. Wie seid ihr an die Bilder gekommen?

Wir haben nach den Bildern gar nicht wirklich gesucht. Während der Recherche zu einer anderen Publikation hatten wir Kontakt mit dem mittlerweile leider verstorbenen Konrad Kittel aufgenommen. Der war Anwalt und hat in den 80er Jahren die allersten Münchner Sprüher verteidigt. Mit seinem Kollegen Peter Kreuzer hat er später die europäische Graffiti Union gegründet, die sich für legale Aufträge und die Legalisierung von Wänden in der Stadt stark gemacht hat. Als ich ihn angerufen hab, hat er sich gefreut, weil ihn seit 20 Jahren keiner mehr auf das Thema angesprochen habe. Er war erst ein bisschen verdutzt, hat uns dann aber zu sich eingeladen. Und auf einmal lagen da diese ganzen Fotoalben, von denen wir gar nichts wussten. Und wir waren noch überraschter, als wir merkten, dass das nicht nur die Bilder waren, die wir schon kannten aus den Publikationen, die es schon über die Münchner Oldschool-Zeit gab, sondern Bilder aus der Zeit davor. Die diese Versuche zeigen, dass es noch keine Vorbilder gab und die Wände noch unberührt und grau waren. Und das sind die Bilder, die jetzt in unserem Buch zu sehen sind. Quasi ein Schatz, den wir einfach so gefunden haben. Und der aber nicht nur aus historischer Perspektive interessant ist, sondern für die Energie und die Idee steht, die heute noch aktuell ist.

Was fasziniert dich persönlich an Graffiti?

Ich bin mit Graffiti aufgewachsen. Mich fasziniert, dass man sich quasi damit selbstermächtigt, eine eigene Rolle in seinem Umfeld zu spielen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Dass diese Energie entsteht, wenn man den öffentlichen Raum quasi als Abenteuerspielplatz nutzt. Dass man so viel dabei lernen kann – über sich, über Mitmenschen, über Reaktionen. Und dass es auch heute noch eine Chance auf einen Überraschungseffekt im Alltag bietet. Wenn man am Bahnhof steht oder an der S-Bahn vorbeifährt und da sind Bilder auf dem Zug, dann ist das nie etwas Geplantes, sondern immer ein Störelement im täglichen Ablauf. Und alleine von der Metapher her ist das für mich etwas, was Relevanz hat und mich nicht wirklich loslässt.

Es gibt Plätze, an denen legal Graffiti gesprüht wird und es gibt viele Plätze, an denen es nicht erlaubt ist. Was sagst du den Menschen, die behaupten, das sei Sachbeschädigung?

Graffiti von 1984

Denen sage ich: Klar, das ist Sachbeschädigung. Da kann man dann immer noch fragen, inwieweit das Graffiti wirklich die Oberfläche angreift oder ob es leicht entfernt werden kann. Aber an sich finde ich es schon konsequent, dass ein politisches und gesellschaftliches System Eigentumsverhältnisse schützt. Es ist verständlich, dass manche Leute nicht wollen, dass man ihr Haus oder ihr Auto ansprüht. Das Problem liegt nur darin, dass durch diesen Schutz Möglichkeiten verhindert werden. Es gibt unendlich viele Orte in der Stadt, an denen Graffiti einfach geduldet werden könnte. Aber dann wird schnell argumentiert: "Wenn sie da sprühen dürfen, sprühen sie bald überall." Da gibt’s verschiedene Theorien und dann wird’s natürlich schnell auch politisch. Graffiti muss nicht legalisiert werden, es braucht nur mehr Freiräume. Diese zwei Pole, zum einen dass eine gewisse gefälligere Street Art als dekoratives Stadtelement gilt und zum anderen, dass Graffiti verteufelt und kriminalisiert wird, die sind beide zu kurz gedacht. Da gibt’s viele Zwischenräume, wo es spannend wäre, andere Flächen zu legalisieren oder Graffiti dort zu dulden.

Wie würdest du den Stand des Graffiti aktuell in München beschreiben?

Es gibt verschiedene Phasen und es gibt immer auch Sachen, die außerhalb der Szene keiner mitbekommt. Grundsätzlich kann man sagen: Die Duldungsräume werden immer weniger. Oft gibt es Flächen, die nur einmalig genutzt werden dürfen. Und das dann von professionellen Künstlern. Die übermalen manchmal auch ältere illegale Graffiti, was für die Stadt dann eine Win-win-Situation ist: Einerseits geben sie Sprühern Platz und können sich dadurch als kulturell offen präsentieren, andererseits werden alle anderen Aspekte der Graffiti-Kultur ausgeblendet. Das müsste mehr hinterfragt werden. Aber an sich entwickelt sich Graffiti immer weiter, gerade im Internet.

Inwiefern hat das Internet Graffiti verändert?

Als wir angefangen haben, war jeder, der im Netz was über Graffiti geschrieben hat, unten durch, weil die Polizei mitlesen konnte zum Beispiel. Heute sind es die Leute gewohnt, alles zu teilen und ihre Privatsphäre nicht mehr zu schützen. Es geht bei vielen jetzt darum, wer am meisten sprüht und am aktivsten ist und um die Anerkennung durch Likes und Follower. Dadurch bekommen die Bilder so einen inflationären Charakter und einige bekommen so einen verzerrten Blick auf das Ganze. Graffiti ist ja eigentlich etwas, was dich umgibt und dich in deinem Alltag überrascht und nicht das, was auf deinem Handy passiert.

Das Buch "ZAR ZIP FLY ZORO — Die erste Schicht Graffiti in München" ist im Verlag Klick Klack Publishing erschienen.

Sendung: Filter, 07.09.2018 - ab 15.00 Uhr