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Pro-Erdogan-Demo in Köln Warum wird Erdogan von vielen Türken eigentlich so gefeiert?

Aus der Türkei kommen seit Monaten keine guten Nachrichten. Viele von ihnen hängen direkt mit Präsident Erdogan zusammen. Trotzdem ist der Rückhalt in der Bevölkerung immer noch sehr groß. Aber warum eigentlich?

Von: Verena Fücker

Stand: 01.08.2016 | Archiv

Demonstration von Türken vor dem Kölner Dom | Bild: pa/dpa/Oliver Berg

Zur Pro-Erdogan-Demo in Köln sind am letzten Juliwochenende Menschen aus ganz Deutschland gekommen. Aber auch aus Finnland, Belgien, Großbritannien, Österreich und der Schweiz kamen Leute. Am Ende waren es rund 40.000 Menschen, die lautstark die angeblichen Vorzüge von Erdogans Politik feierten. Ein Redner erklärte zum Beispiel: "Deutsche können von der türkischen Demokratie lernen." Ein anderer meinte: "Erdogan ist ein Streiter für Menschenrechte."

In Westeuropa sorgt das bei vielen für Planlosigkeit: Warum begeistern sich eigentlich so viele Türken und türkischstämmige Menschen für Reccep Tayyip Erdogan? Und das sowohl innerhalb, als auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen? Der Präsident der Türkei löst die Spaltung von Staat und Religion auf, verbietet staatskritische Medien und bekämpft Oppositionelle, unabhängige Richter und Anwälte – und macht damit genau das Gegenteil von dem, was eine Demokratie ausmacht. In Deutschland wäre das nicht mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar und jedem ist klar, dass Gewaltenteilung sein muss.

Das Problem ist die generell schwache Demokratie

In vielen europäischen Ländern gilt Erdogan deswegen bei manchen als Islamist oder wahlweise auch Diktator. Das Verständnis für seine Politik hält sich jedenfalls in Grenzen. Ludwig Schulz versucht sie zu erklären. Er beschäftigt sich am Centrum für angewandte Politikforschung der LMU München mit der Türkei. Er sagt: Aus Sicht der türkischen Regierung ist ihr Vorgehen in den letzten Wochen vollkommen normal. Schließlich wurde die Demokratie nicht nur gegen Putschisten verteidigt, sondern auch gegen Terroristen. Denn eins ist klar: Die Türkei ist ein Land, in dem es immer wieder Anschläge gibt und in so einer Situation will niemand leben. Der aktuelle Ausnahmezustand ist tatsächlich verfassungsgemäß. Das Problem ist:

"Die Institutionen, die für eine Demokratie insgesamt wichtig sind, sind geschwächt und das schon immer in der Türkei."

Ludwig Schulz, Centrum für angewandte Politikforschung der LMU, im Interview mit PULS

Für die türkische Regierung ist eine Demokratie vor allem elektoral. Das heißt: Die gewählte Regierung und der gewählte Präsident sind diejenigen, die das Land führen, die Orientierung geben, die jetzt im Ausnahmezustand Recht sprechen. "Und das ist natürlich ein ganz prekärer Zustand für die Rechtssprechung und den Rechtsstaat in der Türkei im Moment", sagt Ludwig Schulz. Das Problem: In der Türkei sind alle Kontrollorgane, die eine Demokratie schützen sollen, schon immer schwach gewesen. Das fängt innerhalb der Parteien an, bei denen ein Parteichef quasi über die anderen Mitglieder herrscht, und zieht sich durch bis in die Medien und die Zivilgesellschaft.

Scharfe Kritik am türkischen Militär

Die Türkei wurde in ihrer demokratischen Entwicklung immer wieder zurückgeworfen, zum Beispiel durch Militärputsche in den Jahren 1960, 1971 und 1980. Und auch in den vergangenen 15 Jahren gab es immer wieder indirekte Putsche. Jetzt wurde das Militär allerdings zum ersten Mal von der Bevölkerung zurückgeschlagen. Die Regierung feiert das als eine Art türkische Version des Arabischen Frühlings, weil die Bevölkerung sich aus ihrer Sicht gegen die alten Eliten im Militär gewehrt hat. So ähnlich sieht es übrigens auch Betül Ulusoy. Sie wurde bekannt, weil sie sich geweigert hat, ihr Kopftuch bei ihrem Referendariat im Bezirksamt Neukölln abzulegen. Ulusoy hat nach dem Putschversuch das Militär scharf kritisiert. Auf Facebook schreibt sie:

"In Deutschland hat das Verteidigungsministerium die Befehlsgewalt über die Bundeswehr. Darauf vertrauen wir alle. Das bedeutet Demokratie. In der Türkei konnte man bis heute nicht recht einschätzen, was das Militär als nächstes tut und ob es gewillt ist, seiner gewählten Regierung zu folgen. Noch immer gibt es Militärs, die offen damit drohen. Das ist undemokratisch."

Betül Ulusoy auf Facebook

Außerdem erinnert sie daran, dass es auch in Deutschland gefeiert wurde, als Erdogans AKP 2002 an die Macht gekommen ist, weil sie es schaffte, das Militär zu schwächen und damit "der Demokratisierungsprozess in der Türkei vorangetrieben wurde."

Stetig gewachsener Personenkult

Ludwig Schulz meint, dass Reccep Tayyip Erdogan einen Personenkult um sich selbst etablieren konnte, weil unter seiner Regierung viel passiert ist:

"Erdogan ist der Retter und der Anführer der Nation. [...] Mit Erdogan werden die Fortschritte gleichgesetzt, die das Land in den letzten Jahren gerade in wirtschaftlicher Hinsicht, aber auch im sozialen Bereich gemacht hat: Gesundheitsversorgung, Bildungspolitik, der Ausbau der Infrastruktur."

Ludwig Schulz

Und: Dank Erdogan spielt die Türkei im Konzert der ganz großen Nationen mit und hat dadurch in den Augen vieler Türken eine ganz neue nationale Größe erreicht:

"Man spricht auf Augenhöhe mit den Führern der Welt: Mit Barack Obama und Angela Merkel, mit den Vereinten Nationen, die in Instanbul einen großen Gipfel veranstalten. Das gibt den Türken einen ganz neuen Nationalstolz und das identifizieren und personifizieren sie mit Erdogan."

Ludwig Schulz

Allerdings sagt Ludwig Schulz auch, dass viele Türken nicht sehen oder nicht sehen wollen, wie sehr Erdogan mit seiner Politik der harten Hand die Gesellschaft auch spaltet und polarisiert. Und: So sicher, wie der Rückhalt der Bevölkerung für Erdogan aus europäischer Sicht scheint - Erdogan spaltet das Land. Er habe zwar viele Anhänger, aber für knapp die Hälfte der Bevölkerung ist Erdogan auch das personifizierte Übel, sagt Schulz.

Nationale Krisen einen die Gesellschaft

Der letzte Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 hat laut Ludwig Schulz auch bei Deutsch-Türken einen "Rally Around The Flag"-Effekt produziert: Wenn es eine nationale Krise gibt, dann kommt die Bevölkerung oft wieder zusammen und steht auch wieder gemeinsam für ihr Land ein. "Das hat man in Köln gesehen, dass verschiedene Gruppen, die diese pluralistische Gesellschaft in der Türkei auch widerspiegeln, sich um die nationale Stabilität gesorgt haben und gemeinsam aufgetreten sind."

Auch Journalistin Özlem Topçu, die für das Zeit-Magazin arbeitet, spricht sich nach dem Putsch vor allem gegen den Putschversuch aus, nicht aber für Erdogan:

Armin Laschet, CDU-Chef und ehemaliger Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, hat im Gespräch mit dem WDR die in Deutschland lebenden Türken kritisiert. Er meint, dass die Demonstrationsfreiheit ein hohes Gut sei, er sich aber wünschen würde, dass die Demo-Teilnehmer in Köln akzeptieren würden, dass sie in Deutschland leben - und Gauck ihr Präsident ist, nicht Erdogan. Für viele Deutsch-Türken ist das sowieso klar. Trotzdem interessieren sie sich für die Politik in der Türkei und unterstützen Erdogan. Diese Meinung vertreten sie auch in Deutschland.

"Viele Türkischstämmige, die hier leben, versuchen eben auch ihre Interessen in die deutsche Politik zu tragen. Ich halte das eher für ihr legitimes Recht."

Ludwig Schulz

Verschiedene politische Meinungen muss eine Demokratie aushalten

Erst mal klingt es paradox: Leute gehen in Köln auf die Straße und nutzen damit ein Recht, das zur Demokratie gehört, um allerdings für einen Präsidenten und ein System zu demonstrieren, das in den Augen vieler die Demokratie abschafft. Aber das gehört zur Demokratie dazu und das muss man als Demokrat aushalten können. Ludwig Schulz sagt, man kann beide Komponenten trennen. Um die Türken zu verstehen, sei es wichtig, miteinander zu reden. Darüber, was sie bewegt, aber auch, was uns bewegt- und gegenseitig Verständnis aufzubringen. Heißt für uns Deutsche:

"Wichtig ist hier, den Dialog zu suchen und nicht einfach zu kritisieren und sich danach wieder zurückzuziehen in die bequeme Stube des Beobachters und des Kritikers."

Ludwig Schulz


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