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Fünf Tage im Flüchtlingscamp Dünkirchen Kein Schlafplatz, kein Essen, keine Zukunft

Alle reden vom "Dschungel" von Calais. Aber auch in Dünkirchen in Frankreich hausen 1.500 Flüchtlinge unter erbärmlichsten Bedingungen. Sinan von der Münchner Volxküche versucht zu helfen. Wir haben ihn begleitet.

Von: Elisabeth Volkmer, Verena Fücker, Hardy Funk

Stand: 04.03.2016 | Archiv

Das illegale Flüchtlingslager "Dschungel" von Calais ist teilgeräumt. Aber ein paar Kilometer weiter an der Küste, in Dünkirchen - französisch Dunkerque - gibt es noch ein illegales Lager. Mitten in einem Wohngebiet. An die 1.500 Menschen sind dort gestrandet. Sie hausen unter erbärmlichsten Bedingungen - in Schlamm und Dreck, schlafen zwischen vergammeltem Essen und in zerrissenen Zelten.

In einer provisorischen Feldküche hilft dort der Verein Volxküche aus München und versucht - so gut wie möglich - die Not zu lindern. Sinan von der Volxküche ist schon länger freiwilliger Helfer im Elendslager von Dünkirchen. Vergangene Woche ist er von dort zurückgekommen. Mittlerweile ist er wieder dort, denn ein großer Umzug steht an. Wir haben ihn begleitet.

Tag 1 (4. März) - Ankommen im Schlamm

Als Sinan im Camp ankommt, zeigt sich ihm das gewohnte Elendsbild:

"Die Zustände sind schlimmer als in jedem Slum. In einem Slum findet man wenigstens Material, um seine Hütte abzudecken oder den Boden zu belegen. Aber hier verhindert die Polizei, dass man Dinge zum Überleben ins Lager schafft."

Sinan

Die Flüchtlinge, die Sinan und seine Mithelfer in ihrer provisorischen Küche mit Essen versorgen, sind vor allem Familien und alleinstehende Männer. Den freiwilligen Helfern wird aber schnell klar, dass der Mangel an Essen nicht das einzige Problem ist: "Das, was eigentlich gebraucht wird, ist nicht Essen, sondern Infrastruktur. Wir haben Spül- und Waschwasser zur Verfügung gestellt und angefangen, provisorische Wege durch den Morast zu bauen, die wir aus Webstoff und Stöcken hergestellt haben," so Sinan.

Mittlerweile richtet die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" ein legales Lager in der Nähe ein, das am Montag, den 07.03.2016, eröffnet werden soll - ein Hoffnungsschimmer für die Helfer vor Ort. Das neue Lager bietet bessere sanitäre Anlagen und die Unterkünfte bestehen aus wasserdichten und vor allem stabilen Holzhütten. Und das ist auch dringend notwendig:

"Wenn jetzt der Sommer kommt und damit steigende Temperaturen, wird das alte Lager aus hygienischen Gründen unhaltbar."

Sinan

Sinan berichtet, dass zurzeit auch ein Helfer im Krankenhaus liegt, weil er sich mit einer von Ratten übertragbaren Krankheit infiziert hat.

Das neue Lager hat aber auch einen Nachteil, sagt Sinan: "Das ist ein sehr langer Schlauch, links und rechts Zäune mit Maschendraht. Es sieht ganz stark nach einer Mäusefalle aus."

Bis die Selbstversorgung im neuen Camp steht, wird die Volxküche München dort die zentrale Küche stemmen. Aber Sinan und seine Freunde haben noch viel mehr vor: "Wir wollen dort zusammen mit einer Gruppe von Flüchtlingen aus Kuwait eine eigene Bäckerei aufbauen, mit kuwaitischen Backöfen. Die sind ähnlich wie die indischen Tandoori-Öfen. Dann können die Flüchtlinge ihr ganzes Lager selbst mit kostenlosem Brot versorgen." Doch bevor ein solcher Ofen gebaut werden kann, installiert Sinan erst einmal deutsche Öfen, die er aus Saarbrücken mitgebracht hat.

Tag 3 (6. März) - Umzugsvorbereitungen und Angst vor der Polizei

Tagsüber bereiten sich alle im Camp auf den anstehenden Umzug vor. Die Flüchtlinge dürfen pro Person nur einen Sack mitnehmen. 10 Liter Platz - alles, was da nicht reinpasst, muss im alten Camp bleiben, aus Angst, dass sich auch im neuen Camp Bakterien breit machen könnten. Außerdem sollen sich die Flüchtlinge so auf die neuen Strukturen einstellen und das Alte hinter sich lassen. Rund 500 Bundespolizisten stehen angeblich bereit, um die Flüchtlinge in der folgenden Woche ins neue Camp zu begleiten. Das macht Sinan Sorgen:

"Ich kann mir vorstellen, dass die Polizisten bei der Räumung mit aller Härte vorgehen werden. Laut den Informationen, die wir haben, sollen ab Mittwoch oder Donnerstag Tränengas und Gummigeschosse eingesetzt werden, um die Leute aus dem alten Camp zu vertreiben."

Sinan

Nach dem Umzug sollen ziemlich schnell Bagger anrücken, um das Camp platt zu machen. Sinan hofft, dass die Helfer noch ein paar Tage Schonfrist bekommen, um die Hilfsgüter aus dem alten Camp ins neue bringen zu können.

In der Nacht wird es unruhig im alten Camp. Alle sind in Eile und packen ihre Sachen zusammen. Viele sind aufgereregt. Und bei machen Flüchtlingen weiß Sinan nicht, ob sie in Kriegs- oder Feierstimmung sind.

"Die ganze Nacht gab es Explosionen von Konserven und Gaskartuschen. Eine große Hütte ist abgebrannt, die Feuerwehr musste kommen."

Sinan

Tag 4 (7. März) - Unruhen begleiten den Umzug

Das geht auch am nächsten Tag so weiter: Ständig steigen Rauchschwaden in die Luft. Sinan und seine Mitstreiter von der Volxküche beschließen, ihr Zelt so schnell wie möglich abzubauen. Die Unruhe der Menschen hat laut Sinan mehrere Ursachen: "Viele wollen mit der Zeit im Camp abschließen und das mit einem Knall beenden. Alles, was man nicht mehr braucht, wird ins Feuer geworfen."

Ein anderer Grund sind die Schlepper: Sie haben das alte Camp unter sich in Zonen aufgeteilt. Danach richtet sich, welche Flüchtlinge mit welchen Schleppern ins neue Lager kommen. Im neuen Camp haben die Schlepper keine Macht mehr, weswegen viele von ihnen versuchen, die Flüchtlinge mit Drohungen und falschen Aussagen im alten Camp zu halten. Nach den Unruhen der Nacht sind am Morgen aber die meisten Flüchtlinge ins neue Camp gezogen.

Unterdessen ist die Volxküche im neuen Camp schon fleißig am Kochen - seit dem Morgen ist die Küche dort aktiv. Es gibt Frühstück und Abendessen für ca. 500 Personen. Dabei haben Sinan und die anderen Helfer noch nicht einmal ein Zelt zum Schlafen: Eigentlich dürften im Camp gar keine Helfer übernachten. Deshalb haben sie das Zelt im alten Lager noch stehen gelassen. Und auch sonst klappt noch nicht alles im neuen Lager:

"Die Behördenschätzung mit 1.500 Personen war völlig unzureichend. Das neue Camp ist in der momentanen Ausstattung noch völlig unterdimensioniert."

Sinan

Zusätzliche Zelte wurden aufgebaut. Und trotzdem wurden viele Flüchtlinge gar nicht erst ins neue Lager transportiert. Andere mussten wieder zurück. "Von der Polizei wurden sie dann bei klirrender Kälte zum Teil abgewiesen, weil das alte Camp angeblich geschlossen wäre," so Sinan, "manche Zelte der Rückkehrer waren geplündert oder abgebrannt."

Tag 5 (8. März) - Abreise mit gemischten Gefühlen

Am Dienstag ist das neue Camp völlig überfüllt, eine nennenswerte Essensversorgung gibt es bis auf die Küche der Volxküche-Aktivisten nicht. Das liegt laut Sinan am fehlenden Willen der Organisatoren: "Die meisten offiziellen Stellen sind gegen das neue Camp. Die sind vollkommen gegen Flüchtlinge und tun so, als gäbe es das Problem nicht."

Viele Flüchtlinge ziehen deswegen auch am Dienstag wieder zurück ins alte Lager, weil sie im neuen weder einen Schlafplatz noch Essen haben. Lange können sie dort aber wohl nicht bleiben:

"Das Lager hier wird morgen oder übermorgen mit Polizeitruppen, Tränengas und Gummigeschossen geräumt. Das heißt, die Situation ist ziemlich fatal."

Sinan

Die Volxküche selbst konnte zwar für viele Menschen kochen. Aber die Backöfen sind noch immer aus: Der Backofen für Brot steht, die Bäcker sind bereit, aber, so Sinan: "Das Problem ist die Organisation 'Ärzte ohne Grenzen', also das französische Médecins Sans Frontières, die den Bereich, in dem der Backofen steht, managen: Die sagen, hier dürfen aus versicherungstechnischen Gründen keine Flüchtlinge rein." Die Volxküche möchte deshalb auf das Gelände der Flüchtlinge umziehen, raus aus dem administrativen Gebäudekomplex. Auch wenn dort wiederum keine Helfer übernachten dürfen.

Sinan reist am Dienstagnachmittag ziemlich enttäuscht zurück nach München. Ein Teil der Aktivisten bleibt in Dünkirchen und am Mittwoch kommen schon die nächsten Helfer aus München.

Und auch Sinan möchte in Zukunft helfen: "Dass es so etwas wie Dünkirchen in acht bis neun Stunden Fahrt von München gibt, hätten wir uns so nicht vorstellen können. Wir sind dort hingefahren, weil wir gesagt haben, dass es von der Distanz her möglich ist, und haben dann festgestellt, dass es überhaupt nicht machbar ist, da jetzt wieder wegzufahren." Wer auch helfen möchte, kann sich auf der Facebook-Seite der Volxküche München melden. Derzeit werden weitere Helfer und Helferinnen für die Küche in Dünkirchen gesucht. Wie es mit dem Lager und der bevorstehenden Räumung weitergeht - Sinan wird uns auf dem Laufenden halten.


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