Diversität Ist unsere Politik divers genug?

Ob Geschlecht, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung - Deutschland ist divers. Aber inwiefern zeigt sich das in der Politik? Wir haben bei den Jugendorganisationen der Parteien nachgefragt, ob und was sie für Diversität machen.

Von: Conny Neumeyer

Stand: 29.06.2020 | Archiv

Grafik | Bild: BR

Wie divers Parteien und deren Jugendorganisationen in Deutschland sind, ist auf den ersten Blick gar nicht so einfach zu erkennen. In Deutschland werden seit Ende des zweiten Weltkriegs „generell keine bevölkerungsstatistischen und sozioökonomischen Daten auf ethnischer Basis erhoben“, schreibt das Bundesinnenministerium auf seiner Website. Aus gutem Grund: Während der nationalsozialistischen Herrschaft wurden Minderheiten in Deutschland verfolgt. Außerdem hat der Europarat zum Schutz nationaler Minderheiten festgelegt, dass jede Person frei über ihre Zugehörigkeit zu einer Minderheit entscheiden können soll. 

Um trotzdem um zu erfahren, was junge Politiker*innen unter Diversität verstehen, haben wir mit Mitgliedern der verschiedenen Jugendorganisationen deutscher Parteien gesprochen. Wir wollten wissen, ob sie ihre Parteien für divers halten und was ihre Verbände dafür tun, dass die Perspektiven von BIPoCs, LGBTIQs und anderen gesellschaftlichen Gruppen vertreten werden.

Stefanie Dechant, 22 Jahre, Kreisvorsitzende der Jungen Union Nürnberg Nord

PULS: Kommt deine Perspektive bei der Jungen Union vor?

Meine Mutter kommt aus Kamerun, mein Vater aus Deutschland. Ich bin aber hier in Nürnberg geboren. Ich bin vor fünf Jahren aus Interesse für Politik und die Vorliebe zum Debattieren in die JU eingetreten. Ich hatte damals nicht geschaut, wie divers eine Partei aufgestellt ist. Seitdem fühle ich mich sehr wohl in der Partei und hatte aufgrund meiner Herkunft oder Hautfarbe noch keine Einschränkung in irgendeiner Weise. Ich wurde immer aufgrund meiner Kompetenz für Positionen ausgewählt. Und das schätze ich sehr. Ich würde mich dagegen auch sehr stark machen, wenn jemand aufgrund des Geschlechts oder der Herkunft niedergemacht würde.

Glaubst du, die Junge Union wird von außen als divers wahrgenommen?

Das glaube ich nicht. Wir haben leider ein recht verkrustetes Image. Wenn man über die Junge Union spricht, denkt man erst mal an Männer höheren Alters, die in der Bierstube sitzen, dort unter sich sind, die alten Werte von Franz Josef Strauß vertreten und Parolen singen. Wenn man aber mal unsere 22.000 Mitglieder in Bayern unter die Lupe nimmt, dann sieht man, dass verschiedene Herkünfte vertreten sind: seien es Rumänen, Polen, Asiaten oder Amerikaner, Afrikaner. Das finde ich wirklich spannend und deswegen glaube ich, dass wir kommunizieren müssen, wie divers wir sind.

Wie lässt sich Diversität fördern?

Ich setze immer einen großen Schwerpunkt auf das Thema Kommunikation: Für was steht man? Was fördert man? Was fordert man? Das heißt, dass wir unsere Werte kommunizieren wie ein kulturelles Bekenntnis, dass man sich für sein Heimatland stark macht, dass man sich für ethnische Minderheiten stark macht, dass man unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Leute akzeptiert und mit diesen Leuten arbeitet. Aber dass man auf der anderen Seite auch dort, wo Rassismus und Hass noch herrschen und Ideologien den Weg versperren, sich dagegen stark macht. Das halte ich für unerlässlich. 

Andre Lehmann, 28 Jahre, Vertrauensperson der Jungen Liberalen in Bayern und im Bundesvorstand der Liberalen Schwulen und Lesben (LiSL)

PULS: Kommt deine Perspektive bei den Jungen Liberalen vor?

Ich kenne bei den Julis sehr viele Homosexuelle, Bisexuelle und Pansexuelle. Da fühle ich mich ehrlicherweise nicht allein und ich hab mich deswegen auch noch nie diskriminiert oder besonders behandelt gefühlt. Da hab ich bei den Julis überhaupt keine negativen Erfahrungen gemacht. Wir sind eine sehr heterogene Gruppe. Da gibt es ganz unterschiedliche Lebensentwürfe. Aber ich glaube, man kann nie divers genug sein, weil von unterschiedlichen Blickwinkeln profitiert man immer als Verband wie auch als Gesellschaft.

Glaubst du, die Jungen Liberalen werden von außen als divers wahrgenommen?

Ich glaube, Verbände werden von außen tatsächlich immer weniger divers wahrgenommen, als sie es eigentlich von innen sind. Das liegt, glaube ich, in der Natur der Sache. Weil so ein Verband natürlich für die, die außerhalb stehen, ein gewisses Image hat. Und wenn man den Verband von innen kennt, dann ist es diverser, viel heterogener, als man das eigentlich von außen her überblicken würde.

Wie lässt sich Diversität fördern?

Die Julis Bayern haben sich vor einer Weile einen Code of Conduct gegeben, der sehr weit geht und klare Leitlinien festlegt, wie wir untereinander und miteinander umgehen wollen. Wir wollen definitiv Diversität vorleben und das auch nach außen tragen: keine Angst davor haben, dass man, aus welchen Ecken auch immer, dafür Gegenwind kriegen könnte. Das ist ganz wichtig da als progressiver, liberaler Jugendverband auch eine Vorbildfunktion einzunehmen. Das tun die Julis auch. Rein politisch sind sicherlich das Blutspendeverbot für homosexuelle Männer und Alltagsrassismus bei uns in der Gesellschaft wichtige Themen. Da müssen wir in Deutschland ran.

Gizem Fesli, 26 Jahre, Mitglied im Landessprecher*innenrat der Linksjugend Solid Bayern

PULS: Kommt deine Perspektive bei der Linksjugend vor?

Im Landessprecher*innenrat, das ist das organisatorische Gremium auf Landesebene, da ist auf jeden Fall die Awareness da. Wir sind alle auch Student*innen im geisteswissenschaftlichen Bereich und dahingehend gegen alle „-ismen“ gebildet. Aber es gibt dennoch einige Basisgruppen in Städten oder Dörfern, wo beispielsweise vor allem weiße, männliche, aktive Mitglieder teilweise sexistisches Verhalten an den Tag legen, gegen Frauen und vor allem gegen farbige Frauen. Aber das speist sich einfach daraus, dass einigen Menschen diese politische oder geisteswissenschaftliche Bildung fehlt.

Wünschst du dir, dass manche Dinge im Hinblick auf Diversität bei euch anders laufen würden?

Definitiv wünsche ich mir, dass auch andere BIPoCs und auch Frauen und queere Menschen aktiv sind, damit ich mich einerseits nicht allein fühle in den Positionen, die ich vertrete und dass man auch Menschen hat, bei denen man weiß: Aha, die erleben dieselben Benachteiligungen oder Behandlungen und man kann sich da gegenseitig verstehen. Das ist selten der Fall, einfach weil die Menschen fehlen und ich wünsche mir da natürlich sehr viele Menschen. Es gibt sicherlich einige Dinge, die die Linksjugend noch anders machen könnte. Das Potenzial ist wahrscheinlich nie ausgeschöpft.

Wie lässt sich Diversität fördern?

Bei Der Linken gab es ein Mentoring-Programm, das BIPoCs auf ihrem politischen Weg und in ihrem Engagement unterstützt. Sowas würde ich mir definitiv auch für die Linksjugend wünschen. Außerdem könnte man mal über Quoten nachdenken, beispielsweise im Landessprecher*innenrat. Wenn dafür gewählt wird, dann muss das Ganze zu 50 Prozent paritätisch besetzt sein, mit queeren oder diversen, FLINT Menschen (Frauen, Lesben, Intersexuelle Personen, Nicht-binäre Personen, Trans Personen, Anmerkung d. Red.). So etwas könnte man sich auch für Menschen mit verschiedenen ethnischen Hintergründen überlegen. Der letzte Punkt wäre das Thema Wahlrecht für alle: Das würde dazu führen, dass viele Menschen, die hier geboren sind, die aber eine Einwanderungsgeschichte aufweisen, wählen dürfen.

Sarah-Lee Heinrich, 19 Jahre, Beisitzerin im Bundesvorstand der Grünen Jugend, sie koordiniert den Arbeitsbereich „Antirassistische Strategien“

PULS: Kommt deine Perspektive bei der Grünen Jugend vor?

Bei mir ist es nicht nur so, dass ich eine schwarze Frau bin, aber viel ausschlaggebender ist, dass ich in Armut aufgewachsen bin. Und es ist selten, dass Menschen, die aus einem nicht-akademischen Background kommen, dann auch in die Politik gehen und mitgestalten. Man merkt, dass Politik generell hohe Barrieren für bestimmte gesellschaftliche Gruppen hat und nicht so gedacht ist, dass immer alle auch gleich gut teilhaben können. Weswegen wir auch den Arbeitsbereich „Antirassistische Strategien“ ins Leben gerufen haben, um uns Gedanken darüber zu machen: Was sind antirassistische Strukturen? Und wie können wir offener sein für mehr Menschen? Denn wenn wir Gesellschaft verändern wollen, dann müssen so viele Menschen wie möglich dabei sein.

Wie lässt sich Diversität fördern?

Ich sträube mich ehrlich gesagt davor, nur an Diversität zu arbeiten, weswegen wir uns entschieden haben, keinen Arbeitsbereich „Diversity“ ins Leben zu rufen. Weil verschiedene gesellschaftliche Gruppen haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Und wenn man eine Diversity-Quote einführt, fallen da sowohl bisexuelle Frauen als auch schwarze Menschen drunter. Aber Menschen, die aufgrund von ihrer Sexualität diskriminiert werden, haben ganz andere Bedürfnisse als Menschen, die aufgrund von Rassismus diskriminiert werden. Als erstes muss einem klar werden, dass das verschiedene gesellschaftliche Gruppen sind und dass es keine Maßnahme gibt, mit der man alle abarbeitet.

Bist du zufrieden, wie es mit der Diversität bei der Grünen Jugend läuft?

Zufriedenheit klingt immer so als würde ich irgendwo stehen bleiben. Ich finde es gut, dass wir im Verband darüber diskutieren und Initiativen angestoßen werden. Aber natürlich reicht es mir jetzt gerade nicht. Ich glaube, da liegt noch viel vor uns, Menschen einzubinden, die Rassismuserfahrungen machen, die aus Armutsverhältnissen kommen, die diskriminiert werden aufgrund ihrer Geschlechtsidentität und ihrer Sexualität. Ich glaube, wir haben viel geschafft in den letzten Jahren. Aber da bleibt weiterhin viel zu tun. Das muss eine Auseinandersetzung sein, die nie aufhört.

Trotz mehrfacher Anfragen von PULS haben sich weder die Junge Alternative in Bayern, noch die Jusos in Bayern zurückgemeldet.

PULS am 29.06.2020.