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Türkei nach dem Putschversuch "Es gab auch schon vorher ein Team, das unsere Texte zensiert hat"

Tausende Journalisten, Beamte und Wissenschaftler haben nach dem Putschversuch ihren Job verloren, stehen unter Terrorverdacht oder wurden eingesperrt. Die Deutschtürkin Fatma ist deswegen aus der Türkei geflohen.

Von: Christine Auerbach

Stand: 22.09.2016 | Archiv

Fatma Türkei | Bild: BR

Abi und Studium hat die Deutschtürkin Fatma in Deutschland gemacht, danach ist sie in die Türkei gegangen. Zwei Jahre hat sie dort an einem Institut gearbeitet, das zu türkischer Außen- und Innenpolitik forscht. Nach dem Putschversuch ist es auf der Liste der Einrichtungen aufgetaucht, die geschlossen werden sollen. In einer Nacht- und Nebelaktion flieht sie zurück nach Deutschland. Weil sie die Türkei offen kritisiert, gilt sie bei vielen Türken - auch in Deutschland - als Landesverräterin. Um nicht noch mehr Ärger zu bekommen, bleibt sie im PULS Interview lieber anonym.

PULS: Wie sah deine Arbeit in der Türkei vor dem Putschversuch aus? Konntet ihr forschen und publizieren wie ihr wolltet?

Fatma: Nein. Es gab ein Team, das unsere Texte quasi zensiert und zum Beispiel nach politischen Äußerungen Ausschau gehalten hat. Da hieß es dann: Das hast du zu streng formuliert, das könnte Ärger geben, lösche diesen Satz lieber. Am Ende hieß es dann oft nur noch: Schreibe bitte gar nicht mehr über dieses oder jenes Thema. Über den Kurden-Konflikt konnte man zum Beispiel gegen Ende gar nichts mehr schreiben, weil der Friedensprozess ja einfach an den Nagel gehängt worden ist - und mit diesem Scheitern auch die AKP in Verbindung steht. Über die AKP hat man eh am besten gar nichts mehr geschrieben - außer man hat die Partei gelobt. Und da wir uns gewehrt haben, sie zu loben, konnten wir halt nicht mehr viel schreiben.

Wie war es für dich, als dein Institut plötzlich auf der Liste der Einrichtungen aufgetaucht ist, die geschlossen werden?

Ich habe in der Zeitung gelesen, dass unser Institut dabei ist. Auf dem Weg zur Arbeit haben uns die Leute auf der Straße sofort schief angesehen. Und das ist ein ziemlich mieses Gefühl, wenn man als Landesverräter beäugt wird! Sobald man nicht pro AKP ist, gehört man zu den Gegnern. Egal, ob man wirklich der Bewegung angehört, die an dem Putsch beteiligt gewesen sein soll, oder nicht.

Für dich war es ja ganz einfach die Türkei zu verlassen, du bist Deutsche. Aber wie geht es deinen türkischen Kollegen, die nicht einfach gehen können?

Es ist ganz schrecklich zu wissen, dass sie dort nicht weg können. Zwei Mitarbeitern haben sie zum Beispiel auch den Pass weggenommen. Die sitzen also wirklich fest und können nur darauf warten, dass sie irgendwann festgenommen werden. Die wachen morgens auf und sagen sich: Okay, bis heute wurde ich noch nicht verhaftet. Mal kucken, ob dieser Tag auch noch normal verläuft.

Wie hat sich die Türkei deiner Meinung nach in den letzten Wochen und Monaten verändert?

Ständig wird irgendwo über Politik gestritten – egal ob im Bus oder auf dem Markt. Alles ist angespannt. Wenn man am Abend nach Hause kommt, ist man einfach nur fertig und müde. Es kann passieren, dass eine 80-jährige Rentnerin im Bus sitzt, etwas gegen Erdogan sagt und alle anderen im Bus machen sie mundtot. Und das, obwohl es in der Türkei die Anstandsregel gibt, Älteren nicht zu widersprechen. Ihr wird dann vorgeworfen, wie sie es wagen könne, unseren – ich will jetzt nicht Führer sagen – aber unseren "politischen Messias" schlecht zu machen? Wie sie ihrem Land so etwas schlechtes antun könne? Das sind die Anzeichen, an denen man merkt – es läuft einfach etwas schief in der Türkei.

Was will Erdogan erreichen?

Ich denke, dass Erdogan in seiner politischen Karriere so viel Ruhm und Reichtum erlangt hat, dass er das einfach nicht mehr aufgeben möchte. Seine jetzige Stellung zu erhalten, geht aber eben nur, wenn er sein Ein-Mann-System aufrecht erhält. Dazu muss er jegliche Kritik und Opposition ausschalten.

Wie geht es jetzt für dich weiter in Deutschland?

Ich bin momentan arbeitslos. Das ist sehr ernüchternd, wenn man über zwei Jahre einen festen Job hatte. Ich bin Mitte 30 und Kopftuchträgerin. In Deutschland ist das nicht gerade einfach. Aber ich möchte jetzt nicht nur pessimistisch sein. Es wird schon irgendwie weitergehen. Es muss. Irgendwie.


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