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Brief an ein Land Was ist nur los mit dir, Türkei?

Katharina reist regelmäßig in die Türkei, um von dort für PULS zu berichten. Aber was in dem Land zur Zeit abgeht, macht sie ratlos: Medienzensur, Terror und die Demokratie wird mit Füßen getreten. Ein Brief an die Türkei.

Von: Katharina Willinger

Stand: 09.03.2016 | Archiv

So idyllisch ist es in der Türkei schon lange nicht mehr | Bild: Katharina Willinger / BR

Hey Türkei,

ich mache mir Sorgen um dich. Wir kennen uns nun seit einigen Jahren. Ich mag dich, deine Menschen, deine Natur und deinen Spirit. Aber im letzten Jahr hast du dich sehr verändert und das macht mir Angst.

Es gab da diesen einen Tag, ich erinnere mich noch genau daran: Ich saß mit Freunden in einem Café, es war der Abend des 7. Juni 2015. Wir tranken Whiskey Sour, aßen Linsensalat, es war warm und die Stimmung war unbeschwert. So locker wie an diesem Abend habe ich dich seither nie mehr erlebt. Es war der Abend der Parlamentswahl.

Am nächsten Tag begann der Kater. Er kam mit dem Wahlergebnis. Eine Partei mehr zog ins Parlament ein. Statt drei Parteien war da nun noch eine vierte, die pro-kurdische HDP. 13 Prozent der Wähler setzten in diese Partei große Hoffnung. Wähler, die sich mit den anderen Parteien nicht mehr identifizieren konnten. Viele junge Menschen, Minderheiten, Akademiker waren darunter. Für sie war dieser Tag historisch. Wenn ich an diesen Tag zurück denke, erinnere ich mich hingegen vor allem an einen Satz, den auf der Straße jemand zu mir sagte: "Jetzt passiert ein Unheil in der Türkei."


Die Regierungspartei AKP hatte ihre absolute Mehrheit verfehlt, es fand sich keine Koalition zusammen, Staatspräsident Erdoğan ordnete Neuwahlen für den Herbst an. Bis wieder gewählt werden sollte, überschlugen sich die Ereignisse. Anschläge im gesamten Land, innerhalb von drei Monaten starben rund 150 Menschen. Gegenseitige Schuldzuweisungen von Regierung und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, dazwischen islamistische Terroristen, die sich ins Fäustchen lachten.

Wovor viele Menschen um mich herum Angst hatten, trat ein: Der Friedensprozess mit der PKK wurde beendet und im Südosten des Landes griff man wieder zu den Waffen. Straßenschlachten, Ausgangssperren, beinahe täglich sterben dort seither Menschen.

Dazwischen die Neu-Wahl, diesmal erreichte die AKP die Mehrheit zurück, demokratisch gewählt, immerhin von 50 Prozent der Wähler. Dennoch war da nun auch diese Resignation bei vielen Menschen. Ein seit Sommer andauernder Kater. Auf den Straßen, in Cafés, in den Kneipen. Ich konnte sie überall spüren. Viele junge Menschen sahen und sehen ihre Zukunft nicht mehr in dir, sie wollen weg. Sie sagen: Was hält mich hier?

Ich weiß, du bist erschöpft: Gefechte im Südosten, dazwischen mehr als zwei Millionen Flüchtlinge, und eine Regierung, die momentan demokratische Werte mit Füßen tritt. Verhaftungen von Akademikern und Journalisten: Die Abschaltung kritischer Stimmen im Land. Letzte Woche IMC TV, diese Woche die Zeitung Zaman. Wer nicht (mehr) einer Meinung mit dem Staat ist, wird mundtot gemacht.

Vor wenigen Tagen habe ich das selbst gespürt. Ich war für eine Reportage in Diyarbakir unterwegs, im Südosten, inmitten von Militärfahrzeugen, bewaffneten Anti-Terroreinheiten und verzweifelten Zivilisten. Ich wurde verunsichert, mehrmals eingeschüchtert und konnte meine Arbeit nicht wirklich frei ausüben. Ich sah wie eine Fotografin gezwungen wurde, ihre Bilder zu löschen. Die Bilder zeigten zerstörte Häuser, abgeriegelte Straßen. Ich hatte Angst, dass mir das auch passiert. Ist es zum Glück nicht.

Aber seitdem mache ich mir noch größere Sorgen, wie es mit dir weitergeht.


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