Demokratie Sind ausgeloste Bürgerräte das Demokratie-Update, das wir brauchen?

Nicht nur in Deutschland steigt der Frust über Parteien und die demokratischen Verfahren. Da liegt die Frage nahe: Brauchen wir ein Demokratie-Update? Eine Lösung könnten ausgeloste Bürgerräte sein.

Von: Katharina Deichsel

Stand: 12.03.2020 | Archiv

Grafik ausgeloste Bürgerräte | Bild: Laura Sommer

Unsere Demokratie braucht ein Update. So könnte man zumindest eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung auslegen. Denn laut der repräsentativen Untersuchung aus dem vergangenen Jahr ist mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland unzufrieden damit, wie bei uns die Demokratie funktioniert. Viele sind gefrustet, weil sie sich aktuell von der Politik nicht gut vertreten fühlen und wollen mehr Möglichkeiten, sich politisch einzubringen. Initiativen wie zum Beispiel das Volksbegehren "Rettet die Bienen!" in Bayern reichen anscheinend nicht.

Auslosen, mitreden, Empfehlung abgeben

Dass Bürger*innen bei politischen Entscheidungsprozessen mehr Mitsprache haben sollten, findet auch Claudine Nierth vom Verein "Mehr Demokratie". Darum hat der Verein 2019 den ersten bundesweiten ausgelosten Bürgerrat organisiert. Dafür wurden 160 Teilnehmer*innen aus der ganzen Republik per Losverfahren zufällig ausgewählt. Ganz wichtig dabei: Alle Bevölkerungsgruppen sollen im Bürgerrat vertreten sein. An mehreren Wochenenden treffen sich die Teilnehmer*innen dann und diskutieren in Gruppen gesellschaftlich brisante Themen. Expert*innen liefern das Fachwissen, und am Ende übergibt der ausgeloste Bürgerrat Empfehlungen an die Politik im sogenannten Bürgergutachten. "Das Interessante ist, dass es eine Ergänzung zum Parlamentarismus ist", sagt Claudine Nierth. "Die Politiker erfahren genau dann etwas, was sie sonst nicht erfahren. Weil das ausgeloste Gremium, der ausgeloste Bürgerrat, ist ja wie ein kleines Mini-Deutschland."

Beim ersten Bürgerrat in Deutschland ging es vor allem darum, die Demokratie zu stärken. 22 Vorschläge wurden an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble überreicht. Was damit weiter passieren wird, ist noch nicht endgültig geklärt. Insgesamt also ein eher sanfter Einstieg in das Verfahren. Richtig zur Sache ging es dagegen in Irland. Dort hat ein ausgelostes Gremium die Volksabstimmungen zur Ehe für alle und zum neuen Abtreibungsrecht vorbereitet. Und in Frankreich gibt es momentan einen Bürgerrat zum wohl heißesten Thema unserer Generation: Klimapolitik. Befürworter*innen loben, dass besonders emotionsgeladene Debatten versachlicht und der gesellschaftliche Konflikt entschärft werden können.

Chance oder Frustgarant?

Aber es gibt auch kritische Stimmen zum potenziellen Demokratie-Update: Professor Stefan Wurster von der Hochschule für Politik München warnt zum Beispiel, dass ein ausgeloster Bürgerrat auch zu Riesenfrust führen kann, und zwar dann, wenn sich trotz Bürgerbeteiligung nichts ändert und der Eindruck entsteht, der Rat und damit die Bürger*innen würden nur zum Schein befragt. Wurster findet, ausgeloste Bürgerräte würden am besten in den Kommunen und auf Landesebene funktionieren. Es sei nämlich nicht zu unterschätzen, dass Politiker*innen im Gegensatz zu ausgelosten Räten am Ende für ihre Arbeit geradestehen müssen: "In Parlamenten sind Repräsentanten, die für ihr Handeln auch Verantwortung übernehmen müssen, in dem sie nach vier oder fünf Jahren wiedergewählt werden, oder eben nicht. Während diese Gremien keine weitere Verantwortung übernehmen müssen für das, was am Ende rauskommt."

Ob ausgeloste Bürgerräte auch in Deutschland zukünftig das Parlament beraten werden, ist also noch unklar. Aber in den Bundesländern tut sich was: Im Saarland und in Thüringen sollen zukünftig ausgeloste Bürgerräte mehr Bürger*innenbeteiligung ermöglichen und dafür sorgen, dass die Zufriedenheit steigt.

PULS am 12.03.2020. ab 15 Uhr