Serie // "Unbelievable" Unglaublich, aber leider wahr

So einfühlsam, wie in der neuen True Crime-Serie von Netflix, wurden sexualisierte Gewalt, Traumata von Betroffenen und die Fehler im Polizeisystem noch nie gezeigt. "Unbelievable" fesselt euch an die Couch und macht nachdenklich.

Von: Vanessa Schneider

Stand: 19.09.2019 | Archiv

Eine Szene aus der Netflix True Crmime Serie "Unbelievable". | Bild: Beth Dubber / Netflix

Diese Serie gehört auf eure Watchlist, wenn... ihr die super toughe und empathische Ermittlerin Stella Gibson aus der Krimiserie "The Fall" feiert, euch das wahre Schicksal der fünf Männer aus "When They See Us" mitgenommen hat und ihr die komplexe Geschichte aus "Quicksand" mochtet.
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Keine entblößten Brüste, kein schmerzverzerrtes Gesicht, keine Tränen. Die grausame Tat, die im Mittelpunkt von "Unbelievable" steht, wird nie ausgestellt. Sie bedient nicht unseren Voyeurismus und folgt nicht dem sadistischen Blick des Täters. Alles was wir sehen, sehen wir durch die Augen des Opfers. Und das ist nicht viel. Denn an besonders viel erinnert sich die 18-jährige Marie Adler (Kaitlyn Dever aus "Booksmart") nicht, nachdem sie im August 2008 in ihrer Wohnung überfallen und vergewaltigt worden ist.

Marie meldet sich sofort bei der Polizei, sie vertraut sich ihren Pflegemüttern an und einem guten Freund. Trotzdem kommen bei allen Beteiligten schnell Zweifel auf: Kann das, was Marie erzählt, so wirklich passiert sein? Nach der vierten Aussage ist sie sich schließlich selbst nicht mehr so sicher. Ich bin es plötzlich auch nicht mehr – Marie wirkt auch auf mich irgendwie unglaubwürdig, eben unbelievable. Weil sich ihre Aussagen in vielen Details widersprechen und die Polizei keine Spuren des Überfalls finden kann, drängt die Polizei die sichtbar traumatisierte, junge Frau dazu, ihre Anzeige zurückzuziehen. Der Fall landet bei den Akten, Marie wird von der Stadt wegen Falschanzeige verklagt.

Unglaublich ist an dieser Story vieles

Marie Adler heißt in Wirklichkeit anders. Ihre Geschichte ist aber so wahr wie unglaublich. Genau wie die der beiden Polizistinnen, die Maries Vergewaltiger ins Gefängnis bringen: Drei Jahre später wird der Täter im Nachbarstaat gefasst. Bis dahin hatte er – ohne Spuren zu hinterlassen – in verschiedenen Polizeibezirken und Bundesstaaten fünf weitere Frauen überfallen und vergewaltigt. Bei den Ermittlungen in einem dieser Fälle erfährt die Kommissarin Karen Duvall (empathisch und hartnäckig gespielt von Merritt Wever) zufällig von einem ähnlichen Fall ein paar Orte weiter. Zusammen mit Grace Rasmussen (Toni Collette), einer knallharten Polizistin aus dem Nachbarbezirk, fahndet sie erst auf eigene Faust, dann in einer Sondereinheit nach dem Täter. Anders als die männlichen Polizisten in Maries Fall, hören Duvall und Rasmussen den betroffenen Frauen unvoreingenommen zu. Sie fragen behutsam nach – einmal, nicht immer wieder. Sie weisen auf Hilfsangebote hin und erkundigen sich später, ob es den Frauen gut geht.

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Unbelievable | Offizieller Trailer | Netflix | Bild: Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz (via YouTube)

Unbelievable | Offizieller Trailer | Netflix

Wie diese komplizierten Sexualdelikte aufgeklärt wurden, was das Trauma der Vergewaltigung mit den Opfern anrichtet, wie unterschiedlich es sich äußern kann und warum das männlich geprägte Polizeisystem die Ermittlungen in diesen Fällen oft selbst behindert: All das zeigt "Unbelievable" ungewohnt sensibel und eindringlich in zwei verschiedenen Handlungssträngen, die erst ganz am Ende aufeinandertreffen.

Fesselnd und mitfühlend erzählt

Grace Rasmussen (Toni Collette) und Karen Duvall (Merritt Wever) bei einer Befragung.

Die Serie basiert auf der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Recherche der Journalisten T. Christian Miller und Ken Armstrong. Wie deren Artikel verzichtet auch die Serie auf einfache Erklärungen, Schwarz-Weiß-Malerei und Schuldzuweisungen. Überhaupt: "Unbelievable" umgeht vieles, was wir von Krimiserien gewohnt sind. Sie stellt die Erfahrungen der Opfer in den Fokus der Geschichte, aber auch der Kamera und damit viele übliche Vorstellungen von Vergewaltigungsfällen mit Fakten und Kontext auf den Kopf. Und sie konfrontiert uns vor den Bildschirmen mit unseren eigenen Vorbehalten und der Frage, warum unsere Gesellschaft so oft nicht bereit ist, Betroffenen von sexueller Gewalt wirklich zuzuhören und zu glauben.

Die Serie ist nicht leicht zu ertragen, aber sie ist so fesselnd und mitfühlend erzählt, dass es schwer fällt auszuschalten. Das liegt vor allem an den drei fantastischen Hauptdarstellerinnen Kaitlyn Dever, Toni Collette und Merritt Wever, die ihren sehr komplexen Figuren viel Tiefe und Verletzlichkeit geben. Aber auch am tollen Drehbuch von Susannah Grant ("Erin Brockovich"), das die Balance zwischen spannendem, unterhaltsamen Krimi und sensiblem Drama perfekt hält. Und uns so immer wieder Raum gibt zum Nachdenken und zum Atmen – manchmal sogar zum Schmunzeln. "Unbelievable" ist wirklich die beste True Crime-Serie, die ich je gesehen habe.

"Unbelievable" könnt ihr komplett bei Netflix streamen. 

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Sendung: Hochfahren vom 18.09.2019 – ab 7 Uhr.