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Sex als Performancekunst 365 Tage, 365 Männer

Ein Jahr mit 365 Akten. So könnte man das Projekt des Künstlers Mischa Badasyan beschreiben: Er will ein Jahr lang jeden Tag mit einem anderen Mann schlafen. Uns hat der Wahlberliner erzählt, wie Sex zu Kunst wird.

Von: Daniel Köhler

Stand: 02.09.2014 | Archiv

Der Künstler Mischa Badasyan | Bild: Andrea Linss

365 mal Sex mit 365 fremden Männern - für die meisten wahrscheinlich unvorstellbar. Für den russischen Performancekünstler Mischa Badasyan ein wichtiges Kunstprojekt. Wir wollten wissen, was genau hinter dem Projekt "Save the Date" steckt und haben mit Mischa geredet.

PULS: Als ich von dir gehört habe, habe ich mich als erstes gefragt: Hakt's eigentlich bei dir?

Mischa Badasyan: Nachdem die ganzen Artikel und Interviews weltweit veröffentlicht wurden, kommen sehr viele krasse Kommentare und komische Anfragen. Freunde von mir meinen auch, dass es gefährlich ist und ich damit nichts erreichen kann. Aber meistens werde ich schon unterstützt.

Was genau möchtest du denn mit der Aktion erreichen?

Es ist natürlich auch therapeutisch. Die Idee ist supereinfach, aber dazu kommen so viele Sachen. Da ich noch nie eine Liebesbeziehung hatte, bin ich nie dazugekommen, Liebe zu erwarten, sondern sie zu geben. Und jetzt ist es mittlerweile schon ein politisches Projekt. Es tauchen viele Themen auf, mit denen ich mich auseinandersetzen muss: Prostitution, sexuelle Freiheit, Selbstbewusstsein, Safer Sex. Ich habe auch viele Morddrohungen und rassistische Aussagen bekommen.

Du sagst in der Beschreibung deines Projekts auch, dass es um Einsamkeit geht. Aber wenn du 365 Tage mit jemandem zusammen bist, kannst du ja eigentlich gar nicht einsam sein.

Eine Freundin aus Norwegen hat mir gestern ein Plakat geschickt, auf dem stand: "Es ist besser alleine aufzuwachen und festzustellen, dass man alleine ist, statt mit jemandem zusammen aufzuwachen und trotzdem festzustellen, dass man alleine ist." Ich habe in meinem Leben viele Erfahrungen gemacht, aber ich habe nie jemanden gefunden, mit dem ich zusammensein könnte.

Hast du Angst um deinen Körper?

Gesundheitlich nein, weil ich kerngesund bin. Vor Geschlechtskrankheiten schütze ich mich. Ich arbeite auch mit der deutschen AIDS-Hilfe und mit anderen Vereinen zusammen. Klar, es kann immer etwas passieren, aber allgemein bin ich sicher.

Dann blicken wir mal nach vorne: Es ist der erste Tag deines Projekts. Wo kriegst du deinen Sexpartner her?

Ich gehe online und logge mich bei verschiedenen Gay-Chats ein und dann suche ich mir einen Partner.

Wirst du deine Sexualpartner aufklären und ihnen berichten, warum du mit ihnen Sex haben wirst?

Ich wurde zwar oft dafür kritisiert, aber das Ganze muss anonym bleiben. Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht, weil ich im Rahmen eines Kunstprojekts arbeite. Ich denke wenn Personen merken, dass sie Teil eines Projekts waren, fänden sie es sicher cool, auch wenn weiterhin alles anonym bleibt.

Wie verhinderst du, dass du irgendwann das Gefühl bekommst, dich zu prostituieren und zu einer Nutte zu werden?

Warum soll ich das verhindern? Wenn das so passiert, ist das okay.

Du benutzt in deinem Projekt das Wort "sexueller Nicht-Ort". Was verstehst du darunter?

Das sind cruising areas wie Tiergarten, Hasenheidepark, Volkspark Friedrichshain, Kurfürstenstraße, Toiletten, Klappen, Sexclubs, Sexbars, Saunas - das sind die Orte, wo der Sex stattfindet. Das ist der Ort der Einsamkeit, wo Menschen nicht miteinander kommunizieren, wo Menschen nicht mal nach dem Namen fragen und wo Menschen sich auch verlieren.

Hast du überhaupt Lust auf jeden Tag Sex?

Es dreht sich nicht alles um Sex. Es geht um die Beziehung, um die Begegnungen. Ich freue mich darauf, die Menschen kennenzulernen, ich sammle ihre Geschichten und die schönen Momente. Sex ist dafür der Ausdruck. Klar, wenn ich mich jeden Tag mit jemandem treffen muss, habe ich keine Zeit, fünf Stunden mit ihm im Kino oder Café zu sitzen und zu quatschen. Es kommt der Punkt, wo ich den sexuellen Drang einfach spüre.

In welchem Fall würdest du das Projekt abbrechen?

Schwierig... Ich muss da einfach durch und kann nicht einfach aufhören! Dann wäre mein Leben kaputt. Wenn ich mich mit HIV anstecken würde, hätte ich weiterhin Dates - aber ohne sexuelle Kontakte. Für mich ist Sex mehr als reine Penetration. Sex ist etwas besonderes und vielfältiges.

Kann man den Sex jeden Tag besonders machen? Kann man jedes Mal Intimität herstellen?

Ja, natürlich! Ein Freund hat mir erzählt, dass er Sex mit Wimpern hatte. Er lag einfach nackt mit einem Typen im Bett und beide haben sich Wimpern angeklebt. Beide waren sexuell erregt.

Wie antwortest du auf die Frage "Zu mir oder zu dir?"

Die Idee war, dass ich ein Stück von der Person mitnehme. Sein Feuerzeug, ein Stück Papier... Irgendetwas aus dem Schlafzimmer. Wenn der Sex immer bei mir stattfindet, kann ich natürlich nicht so viel mitnehmen. Es ist spannender, wenn ich irgendwo hingehe und den Ort kennenlernen kann. Ich will auch den Sound aufnehmen. Die Stimmen werden aber natürlich verfremdet.

Wie wirst du die Ergebnisse deines Projekts aufbereiten?

Ich habe keine Ahnung, das ist gerade alles zu viel in meinem Kopf. Der Regisseur Jochen Hick will einen Film über mich und das Projekt machen. Arte macht eine Doku, und auch andere Journalisten und Regisseure wollen mit mir arbeiten. Während des Projekts werde ich ein Videotagebuch führen, Fotos und Sounds aufnehmen. Es wird viel Material geben, aus denen ich Kunstbücher machen will.


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