Kommentar zu GNTM Warum auch die Sprache bei Germany's next Topmodel ein Problem ist

"Personality", "100.000 Prozent geben", "Potential haben" – so redet Heidi Klum über ihre "Mädchen". Die Kandidatinnen selbst haben das längst übernommen. Was an dem Vokabular der GNTM-Generation problematisch ist. Ein Kommentar.

Von: Lena Großmann

Stand: 23.05.2019 | Archiv

Heidi Klum | Bild: picture-alliance/dpa

Es gibt die Generation GNTM, die mit der Fernsehsendung aufgewachsen ist. Ich gehöre dazu. Ich war sechs Jahre alt und in der Grundschule, als Germany’s next Topmodel zum ersten Mal über Deutschlands Bildschirme flackerte. Begeistert haben meine Freundinnen und ich auf dem Schulhof selbst Topmodel gespielt: Catwalks, Fotoshootings und die Entscheidung. Doch ich bin älter geworden und habe hinterfragt, was ich mir da ansehe – und wie bescheuert da gesprochen wird.

Der Traum von Germany’s next Topmodel

Die Teilnehmerinnen der diesjährigen Staffel gehören auch zur GNTM-Generation. Wie ich gucken sie die Sendung seit ihrer Kindheit. Ihr größter Traum: Germany’s next Topmodel werden. Darauf bereiten sie sich vor, seit sie klein sind. Zu dieser Vorbereitung gehört anscheinend auch, das absurde, auf Anglizismen basierende GNTM Vokabular anzunehmen. Dazu zählen: "Personality", "Diversity" oder auch "die Beste sein", "alles geben" und "Potential".  Die Teilnehmerinnen plaudern Floskeln nach, die Heidi Klum seit 14 Jahren piepst. Diese GNTM-Lingo ist darauf ausgelegt, dass die Mädels kämpfen sollen. Eine (Sprach-)Welt aus Druck und Leistungsbereitschaft. Normalsein wird als Defizit dargestellt.

Wenn gut sein nicht mehr ausreicht

Teilnehmerin der aktuellen Staffel, Cäcilia, ist das perfekt Beispiel für die Verinnerlichung der GNTM-Sprache: "Ich werde wirklich 100.000 Prozent geben und versuchen, alles, was in mir steckt rauszuholen und einfach die Beste zu sein." 100 Prozent reichen in der GNTM-Welt einfach nicht mehr. Daran erinnert Heidi jede Woche mindestens einmal mit ihrem Lieblingssatz: "Nur EINE kann Germany’s next Topmodel werden!" Das geht nicht mehr nur mit einem hübschen Gesicht, die "Model-Mama" möchte "Personality", "Diversity" und "Attitude". Sie verlangt von ihren "Mädchen", dass sie "über sich hinauswachsen" und "über ihre Grenzen gehen". Gut zu sein ist in ihrer Logik einfach zu wenig. Das macht sie nach dem Fotoshooting in der vorletzten Folge klar: "Drei waren top und zwei waren gut. Aber die waren nicht top. Reicht gut für den Titel Germany’s next Topmodel?" In der GNTM-Sprache geht es nur um solche Übertreibungen. Die Sprache überträgt sich auf die Anforderungen: Die Kandidatinnen sollen übertrieben erwachsen und reif sein, obwohl einige von ihnen noch keine 18 Jahre alt sind. Dass man in diesem Alter meist noch mitten in der Selbstfindungsphase steckt, wird völlig ausgeblendet und nicht zugelassen. Der Druck verheizt schon junge Frauen. Völlig unverantwortlich den Kandidatinnen gegenüber – und den jungen Zuschauern, die denken, dass das normal ist.

Die Personality muss "special", "sexy" und "strong" sein

In dieser Staffel war die Vokabel "Personality" Heidis Favorit und sie hat ihr auch gleich eine ganze Folge gewidmet. In der sollten die Teilnehmerinnen durch ihren "Walk" und ihr selbstgewähltes Styling ausdrücken, wer sie sind. Leider meint "Personality" für Heidi, dass "Mädchen" extrovertiert sind, sich präsentieren und auch mal Drama machen können – dass sie sich mit irgendeiner Besonderheit von allen abheben. Übertrieben eben. Einer Kandidatin ging das "Personality"-Gelaber genauso auf die Nerven wie mir: Caroline. Sie war unscheinbarer als ihre Mitmodels, hat weniger Drama gemacht, war einfach eine ganz normale junge Frau. Genau damit musste sie in der "Personality"-Folge ordentlich einstecken. Ihr wurde durch die Blume vorgeworfen, dass sie keine Persönlichkeit hat. Diese komplett oberflächliche Definition von Persönlichkeit kam nicht nur von "Model-Mama" Heidi, sondern auch von den Kandidatinnen selbst. Dass die Schmarrn ist, erkannte Caroline zum Glück selbst: "Also, das Personality Thema, dass ich keine haben sollte, nervt mich mittlerweile extremst. Weil, hallo, ich habe 21 Jahre gelebt bisher und natürlich habe ich eine Personality." Caroline bringt es auf den Punkt: Jeder Mensch hat eine "Personality". Für eine Persönlichkeit muss man sich nicht um Klamotten streiten oder den megasexy "Walk" hinlegen.  

Das perfide "Personality"-Gerede spitzt sich im Finale der Staffel zu: Die Zuschauenden können mit dem "Personality-Award" eine von Heidis Nominierten für die beste Persönlichkeit auszeichnen: Tatjana, Theresia oder Melissa. Drei Mädels also, die besonders aufgefallen sind. Dem Zuschauer wird sogar hier Heidis unsinnige "Personality"-Definition aufgedrückt. Nicht ganz so auffällige Persönlichkeiten wie Caroline stehen gar nicht erst zur Wahl. Dieser Preis verstärkt das absurde GNTM-Gefasel und die Anforderung, "special" zu sein.

Das GNTM-Trinkspiel

Ich habe die GNTM-Sprache auch übernommen. Aber ganz anders, als die Kandidatinnen. Jeden Donnerstag habe ich eine Verabredung mit meinen Freunden, zum Germany’s next Topmodel-Trinkspiel. Das Prinzip ist ganz einfach: Die Spieler trinken immer dann, wenn Worte wie "Diversity", "Personality" oder "Attitude" fallen – also eigentlich immer! Wir freuen uns aufs Finale. Spätestens nach dem "Personality-Award" wird wohl keiner mehr nüchtern sein.

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Sendung: PULS am 23.5.2019 - ab 15 Uhr