Film // "Utøya, 22. Juli" Warum dieser Film über das Breivik-Attentat ratlos und wütend macht

Utøya. Dieser Name hat sich ins Gedächtnis gebrannt. 2011 erschoss Anders Breivik auf der norwegischen Insel 69 Menschen. Der Film "Utøya, 22. Juli" versucht die Tat zu verarbeiten – scheitert aber fürchterlich.

Von: Bettina Dunkel

Stand: 20.09.2018 | Archiv

Utøya 22. Juli - Szene aus dem Film | Bild: Weltkino

Es ist 17:06 Uhr, als Kaja das erste Mal ins Bild tritt. Knapp zwei Stunden zuvor ist im Regierungsviertel von Oslo eine Bombe explodiert, acht Menschen wurden dabei getötet. Kaja ist 30 Kilometer entfernt von Oslo auf einer Insel namens Utøya. Besser kann sie nicht aufgehoben sein, versucht sie ihrer Mutter am Telefon klarzumachen.

"Ja, Mama, das verstehe ich. Aber wir sind hier auf einer Insel. Das ist der sicherste Ort der Welt, entspann dich. Kein Grund, dir Sorgen zu machen."

Hauptfigur Kaja im Film Utøya

Als Zuschauer weiß man, dass Kaja mit ihrer Einschätzung falsch liegt. Denn nur wenige Minuten später rennt die 18-Jährige um ihr Leben – zusammen mit 560 anderen Kindern und Jugendlichen, die auf der Insel eine Sommerfreizeit verbringen und von Anders Breivik wahllos ins Visier genommen werden.

72 unendliche Minuten dauerte der Terror auf der Insel im Sommer 2011. Der Spielfilm "Utøya, 22. Juli", unter der Regie von Erik Poppe, bildet den Horror minutiös ab und folgt Kaja, gespielt von Andrea Berntzen, 72 quälende Minuten auf Schritt und Tritt. Die Kamera rennt mit ihr, als sie mit anderen in die Haupthütte flüchtet. Sie duckt sich mit ihr auf den Boden, versucht einzufangen, was außerhalb der Holzwände passiert und flüchtet mit der panischen Gruppe in den Wald, als auch die Hütte unter Beschuss genommen wird.

Der Film macht uns zu Schaulustigen

Als Zuschauer hat man keine andere Wahl, als zu folgen. Die Kamera will, dass man hautnah dabei ist und die Todesangst der anderen sieht. Sie schneidet das Blickfeld ab, wenn sie sich in den regennassen Waldboden drücken und zeigt die verzweifelten Versuche, per Handy Kontakt mit der Polizei oder ihren Eltern aufzunehmen. Was anfangs Beklemmung auslöst, schlägt sehr schnell in einen rein voyeuristischen Blickwinkel um. Der Film macht einen zum Schaulustigen. Und das ist mindestens so unangenehm, wie es klingt.

Der dramaturgische Spannungsbogen ist damit aber noch lange nicht am Höhepunkt. Damit man nicht 72 Minuten lang nach einem möglichst sicheren Versteck sucht, wurde Kaja – die übrigens wie alle anderen Sprechrollen eine fiktive Figur ist – in der Eingangssequenz als verantwortungsbewusste Person vorgestellt, die das Camp im Griff hat und ihre kleine Schwester im Blick. Eben die versucht Kaja nun zu finden. Denn sie denkt nicht nur an sich, sie denkt auch andere. Deswegen möchte sie Politikerin werden, erfährt man später im Film. Und deswegen hält sie auch gleich zu Beginn des Films eine kurze Ansprache und sagt mit direktem Blick in die Kamera:

"Du wirst das nie verstehen. Hör mir gut zu."

Hauptfigur Kaja im Film Utøya

Im Film scheint Kaja diese Worte an ihre Mutter zu richten, mit der sie in der Anfangssequenz telefoniert. Aber natürlich sind diese Worte für uns Zuschauer bestimmt, die es eventuell wagen könnte, kritisch über den Film zu urteilen. Denn wer könnte schon jemals verstehen und wiedergeben, was sich damals abgespielt hat, am 22. Juli 2011 auf Utøya?

Steile These: die Betroffenen. Und zwar nur sie. Deswegen wäre der einzig richtige Film über das Breivik-Attentat eine Dokumentation gewesen. Ein Film, der die Menschen zu Wort kommen lässt, die das Massaker auf Utøya erlebt und überlebt haben. Einer, der sich auf sensible und pietätvolle Art dem nähert, was diesen Menschen angetan wurde und der zur Aufarbeitung des Geschehenen beitragen will. "Utøya, 22. Juli" hingegen lässt einen mit seinem deplatzierten Sensationalismus nur ratlos und wütend zurück.

"Utøya, 22. Juli" startet am 20.09.2018 in den Kinos.

Sendung: Hochfahren vom 20.09.2018 ab 7 Uhr.