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Interview // Regisseurin Eva Husson "Den Schockmoment gibt es nur noch in Pornos"

Der Film "Bang Gang – A Modern Love Story" wird jetzt schon mit dem Klassiker "Kids" aus den 90ern verglichen. Die Gemeinsamkeit: Teenager, Sex, Alkohol, Drogen. Wir haben mit Regisseurin Eva Husson über ihren Film gesprochen.

Von: Katja Engelhardt

Stand: 23.06.2016 | Archiv

Bang Gang Screenshot | Bild: Pierrot le Fou

Eine Clique von Oberschülern startet eine Partyreihe mit geplanten Orgien. Sie nennen das "Bang Gang" – eine Gang mit Bang-Effekt und Handys, die alles festhalten. Obwohl jeder Mund jeden berührt und irgendwann einfach alle miteinander Sex haben, ist die erste intime Szene die, in der Schüler Gabriel seinen körperlich eingeschränkten Vater duscht. Tennie-Liebe? Fehlanzeige. Zumindest erstmal.

Die französische Regisseurin Eva Husson hat an der Pariser Elite-Uni Sorbonne Englische Literatur studiert, Musikvideos für Florence & The Machine und M83 gedreht und wurde zu "Bang Gang" von einem Zeitungsartikel über genau so eine Gang inspiriert.

PULS: Dein Film heißt "Bang Gang - A Modern Love Story" – was ist denn so modern an dieser Liebesgeschichte?

Eva Husson: Das ist etwas ironisch gemeint. Ich finde Liebesgeschichten können gar nicht modern sein. Wir leben in einer Welt, die noch nie jemand vorher gesehen hat, wir sind in der digitalen Revolution. Ich glaube, das beeinflusst uns sehr stark. Diese Kids wachsen in einer Welt auf, in der die Repräsentation von dir fast genauso wichtig ist, wie die Person, die du bist. Es ist nicht leicht zu verstehen, was das heißt.

Aber es geht auch um die andere Bedeutung von "modern" - nämlich "Moderne". Nach dem ersten Weltkrieg war so viel anders, nichts machte mehr Sinn und die Leute haben versucht, diese chaotische Welt zu ordnen - durch das Wort "Moderne". Seit der digitalen Revolution leben wir grade auch in einer Welt, in der Werte kollabieren und wir versuchen, uns einen Reim darauf zu machen.

Die Darsteller sind alle Teenager. In "Bang Gang" gibt es so viele Sexszenen, einige von ihnen sind wirklich recht derb. Wie schwer war es für dich, eine gute Stimmung am Set zu schaffen?

Ja, die sind sehr jung! Naja, ich hab selbst als Schauspielerin angefangen und weiß, dass man sich bei sowas wohl fühlen muss. Da ist das Casting wahnsinnig wichtig. Ich hatte echt Glück. Alle haben sich am Set wohl gefühlt. Ich wollte auch niemanden zwingen und hab gesagt: Du kannst immer gehen, egal ob die Kamera läuft oder nicht. In 20 Jahren sollen die Schauspieler alle zurückschauen und sagen: "Oh Gott, das war so verrückt, ich hab's geliebt."

Viele vergleichen deinen Film mit dem Film "Kids" aus den 90ern. Verstehst du das?

Es gibt wenig Regisseure, die sich mit Sex zwischen Teenagern beschäftigen und ihn auch darstellen. Aber viele, die die beiden Filme vergleichen, haben "Kids" schon eine Weile lang nicht mehr gesehen. Mein Film ist nicht frontal, es geht um die Suggestion. Ich scheue nicht zurück, aber ich schocke auch nicht. Im Jahr 2016 ist ein Film nicht interessant, wenn er schockieren will. Wir haben alles gesehen. Wir haben alles gehört. Den Schockmoment gibt es nur noch in Pornos im Netz.

Außerdem ist "Kids" sehr pessimistisch. Bei dieser Generation macht das auch Sinn. Das war meine Generation. Wir konnten keinen Sex haben, ohne an den Tod zu denken. Man hatte keinen Sex ohne Kondom, denn man hätte AIDS bekommen können. Die neue Generation hat nicht dieselbe Beziehung zu Geschlechtskrankheiten. Das ist ein bisschen wie in den 80ern, als alles noch etwas freier war, ohne große Konsequenzen: Man hatte die Pille, keine Krankheiten. Das hat sich geändert.

Dein Film ist auch sehr viel wärmer erzählt. Es geht darum, wie die Teenager zur Bang Gang werden. Und das zeigt auch die Musik. Die Bang Gang feiert immer im Haus von Alex, wenn seine Mutter nicht da ist. Am Anfang der Party ist es eher ein Experiment, da kommt klassische Musik und mit einem gewissen Overkill setzt Clubmusik ein, bis Alex in seinen Pool springt und unter Wasser ist. Dann herrscht endlich Ruhe.

Das ist der einzige Ort, an dem er alleine ist. Die ganzen ständigen Gäste haben seinen privaten Raum eingenommen. Das witzige ist, wir haben alle Sexszenen im Haus zuerst gedreht.

Gleich am Anfang?

Ja, ich hatte Angst davor, die Sexszenen zu machen, gerade die Gruppensexszenen. Ich wollte sie aus dem Weg haben, damit wir dann frei atmen können, sozusagen. Am Anfang waren die Kids total enthusiastisch: Sie sind in einem Film, es ist was Besonderes, eine tolle neue Erfahrung. Wir haben fünf Tage lang die Gruppenszenen gedreht. Am fünften Tag wollte niemand mehr nackt sein (lacht). Die letzte Szene war die Szene beim Pool und da ist kaum noch jemand nackt. Und genau das ist der Moment, in dem Alex sich denkt: Das ist zu viel. Und das war auch im echten Leben so. Am Anfang ist alles besonders, aber nach kurzer Zeit ist das alles nicht mehr transgressive und man geht zurück zu den normale Dingen: Liebe ich dich? Liebst du mich? Fühle ich mich so wohl?

Zu der Bang Gang gehört auch Laetitia. Die habe ich gleich gemocht. Am Anfang ist sie noch schüchtern…

Laetitia mag ich auch sehr!

Sie scheint sich so wahnsinnig zu verändern. Erst ist sie sehr schüchtern, dann macht sie mit und filmt auch, wie andere Sex haben. Sie wird passiv und aktiv gleichzeitig. Das ist total widersprüchlich. Aber ist das vielleicht sogar typisch für einen Teenager?

Ich kann nicht für jede Jugend sprechen, aber genau darum ging es mir. Aus meiner Erfahrung weiß ich: Als Jugendlicher kannst du von einem zum anderen wechseln - innerhalb von einer Sekunde. Man erkundet seine verschiedenen Identitäten und versucht die zu finden, mit der man sich wohl fühlt. Alex zum Beispiel denkt, er wird die Bang Gang lieben. Und das tut er auch - für ein paar Wochen. Du magst etwas, aber es funktioniert vielleicht nicht für dich. So ist es auch mit Laetita. Erst denkt sie, sie würde es nicht mögen, dann liebt sie es.

Das ist einer der wichtigsten Momente im Leben, wenn du merkst: Es ist nicht was du erwartet hast, aber es war trotzdem sehr spannend. Und du musst dich dafür nicht schämen. Im Film hat man dafür fünf Minuten. Man nimmt Abkürzungen. Und die Figuren werden noch ein paar Jahre brauchen. Aber sie sind auf dem richtigen Weg.


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