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Interview // Comicautorin Mariko Tamaki "Horrorfilme auszuhalten ist ein Zeichen von Erwachsensein"

Gestatten: Mariko Tamaki, gefeierte Comicautorin. In ihren Graphic Novels werden Außenseiter zum Mittelpunkt. Das geht deep. Tamaki kann aber auch anderes und schreibt Comics für die Ninja Turtles und Lara Croft.

Von: Katja Engelhardt

Stand: 26.11.2015 | Archiv

Comicautorin Mariko Tamaki | Bild: Mariko Tamaki

Die Graphic Novel "Sommer am See" haben wir frenetischst gefeiert. Darin geht es um die Mädchen Rose und Wendy, die seit Jahren eine Urlaubsfreundschaft führen. Ihre Eltern fahren mit ihnen nämlich jeden Sommer an diesen einen See. Nur diesen Sommer ist etwas anders: Rose verknallt sich in einen Typ aus dem kleinen Ort, will sich Horrorfilme reinziehen ohne Ende und quittiert Roses Witze mit Antworten, die Erwachsene geben würden: "Lass das." Gleichzeitig verändern sich auch die Eltern von Rose und so wird sie auf zwei Arten sehr viel erwachsener in diesem Sommer.

Mariko Tamaki hat "Sommer am See" zusammen mit ihrer Cousine Jillian Tamaki gemacht. Mariko hat die Geschichte geschrieben, Jillian zeichnet sie. Das hat auch schon bei der vielgelobten Graphic Novel "Skim" bestens funktioniert.

PULS: Wie läuft eigentlich die Zusammenarbeit zwischen dir und deiner Cousine ab? Gibt es auch Stellen in der Geschichte, an denen ihr euch komplett uneinig wart?

Mariko: Manchmal finde ich Sachen witzig und Jillian mag die überhaupt nicht, die zeichnet sie einfach nicht. Aber wenn es darum geht, wo wir uns wirklich uneinig waren… Ich hatte ursprünglich eine Traum-Sequenz für "Sommer am See" geschrieben – gezeichnet sah die aber wahnsinnig kitschig aus. Die ist dann rausgeflogen. Aber mit dem Skript für einen Comic ist es halt wie mit einer Masterarbeit: wenn alles fertig ist, wandert es in eine Schublade. Aber ich mag das auch. Diese geheime Geschichte, die nur ich, Jullian und der Redakteur kennen.

Du hast grade schon gesagt, dass manche Sachen gezeichnet einfach nicht funktionieren – und du schreibst ja auch Theaterstücke und Prosa. Was magst du dann so an Comics?

Ich liebe, dass man Widersprüchliches erzählen kann. Ein Charakter kann das eine sagen – aber was anderes meinen. Die meisten Dinge im Leben sind eben nicht einfach. Wenn Eltern zum Beispiel einem Kind sagen, alles ist gut – und man weiß genau: Das stimmt nicht.

In deiner Graphic Novel "Sommer am See" schauen die beiden Mädchen Rose und Wendy zum allerersten Mal Horrorfilme. Ist das für dich ein wichtiger Teil des Erwachsenwerdens?

Das basiert auf dem, was ich selbst erlebt habe. Erst haben alle "Das letzte Einhorn" geschaut – und dann auf einmal "Nightmare on Elm Street". Das war ein Zeichen vom Erwachsensein, dass du diese Filme ausgehalten hast. Und für mich geht es auch um das Image von Frauen in Horrorfilmen. Die sind schlimm. Frauen sind ständig schutzlos und werden zerstückelt.

Von den beiden Mädchen ist Rose die, die Horrorfilme sehen will – Wendy hat da nicht so Lust drauf. Und es ist auch Wendy, die ihrer Freundin Rose steckt, dass sie ziemlich sexistisch ist. Als Kind ist das echt schwer, Freunden zu sagen, wenn sie bei so einem Thema falsch liegen. Ging's dir da auch so?

Ich war in meiner Gruppe die Jüngste. Und ich bin lesbisch. Meine Freundinnen haben sich in Jungs verliebt und ich war immer eher so: Wieso müssen wir mit den Typen rumhängen, ich versteh nicht wieso? Niemand glaubt, mehr übers Frausein zu wissen als eine 14-Jährige. Es gibt diese jungen Expertinnen, die ihr Umfeld geradezu unterdrücken: Trägst du die richtige Hose? Hast du die richtige Frisur? Es gibt Dinge, die deine Eltern dir erlauben – und Dinge, die Gleichaltrige erlauben. Ich wollte mit der Graphic Novel "Sommer am See" in diese Welt eintauchen.

Deine Sicht auf sexistische Verhaltensweisen und einengende gesellschaftliche Standpunkte machst du auch noch anders Luft. Du bist ja auch Performance-Künstlerin. Was hast du so gemacht?

Ich hab viel gemacht. Ich war Teil einer fat activist group, die hieß "Pretty Porky and Pissed Off". Davon gibt's zum Glück nicht viele Videos. Aber ich hab schon immer Theater gemacht in Kanada, auch in einer homosexuellen Theaterguppe in Toronto. Das tolle an Performances ist, dass Erfolg anders definiert ist. Es war ein Erfolg, weil ich es gemacht habe – nicht, weil alle es gemocht oder applaudiert haben. Heutzutage gibt es so viel Feedback und Kritik auf Twitter und allgemein Social Media. Da ist es toll so eine entrückte Erfahrung zu haben. Ich ziehe mich einfach an wie ein Hase und sitze auf der Straße und singe Songs. Punkt. Mir egal, was andere denken.

Leseprobe aus "Sommer am See"

Ich finde, da ist eine Verbindung: In Comics geht es viel um Körpersprache von Figuren, an der man etwas ablesen können muss, und bei Performance-Kunst muss man sich ja auch mit Körperlichkeit auseinandersetzen.

Es ist schön, diese emotionale körperliche Erfahrung gemacht zu haben – ohne, dass sie erzählt werden muss. In romantischen Comedy-Filmen gibt's immer diese Hauptrolle, die ihren großen emotionalen Durchbruch hat, wenn sie weint und dazu immer sagt, was sie fühlt. Im echten Leben ist aber alles offen für Interpretation. Du musst dein Gegenüber deuten. Du bekommst nicht ständig gesagt, was der andere fühlt.

Man unterscheidet ja zwischen Graphic Novels und Comics. Graphic Novels sind meistens abgeschlossene Bücher in Comicform und Comics sind Reihen mit vielen Folgen. In Graphic Novels werden viel öfter Geschichten von Minderheiten erzählt. Wenn es um Superhelden-Comics geht, ist das aber immer noch ein riesen Ding, wenn es mal eine Held-IN gibt. Was glaubst du, woran das liegt?

Da passiert zur Zeit so viel. Der nächste Incredible Hulk wird ein Asiate sein! Graphic Novels sind einfach freier, was das Kreative angeht. Comics sind schon an andere Mythologien und Traditionen gebunden. Aber grade wächst eine ganz neue Generation von Comiclesern ran. Und die lesen jetzt schon Comics und Graphic Novels, deswegen verschwimmen die Welten auf lange Sicht immer mehr. Ich hatte aber auch echt Glück. Jillian und ich wurden von unserem Verleger immer unterstützt. Das ist nicht normal bei so kleineren D.I.Y.-Projekten.

Wofür ist denn ein Comic besser geeignet und wofür eine Graphic Novel? Machst du als Autorin überhaupt einen Unterschied?

Ich schreibe seit neuestem auch Comics. Grade sitze ich an der "Tomb Raider"-Serie. Es ist so schwierig, weil du nur 21 Seiten pro Ausgabe hast. Das ist ein komplett anderer Erzählprozess als bei Graphic Novels. Mittlerweile gibt's aber in beiden Bereichen super Geschichten. Ich hab grade meine Arbeit an "The Wicked +The Divine" beendet, das ist eine wahnsinnig gute Serie. "Saga" auch. Es gibt grade so verschiedene Comics.

Wie viel Freiheit hast du denn, wenn du zum Beispiel für "Tomb Raider" schreibst? Es gibt doch bestimmt Dinge, die in dieser Serie einfach nicht passieren dürfen, oder?

Es ist wie ein Puzzle. Und klar: Da muss ein tomb, also ein Grab, sein und Lara Croft wird bestimmte Dinge tun, ja. Aber es macht deswegen total viel Spaß. Mit Action hab ich mich vorher nie beschäftigt - dabei ist es so cool eine Actionszene zu schreiben. Davor hab ich ein paar Sachen für die "Teenager Mutant Ninja Turtles" gemacht. Als Autor bist du ziemlich frei. Du kannst Graphic Novels für junge Erwachsene schreiben, aber auch anderes probieren.

Auf deiner Facebook-Seite hast du ein Video von Miley Cyrus gepostet. Da tanzt sie in einem schrillen Kostüm, hinter ihr tanzen Drag Queens. Ist das eine Offenheit, die du dir vom Mainstream wünschen würdest? In deinen Graphic Novels geht es ja auch immer wieder um Charaktere, die zumindest queer sein könnten.

Ach, da geht's mir weniger um Miley Cyrus. Aber ich bin ein Fan von der Reality Show "RuPaul's Drag Race". Und die meisten Drags, die da hinter Miley tanzen, sind aus der Sendung. Dieses Jahr gab es auch die erste Drag Con. Da waren so viele junge Kids. Dass man als Teenie ein Fan davon sein kann, ist ein riesen Schritt nach vorne, finde ich. Außerdem liebe ich die Sendung "Project Runway". Diese Staffel gibt es einen Teilnehmer, der ist die künftige Generation! Die Kids sind 14, 15, 16 und die müssen nicht mal schwul sein, aber wie sie sich geben können, flamboyant, einfach, wie sie wollen, das ist super. Ich weiß, es gibt immer noch Orte, an denen wird man dafür zusammengeschlagen. Aber dass junge Menschen in den Mainstream-Medien solche Vorbilder finden können – ich liebe das!


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