Social-Media-Shutdowns Was passiert, wenn Regierungen den Stecker ziehen
Regierungen können soziale Medien wie Facebook, Twitter und Co. auf unbestimmte Zeit blocken. Immer mal wieder wird davon Gebrauch gemacht. Aber ist so etwas auch in Deutschland möglich? Und wie geht das technisch überhaupt?

Die Türkei hatte es schon, Uganda hatte es auch schon und Sri Lanka erlebt es gerade zum zweiten Mal: einen Social-Media-Shutdown. Das bedeutet: Soziale Medien wie Facebook, Twitter, WhatsApp oder Youtube werden auf Wunsch der Regierung auf unbestimmte Zeit geblockt. Niemand hat mehr Zugriff. Keine Tweets der Freunde checken, keine Nachricht an Mutti, keine Vernetzung mehr.
Und das passiert gar nicht so selten. Allein Youtube wurde seit seiner Gründung vor fünfzehn Jahren in über 24 Ländern schon mal zeitweise abgeschaltet. Und laut NetBlock, einer Londoner Agentur für digitale Rechte, gab es in den letzten vier Jahren weltweit ganze 60 Social-Media- beziehungsweise komplette Internet-Shutdowns.
Warum passiert sowas überhaupt?
In sozialen Medien können sich Informationen aller Art rasend schnell und schwer kontrollierbar verbreiten. Und das wird teilweise gezielt gesteuert: Bei den US-Wahlen 2016 oder auch der Brexit-Kampagne trugen Bots auf den sozialen Medien zur Stimmungsmache bei. Und ein Bericht der Vereinten Nationen belegt: Auch bei der Verfolgung der Rohingya in Myanmar spielte Hetze über Facebook eine entscheidende Rolle bei der Gewalteskalation. Und auch nach den Terroranschlägen in Sri Lanka geisterten schon wenige Stunden nach dem Attentat Nachrichten mit Namen der mutmaßlichen Täter durch die sozialen Medien – obwohl zu dem Zeitpunkt noch überhaupt nichts feststand.
Fake News als Vorwand
Hate Speech und Fake News sind ein Problem, das stimmt schon. Oft schieben aber gerade autoritär regierte Länder – und genau dort passieren solche Shutdowns am häufigsten – das Argument nur vor, man wolle die Verbreitung von Fake News eindämmen. Denn die freie Verbreitung von Informationen über das Netz schmeckt autoritären Regierungen natürlich gar nicht. Deswegen hat beispielsweise die Bevölkerung Chinas nur Zugriff auf ein abgeschirmtes Internet und Russland plant sogar sein eigenes Internet, das unabhängig von ausländischen Servern funktionieren soll. Und als letztes Jahr in Sri Lanka bei einem Putsch Zeitungen und Fernsehsender von Putschisten kontrolliert wurden, waren die sozialen Medien für Oppositionelle, Journalisten und die Bevölkerung die wichtigste und einzige neutrale Informationsquelle.
Wie ist das technisch überhaupt möglich?
Einfach mal alle sozialen Medien blocken, das ist technisch gesehen relativ einfach. Die gängigste Methode dafür: DNS-Blocking. DNS steht für "Domain Name System" und ist quasi das Telefonbuch des Internets. Wer im Browser facebook.com eingibt, den leitet dieses System an die zugehörige IP-Adresse weiter, über die man dann die gesuchte Seite öffnen kann. Bei fast allen Shutdowns wird genau dieser Übersetzungsschritt geblockt, so dass niemand, der nach sozialen Medien sucht, mehr zur entsprechenden IP-Adresse gelangt. Innerhalb von Sekunden können so tausende IP-Adressen blockiert werden – so lange, bis sie wieder freigegeben werden. Wann – das liegt in der Hand der Regierungen.
Dürfen Regierungen das einfach so?
Einfach so natürlich nicht. Im Normalfall muss die Regierung dazu erstmal den Notstand ausrufen – und in Deutschland geht das nur im Verteidigungs- oder Spannungsfall, bei inneren Unruhen oder Naturkatastrophen. Dann ist ein Social-Media-Shutdown aber kein Problem mehr.
Zwar sitzen in Deutschland immer noch Telekommunikationsanbieter wie Vodafone oder Telekom an den technischen Schnittstellen, aber auch die haben in gewissen Fällen keinerlei Entscheidungsfreiheit mehr, sagt Daniel Moßbruck, Experte für Informationsfreiheit im Internet von 'Reporter ohne Grenzen'. Im Gegenteil: "Da müssen die Firmen auch 24 Stunden Leute sitzen haben, die auf solche Regierungsanweisungen reagieren können. Also wir sprechen da wirklich von Sekunden oder Minuten, in denen das durchgesetzt werden kann, für hunderte oder tausende von IP-Adressen."
Soziale Medien können Retter der Meinungsfreiheit und gleichzeitig die größte Hetzmaschine sein. Aber rechtfertigt das einen kompletten Shutdown der sozialen Medien? Für Daniel Moßbruck von Reporter ohne Grenzen ist klar, das ist Zensur: "DNS-Blockade heißt halt wirklich: Das System wird komplett runtergefahren. Du nimmst den Menschen den kompletten Zugang, sich irgendwie zu informieren. Das heißt, das ist eine enorme Einschränkung der Grund- und Bürgerrechte."
Die Lage ist knifflig. Klare und vernünftige Gesetze zur Regulierung von Inhalten im Netz gibt es nämlich nicht. Dabei wären sie dringend nötig, damit Regierungen im Notfall nicht einfach für alle Nutzer*innen den Stecker ziehen.
Sendung: PULS vom 24.04.2019 - ab 15.00 Uhr