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Der tägliche Tramper Zwei Jahre gratis durch Bayern

Philippe ist Pendler. Fast jeden Tag fährt er von Regensburg nach München. Aber Philippe nimmt nicht Zug oder Auto, er trampt. Wie fährt man kostenlos durch Bayern? Worauf muss man achten? Wir sind einen Tag mitgefahren.

Von: Anna Bühler

Stand: 16.11.2015 | Archiv

Die Autobahn ist für Philippe Matic-Arnauld des Lions nicht nur eine abgasrauchende Betonhölle. Für Philippe ist es die "Blutbahn des Landes". "Man muss nur mit dem Surfbrett drauf und mitreiten," meint er. Ziemlich euphorische Umschreibung für: Trampen. Warum ist dieser Typ so überzeugt vom Daumentaxi? Ich wollte es wissen und bin einen Tag mitgefahren.

Philippe trampt fast jeden Tag - seit rund zwei Jahren. Damals fängt der 29-Jährige seinen Master in Musik an und verbringt viel Probezeit mit seiner Band Eclipse Sol-Air in München. Die Wohnung in der Landeshauptstadt kann er sich aber schnell nicht mehr leisten, also zieht er zurück in die Heimat, nach Regensburg. Anfangs pendelt er mit dem - auch nicht ganz billigen - Zug, irgendwann aber steigt er aufs Daumentaxi um und bleibt dabei.

Philippe geht es aber nicht nur um die Kohle. "Mit mir senkst du deinen CO2-Ausstoß," meint er. Die meisten Autofahrer sitzen ja alleine in ihren Autos. Wenn man wieder eine gesunde Tramperkultur hätte, brauchte man noch nicht mal zusätzliche "CO2-Schleudern" wie Fernbusse, findet Philippe.

Los geht unser persönliches Battlestar Galaktika

Unser Startpunkt ist eine grasbewachsene Bucht an der Autobahnauffahrt am Rand von Regensburg. Philippe nennt es seine Startrampe, sein kleines "Battlestar Galaktika: Da starten die doch auch so aus diesen Dingern da raus, mit Ewig viel Anlauf."

Philippe hält ein liebevoll gebasteltes Schild raus, auf dem fett "München" steht. Auch das Wetter spielt mit und mein ARD-Mikrofon strahlt vielleicht so was wie Vertrauenswürdigkeit aus. Denke ich noch so, als nach 30 Sekunden ein Kombi mit Münchner Kennzeichen hält. Unglaublich - und auch der tägliche Tramper Philippe ist überrascht. Sein persönlicher Rekord von Regensburg nach München liegt bei einer Stunde und 20 Minuten von Tür zu Tür. Sein Negativrekord: drei Stunden.

Und auch heute müssen wir noch länger warten. Der Kombi will uns dann leider doch nicht mitnehmen - weil er keinen Bock auf mein ARD-Mikro hat. So viel zur Vertrauenswürdigkeit.

Der Mut, auch mal Nein zu sagen

Im Schnitt halten überraschend viele Frauen für Philippe - rund 40 Prozent, schätzt er. Viele davon nehmen sogar zum ersten Mal einen Anhalter mit. Ansonsten ist seine Zielgruppe männlich, Ende vierzig, mit Familienkutsche. Junge Leute packen Philippe kaum ein. Die haben "Angst vor Kontakt", meint er. "Du wächst ja heute mit der Playstation auf, mit Whatsapp und so weiter. Und du hast schon viel Kontakt, aber immer geschützt durch eine Mattscheibe."

Eine der wichtigsten Lektionen beim Trampen ist aber: Mut haben, auch mal nicht einzusteigen. Wenn das Gefühl nicht stimmt, lass es. Philippe hat auch schon mal Nein gesagt. Bis heute ist ihm beim Trampen noch nichts passiert. Klar gibt es mal Schocksekunden - zum Beispiel als ein paar Männer, bei denen er im Auto saß, einen kurzen Abstecher in eine Tiefgarage gemacht haben, wo irgendein Treffen stattgefunden hat. Da hat sich Philippe im Auto schon mal bereit gemacht, zu rennen, erinnert er sich.

Tramperfreu(n)de

Nach einer knappen dreiviertel Stunde passiert's: Ein schwarzer Golf bleibt mitten auf der Straße stehen. Kathrin, eine junge Regensburgerin, packt uns ein. Es ist das erste Mal seit gut zehn Jahren, dass ich Daumentaxi fahre und ich bin überrascht, wie entspannt es ist.

Philippe hat auf seinen hunderten Fahrten auch schon interessante Bekanntschaften gemacht. Fast jeden Donnerstag ist er zum Beispiel bei einer älteren Dame mitgefahren, einer Lady vom Schlag "Münchner Schickeria", die immer mit ihrem Schoßhund unterwegs war. Am Ende jeder Fahrt gab es bei ihr noch ein Piccolöchen aus dem Handschuhfach.

Philippes Freundin ist dank ihm sogar an einen Job bei einem großen Unternehmen gekommen. Weil Philippe bei einem Personalleiter der Firma im Auto saß und ihm den Lebenslauf seiner Freundin schmackhaft gemacht hat.

Ein Stück Naivität

Nach gut zwei Stunden schmeißt uns Kathrin an einer-U-Bahn-Station in München raus. Und obwohl es eine total angenehme Fahrt in sehr netter Begleitung war:  ein bisschen Skrupel, alleine zu Trampen, habe ich trotzdem. Denn auch ich zähle zu der Sorte Menschen, die Fremden nicht blind traut. Philippe ist nach zweijähriger Erfahrung lockerer.

"Eins habe ich gelernt: Die Welt ist doch viel freundlicher, als man eigentlich denkt. Ich denke, ich hab mir vielleicht ein Stück Naivität zurückerobert, die ich verloren hatte."

Philippe Matic-Arnauld des Lions

Klingt easy. Und trotzdem: Man muss der Typ dafür sein, wie Philippe, fast jeden Tag knapp 250 Kilometer zu trampen. Ich bin es leider nicht.


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