Stadt München vs. Obdachlosenlager Ist Räumung die richtige Lösung?

Die Stadt München hat zwei Obdachlosenlager an der Isar geräumt, laut eigener Aussage um die Menschen zu schützen. Die Betroffenen wollen sich aber nicht vertreiben lassen, weil die Alternativlösung noch schlechter ist. Wir waren bei der Räumung dabei.

Von: Kevin Ebert

Stand: 29.11.2018 | Archiv

Obdachlosenlager | Bild: BR

Sie tragen orangene Westen, wie Müllmänner. Unter einer Isarbrücke steht das Räumungskommando der Stadt München, die Männer schnauben Dampf in die eiskalte Luft. Zwei hieven den Teil einer Couch in einen LKW-großen Container. Es ist kurz nach neun Uhr morgens an diesem Donnerstag, dem Tag der Räumung des Obdachlosenlagers in München unter der Wittelsbacher Brücke. Etwa zwanzig Polizisten sichern die Arbeiter in orange.

Die Stadt greift durch – aus Humanität

Etwa 13 Obdachlose haben hier unter der Isarbrücke gelebt, haben sich unterstützt und sind zu einer kleinen Gemeinschaft geworden - in einem Lager mit Betten, Sofas, Kommoden und auch einem Wäscheständer. Eine kleine Institution in München, für die Obdachlosen ein Safe Space, den sie nicht verlassen wollen, aber ihre Decken, Sofas, Teller und Tische liegen längst im Container.

Die Stadt hat durchgegriffen, betont aber die humanitären Gründe der Räumung:

"Wir wollen nicht, dass so unter den Brücken gehaust wird, dass sich Menschen Gefahren aussetzen. Jeder kann sagen: Das ist meine eigene Entscheidung. Dann sage ich: Ja, einerseits schon. Aber es wäre auch völlig fahrlässig, diese Rahmenbedingungen weiterlaufen zu lassen."

Rudolf Stummvoll, Amt für Wohnen und Migration

Mit den Rahmenbedingungen meint Rudolf Stummvoll vom Amt für Wohnen und Migration der Stadt München vor allem die erbarmungslose Kälte, aber auch Lagerbrände, wie der, der vor Kurzem das zweite Lager unter der Reichenbachbrücke vernichtet hat. Verletzt wurde dabei niemand, Stummvoll spricht von einem Wunder.

Armut bekämpfen – nicht die Armen

Deshalb will die Stadt den Obdachlosen andere Möglichkeiten anbieten: Weg von den Brücken, hin zu Alternativen. Da gibt es zum Beispiel die Kälteschutzräume in der Bayernkaserne. Die Menschen können dort schlafen, duschen, sind in Sicherheit. Das klingt nach einem Lösungsvorschlag, doch Betroffene und Aktivisten kämpfen dagegen an. So auch Ismet Yashar, ein Bulgare, der seit vier Jahren unter der Wittelsbacherbrücke lebt.

Ismet Yashar | Bild: BR

"Das Problem mit der Kaserne ist, dass man erst ab 17 Uhr rein darf. In der Nacht können wir dortbleiben, aber morgens um sieben Uhr müssen wir wieder raus. Wir können unsere Sachen dort nicht stehen lassen, das ist auch ein Problem."

Ismet Yashar

Dazu müssen sich die Obdachlosen in der Bayernkaserne große Schlafsäle mit wildfremden Menschen teilen. Immer wieder berichten Menschen davon, dass sie dort bestohlen wurden - denn noch gibt es in den Kälteschutzräumen keine Schließfächer. Kochen dürfen sie dort auch nicht.

So verrückt es klingen mag - das ist der entscheidende Vorteil, den die Brücke gegenüber der Bayernkaserne hat: In ihren Lagern können die Menschen leben. Unter katastrophalen Bedingungen zwar, aber sie haben einen kleinen Fleck, der ihnen gehört. In den Kälteschutzräumen dürfen sie schlafen und am nächsten Abend als Gäste wiederkommen.

Die Räumung ist dauerhaft

Auch die Tatsache, dass die Camps auf Dauer geräumt werden sollen – und nicht nur während der harten Wintermonate – macht viele Gegner skeptisch. Der Vorwurf: Die Lager sind der Stadt ein Dorn im Auge. Immerhin haben sich in den vergangenen Wochen auch immer mehr Anwohner beschwert – hat die Stadt nachgegeben? Die LMU-Soziologin Saskia Gränitz vermutet nicht nur humanitäre Gründe hinter der Räumung: "Da steckt natürlich auch immer die Idee von einem sauberen Stadtbild drin, da steckt eine bestimmte Kriminalisierung von Armut drin, da stecken Ordnungsvorstellungen drin."

Trotzdem ist München eine Art Vorreiter, wenn es um Obdachlosenhilfe geht. Die Kälteschutzräume in der Bayernkaserne sind gut aufgestellt, laut Rudolf Stummvoll muss kein Mensch nachts im Freien schlafen. Die Stadt kennt das Problem, will daran arbeiten. "Ja, wir werden das sicherlich weiterentwickeln. Wir werden 2023 mit dem Kälteschutz in neue Räumlichkeiten ziehen. Wir wissen jetzt schon, dass es in Zukunft dort keine Acht-, Zehn-, Zwölf-Personen-Zimmer mehr geben wird. Es werden wahrscheinlich Vier-Bett-Zimmer."

Das Problem sitzt tiefer

Auch Soziologin Gränitz ist überzeugt davon, dass die Stadt ehrlich versucht, den Obdachlosen zu helfen. Die jetzigen Maßnahmen seien allerdings bei weitem nicht ausreichend. Sie fordert eine strukturelle Lösung, die den Kern des Problems Obdachlosigkeit angeht.

"Wir wollen aufzeigen, dass in der Stadt München am sichtbarsten ist, dass es massiv an bezahlbarem Wohnraum fehlt und zwar für breite Teile der Bevölkerung, dass die Menschen, die hier vertrieben werden, aber am stärksten davon betroffen sind."

Saskia Gränitz

Fehlender Wohnraum. Ein Problem, dass die ganze Stadt fest in der Mangel hat. Auch Menschen mit regelmäßigen Jobs tun sich schwer bezahlbare Wohnungen zu finden. Diejenigen, die am wenigsten haben, trifft es am härtesten - wie die Obdachlosen unter den zwei Münchener Brücken.

Sendung: Filter vom 29.11.2018 - ab 15 Uhr