Nach der Therapie Wenn die Essstörung ein Teil des Lebens bleibt

Eine Essstörung geht nie ganz weg, sagen viele Betroffene und Therapeuten. Noch Jahre nach der Therapie besteht für manche Rückfallgefahr. Fast alles kann ein Trigger sein - und manchmal reicht es schon, wenn die Hose plötzlich zu eng ist.

Von: Marlene Mengue

Stand: 09.03.2018 | Archiv

Grafik auseinandergebrochener Teller: Auf der einen Seite Krümmel, auf der anderen Seite gut befüllt.  | Bild: BR

Mittagszeit, Unimensa München. Marie (Name geändert) schaut angestrengt auf die Anzeigetafel mit den verschiedenen Gerichten. Schließlich entscheidet sie sich für Chili sin Carne, eine kleine Portion. Vor sechs Jahren hätte sie das nicht gekonnt: damals hatte Marie atypische Bulimie. Das bedeutet: In manchen Phasen hungerte sie, dann hatte sie Essanfälle. Weil sie sich nicht übergeben konnte, nahm sie Abführmittel.

Normal essen nur mit klaren Regeln

Marie machte eine Therapie und war in einer Selbsthilfegruppe. Die akute Krankheit hat sie schon lange überstanden. Aber bis heute ist ihr Hungergefühl nicht mehr so wie früher. An manchen Tagen könnte sie immer noch ständig essen. Klare Regeln helfen ihr aber, den Drang zu kontrollieren: "Vor allem, wenn ich Stress habe, fühle ich mich hungrig, auch wenn ich gerade erst gegessen habe", erzählt Marie. "Dann greife ich auf Uhrzeiten zurück: Ich frühstücke um 7 Uhr, esse um 13 Uhr zu Mittag und so um 18 Uhr zu Abend. Daran kann ich mich orientieren, wenn ich mich auf mein Hungergefühl nicht so gut verlassen kann."

So wie Marie geht es vielen, die eine Essstörung hatten: Obwohl sie eigentlich geheilt sind, lässt die Krankheit sie nicht ganz los. Die Therapeutin Carolin Martinovic vom Therapienetz Essstörungen vergleicht Essstörungen mit schlechten Angewohnheiten:

"Wenn ich mir angewöhnt habe - oder es eine Zeit lang funktioniert hat -, dass ich über essen oder nicht essen meine Gefühle regulieren kann, dann ist das etwas, was die Psyche nur sehr schwer loslassen kann."

Carolin Martinovic, Therapienetz Essstörung

Wenn Klamotten kaufen zur Herausforderung wird

Marie kämpft also immer noch gegen alte Zwänge. Eine andere Situation, die für sie noch schwierig ist: Shoppen gehen. Denn Klamotten kaufen bedeutet, sich mit ihrem Körper zu beschäftigen, den sie so lange gar nicht gemocht hat. Mittlerweile shoppt sie lieber Second Hand. Da gibt es keine abgemagerten Schaufensterpuppen, keine dürren Models auf Plakaten. Außerdem gibt es billigere Klamotten. Das spürt Marie nicht nur im Geldbeutel, sondern auch emotional. Denn bis heute schwankt Maries Gewicht. Und wenn sie sich eine teure Hose kauft und später nicht mehr reinpasst, verfällt sie schnell wieder in alte Gedanken. Wenn die Hose nur 5 Euro kostet und nicht 50, setzt das Marie viel weniger unter Druck.

Die beste Strategie gegen Rückfälle: Trigger kennen und einschätzen

Diese Trigger zu kennen, das ist wichtig für Leute, die ein Leben nach der Essstörung führen, sagt Therapeutin Carolin Martinovic:

"In der Therapie muss man sich damit auseinandersetzen: Was sind Situationen oder Erlebnisse, die für mich gefährlich sind? Um da schon gewappnet zu sein. Und zu wissen, wie ich mich verhalten kann, wenn das wieder passiert."

Carolin Martinovic, Therapienetz Essstörung

Marie macht das, indem sie sich an Triggersituationen langsam herantastet. Früher war Shoppen der reinste Stress, heute kann sie schon entspannt Klamotten anprobieren. Ein bisschen was von ihrer Essstörung ist geblieben und wird vielleicht nie ganz weggehen. Aber Marie hat gelernt, auf sich zu achten. Ein Rückfall in die Krankheit, da ist sie sicher, wird ihr nicht mehr passieren.

Sendung: Freundeskreis vom 07.03.2018 ab 10 Uhr