Kommentar Die Pille für den Mann ist da - nur wird sie keiner nehmen

Wissenschaftler haben eine hormonfreie Pille für den Mann getestet - komplett ohne Nebenwirkungen. Ob bald alle Männer die Pille nehmen? Unsere Autorin sagt: Niemals. Und Frauen sind auch noch selbst dran Schuld.

Von: Linda Becker

Stand: 25.04.2018 | Archiv

Spermien protestieren gegen die Pille für den Mann | Bild: BR

Knaller! Es liest sich wie der Durchbruch in der Verhütung für den Mann: eine hormonfreie Pille, ganz ohne Nebenwirkungen. Die Pille basiert auf dem Wirkstoff EP055 und wurde bisher am National Primate Research Centre in Oregon erfolgreich an Rhesusaffen getestet. Die Pille macht Spermien langsam und sollen so die Befruchtung der Eizelle verhindern. Wenn die Pille wieder abgesetzt wird, dauert es etwa drei Wochen bis wieder alles ist, wie zuvor.

Bereits letztes Jahr wurde an Affen eine hormonfreie Verhütungsmethode für den Mann entwickelt - das Vasalgel. Das Gel wird dem Mann in den Samenleiter gespritzt und macht ihn vorübergehend unfruchtbar - solange bis das Gel wieder entfernt wird. Es funktioniert so ähnlich wie ein Sieb: Flüssigkeiten gehen durch, Sperma nicht. Keine Schwangerschaften, kaum Nebenwirkungen. Also ab auf den Markt damit!

Die salonfähige "Pille für den Mann" - Doubt it!

Ich sag mal so, ich bezweifle stark, dass die Pille oder das Gel in nächster Zeit auf dem freien Markt ankommen. Denn wir reden schon seit 20 Jahren darüber, eine langfristige Verhütungsmethode für den Mann zu entwickeln. Und was ist bisher dabei rumgekommen? Nix!

Ich meine, Hut ab, dass da jetzt endlich geforscht wird - aus meiner Sicht allerdings viel zu wenig. Wenn ich schon lese, dass 2016 eine Studie zu einem Hormonpräparat für den Mann abgebrochen wurde, weil die Probanden unter anderem über Akne und Stimmungsschwankungen klagten, könnte ich speihen. Weil das kennen wir Mädels ja so gar nicht. Uns scheint ja immer die Sonne aus dem Arsch, wenn wir die Pille nehmen.

Unter dem Hashtag #mypillstory haben 2016 Userinnen über ihre Erfahrungen mit der Pille getwittert. Die meisten haben ähnliches erlebt: Depressionen, Gewichtszunahme, Schmerzen, keine Lust auf Sex. Und wer ist trotzdem immer noch hauptsächlich für die Verhütung zuständig? Die Mädels.

Pro Familia schätzt, dass über 70 Prozent aller deutschen Frauen zwischen 20 und 29 Jahren immer noch Hormonpräparate nehmen – hört sich nach einem Haufen Nebenwirkungen und nach einem Haufen Asche für die Pharmaunternehmen an. Denn wo Nachfrage besteht, da wird auch geforscht. Und wo besteht Nachfrage? Bei der weiblichen Bevölkerung. Oder habt ihr schon mal in einer Männerrunde gehört: Ey Jungs, wie regelt ihr das denn am besten mit der Verhütung? Ich nicht. Für Männer bleibt einzig das Kondom.

Mädels, wir sind selbst Schuld

Mal ehrlich, warum sollten Männer auch sagen: Geil, lasst doch mal ne Hormonspritze nehmen? Es gibt ja keinen Vorteil. Unnötiger Eingriff in den Körper, Nebenwirkungen wie Sau, kostet Geld und man muss im Zweifel regelmäßig dran denken. Ähnliches gilt bei hormonfreien Methoden - nur eben ohne die Nebenwirkungen. Außerdem: Wir Mädels nehmen sie ja schon, die Pille.

Auch wenn es jetzt gleich zwei langfristige hormonfreie Verhütungsmethoden für den Mann geben soll, glaube ich nicht, dass sie etwas ändern. Denn eine Spritze in den Penis zu bekommen, ist immer noch unangenehm, das Gel ist ein Fremdkörper und das Ganze kostet Geld. An die Pille muss man denken und Geld kostet sie ebenfalls.

Und da muss ich ehrlich sagen: Selbst Schuld, Ladys. Würde sich für mich schon jemand anders drum kümmern, dass ich kein Kind kriege, dann würde ich mich auch nicht freiwillig damit auseinandersetzen.

Das ist der springende Punkt: Erst wenn klar ist, dass langfristige Verhütung nicht standardmäßig Frauensache ist, kann sich was ändern. Veränderung bedeutet Auseinandersetzung – und wer das nicht will, braucht sich nicht zu beschweren. Klar ist es anstrengend mit seinem Freund oder Sexpartner eine Diskussion über Verhütung vom Zaun zu brechen. Aber es gibt Alternativen zur hormonellen Verhütung bei Frauen. Die sind halt bloß nicht so bekannt und oft mit mehr Aufwand verbunden.

Ich sage nicht, dass die Antibabypille komplettes Teufelszeug ist und nicht auch ihren Teil zur Selbstbestimmung beigetragen hat. Was ich aber sagen will ist, dass es nicht die unbestrittene Aufgabe von Frauen ist, sich um langfristige Verhütung zu kümmern.

Hormonfreie Alternative

Gedankenexperiment: Stellt euch vor, euer Freund näme seit Jahren eine Hormonspritze. Das würde für euch beide heißen: Frei vögeln, keine Angst vor Schwangerschaft und man muss nicht mal mehr Kondome kaufen. Blöderweise hat euer Freund – nennen wir ihn Max, um der Sache noch mehr Realität zu verleihen – jetzt halt Akne, heult viel, hat nicht mehr so richtig Bock auf Sex und ist auch sonst irgendwie ein bisschen dick geworden.

Plötzlich ist die ganze Angelegenheit gar nicht mehr so geil. Aus dieser Sicht findet man die Situation doch völlig absurd, oder? Und auch wenn Max keine Nebenwirkungen hätte, dann wäre trotzdem ganz klar, dass er sich um die langfristige Verhütung kümmert und die Kohle dafür aufbringt. Schöne neue Welt, oder?

Nee, finde ich gar nicht. Meine Meinung dazu: Es ist nicht die Aufgabe einer einzelnen Personengruppe sich zu überlegen, wie man verhüten könnte. Ich habe nicht alleine Sex, also bin ich auch nicht alleine für die Lösung des Kinderkrieg-"Problems" verantwortlich.

Wie toll wäre es also, wenn sich die Pille oder die neue Pille oder das Gel als adäquate, hormonfreie Verhütungsmethode für den Mann rausstellen würden. Dann wäre die Diskussion nämlich: Wer macht's jetzt? Momentan macht es die Frau und das ist für die andere Hälfte der Bevölkerung natürlich gemütlich.

So wie es momentan noch um die Forschung und um die Diskussionsbereitschaft zu diesem Thema bestellt ist, glaube ich aber leider nicht daran, dass irgendwann auch 70 Prozent aller deutschen Männer langfristig verhüten. Sollte es doch passieren, entschuldige ich mich hiermit im Voraus und spendiere eine Runde Schnaps!

Sendung: Freundeskreis, 26. April 2019 - ab 10 Uhr.