Jetzt Propaganda Hannah Grae

Info Hannah Grae ist Anfang 20 und kommt aus dem walisischen Port Talbot. Auf TikTok hat sie sich seit 2020 eine beachtliche Followerschaft angesammelt und kritisiert in “Propaganda” die Auswirkungen von Social Media auf Menschen.

Kommentar zu Lenas Schminkvideo Feminismus ist kein Look

In einem Youtube-Video von L’Oréal zeigt Lena Meyer Landrut ihren neuen Statement-Look namens "Feminist". Unsere Autorin kommt aus einem patriachalischen Land und ist entsetzt, wie Konzerne den Begriff für ihre Zwecke ausnutzen.

Von: Shahrzad Osterer

Stand: 04.07.2018 | Archiv

In einem Youtube-Video von L’Oréal zeigt Lena Meyer Landrut ihren neuen Statement-Look namens  "Feminist".  | Bild: YouTube

Als ich heute früh am Schreibtisch saß, an meinem Kaffee nippte und im Halbschlaf Nachrichten las, bin ich auf ein Video gestoßen, in dem ein Make-Up-Artist Lena Meyer Landrut schminkt. Nach der Begrüßung lächelt die Sängerin in die Kamera und kündigt an, dass sie sich für den heutigen Statement-Look, für den "Feministen", entschieden hat.

Gemeint ist eine Lidschatten-Palette der Marke L’Oréal, die laut Lena coole und starke Farben hat. Spätestens da war ich hellwach. Nicht, weil ich die Farben so "stark" oder den "Statement Look" so schön fand, sondern weil ich entsetzt war. Entsetzt darüber, wie ein Konzern den Begriff Feminismus für seine Zwecke dermaßen missbraucht.

Feminismus ist ein Trend geworden

Ich selbst komme aus dem Iran. Als ich fünf Jahre alt war, hatte meine Tante ein Kind bekommen. Auf dem Weg ins Krankenhaus wollten meine Mutter und ich für sie Blumen kaufen. Im Blumenladen zeigte ein Mann auf meine nackten Kinderbeine und sprach meine Mutter an: "Schwester! Ziehen sie dem Kind was Ordentliches an!" Das Gesicht meiner Mutter färbte sich sofort knallrot. Sie zog die Augenbrauen zusammen und holte tief Luft. "Kümmern sie sich gefälligst um Ihren eigenen Kram. Sie ist erst fünf. Schlimm genug, dass wir bei dieser Hitze schwarze Kopftücher tragen müssen. Lassen sie die Kinder bloß in Ruhe!“ Und dann fügte sie hinzu: "Ich bin übrigens zum Glück nicht Ihre Schwester!"

Das war wahrscheinlich meine erste direkte Begegnung mit dem Patriarchat, die ich bewusst wahrgenommen habe. Männer, die versuchen ihre "Schwestern" zu belehren, wie sie sich zu benehmen haben. Je älter ich wurde, desto mehr habe ich begriffen, dass ich nicht die gleichen Rechte wie meine männlichen Landsleute besitze. Dass ich "halb so viel wert bin". Dass ich ohne die Erlaubnis meines männlichen Vormundes nicht arbeiten darf, nicht das Land verlassen, nicht heiraten.

Ja, ein Look kann ein Statement sein

Als Jugendliche trug ich mein Kopftuch, wie viele andere Iranerinnen, so locker wie möglich, kaufte mir bunte enge Mäntel, trug silbernen Lidschatten und roten Lippenstift. Das war für mich ein Zeichen des Protests - gegen von dem System verhängte diskriminierende Gesetze gegen uns Frauen. Als 19-Jährige wusste ich, dass ich im Iran nicht mehr leben kann. Ich habe mich für ein Leben in Freiheit und unter Gesetzen der Gleichberechtigung entschieden und kam nach Deutschland. Aber auch hier musste ich feststellen, dass Feministen immer noch gegen Diskriminierung und Sexismus kämpfen müssen. Frauen werden immer noch nicht gleich bezahlt, sie sind nicht genug in den Chefetagen vertreten und müssen sich Tag für Tag mit Klischees auseinandersetzen. Alleine die MeToo-Debatte hat uns gezeigt, was für ein weiter Weg noch vor uns liegt.

Und dieser Weg führt nicht über Produkte, die den Namen "Feminist" tragen, sondern über Feminismus selbst.

Aktionen bringen Veränderung, nicht Schminke

Vielleicht stolpern Teenies bei solchen Videos tatsächlich zum ersten Mal über den Begriff Feminismus - was er bedeutet und woher er kommt, bringt man ihnen so aber auf keinen Fall nahe. Wenn ich Feminismus höre, denke ich an die Feministinnen aus meiner Heimat, aus Saudi-Arabien und aus allen anderen patriarchalischen Ländern, die im Gefängnis sitzen - nur, weil sie für gleiche Rechte kämpfen. Ich denke an all die Frauen, die von Männern in Machtpositionen missbraucht worden sind und jetzt die Stimme erheben. An die Frauen, die jeden Tag auf verschiedenen Wegen für mehr Gleichberechtigung und weniger Sexismus kämpfen.

Natürlich versuchen Unternehmen jetzt auch mit Feminismus Geld zu machen. Aber ich weiß, dass es der tagtägliche Kampf all dieser Frauen ist, der Männer dazu bringt, über ihr Verhalten nachzudenken und Gesetze zu ändern - nicht irgendwelche T-Shirts, Jutebeutel oder Lidschatten.

UPDATE (05.07.2018): Als wir L’Oréal um ein Statement gebeten haben, teilte uns das Unternehmen mit: "Frauenrechte zählen zu unseren wichtigsten Unternehmenswerten. Wir waren deshalb sehr betroffen, dass uns einige Verbraucherinnen wegen Verwendung des Wortes 'Feminist' als Bestandteil eines Produktnamens in einem Make-up-Tutorial kritisiert haben. Wir möchten weitere Missverständnisse vermeiden und haben uns deshalb entschlossen, das Video nicht mehr weiter zu verbreiten."

Sendung: Filter, 04.07.2018 - ab 15.00 Uhr