Interview mit dem Gewinner der Gedächtnismeisterschaft Wie die Isarauen dabei helfen können, sich komplexe Dinge zu merken

Es klingt wie der Traum jedes Studierenden: In nur wenigen Minuten seitenweise Text auswendig können. Für den Münchner Simon Reinhard ist das überhaupt kein Ding. Hier verrät der deutsche Gedächtnismeister ein paar Tricks.

Von: Hannah Heinzinger

Stand: 24.09.2018 | Archiv

Illustration: EIn Gehirn als Glühbirne  | Bild: BR

Während seines Jurastudiums an der LMU hat Simon Reinhard einfach mal gegoogelt: Wie kann man sich Sachen besser merken? Schon ging es los mit dem Gedächtnistraining. Jetzt hat er zum wiederholten Mal die deutsche Gedächtnismeisterschaft "Memo Masters" gewonnen. Außerdem ist er amtierender Gedächtnisweltmeister und Europameister. Nach seinem Studium hat er eine Zeit lang noch als Rechtsanwalt gearbeitet. Seit 2016 verdient er sein Geld mit Coachings und Vorträgen.

PULS: Simon, schreibst du dir überhaupt noch Einkaufszettel?

Simon Reinhard: Das ist ein lustiger Punkt! Klar kenne ich jetzt Methoden, mit denen ich mir auch triviale Sachen wie Einkaufslisten merken kann. Aber, ich meine, will man das überhaupt? Ich finde man sollte es nur da einsetzen, wo es einem hilft und das eigene Leben effizienter macht. Also wenn man zum Beispiel einen Vortrag hält.

Jura ist ja ein Studium, bei dem man enorm viel auswendig lernen muss. Hast du einfach nur besonderes Talent oder hast du das tatsächlich durch Training hinbekommen?

In den Wettkämpfen verwenden wir eigentlich nur Techniken. Also wir schauen uns die Sachen ja nicht nur an und pressen die in unseren Kopf, sondern das ist alles sehr methodenbasiert. Und das sind Methoden, die man lernen kann um sie nicht nur bei den Wettkämpfen anzuwenden, sondern auch in der Uni oder im Job.

Wann hast du gemerkt, dass du dir Sachen nicht einfach nur ein bisschen besser merken kannst als andere, sondern dass du ein echtes Talent bist?

Das ist schwer zu sagen. Sicher nicht gleich am Anfang, ich bin nicht gleich zum ersten Turnier und hab das gewonnen. Also keine Cinderella-Story. Es macht mir Spaß, diese Methoden und mich zu verbessern. Und es gab auch von Anfang an Leute, an denen man sich gut messen konnte: Wer schafft was besser, wer stellt einen neuen Rekord auf? Mein erstes Erfolgserlebnis war 2007, als ich den damaligen Weltmeister geschlagen hab. Und dann habe ich auch die Bronzemedaillie in der WM gewonnen und einen Weltrekord aufgestellt. Spätestens da hatte ich Blut geleckt.

Was für Strategien hast du dir denn fürs Studium angeeignet, um dir Sachen zu merken?

Ich habe mir natürlich alles erstmal durchgelesen und versucht, alles genau zu verstehen. Dann habe ich wiederholt, mich abgefragt und bei den Sachen, die dann immer noch nicht saßen, habe ich durch Methoden nachgeholfen. Da gibt es eine Hauptmethode, die wurde schon im alten Rom in Rednerschulen verwendet. Wenn man das zum ersten Mal hört, klingt es erst mal schwer nachvollziehbar. Man verwendet einen Weg, den man kennt, den man in verschiedene Punkte aufteilt. Zum Beispiel von der eigenen Haustür zur Bushaltestelle, in den Bus, bis zum Gebäude, in dem man arbeitet. Und an jedem von diesen Wegpunkten verankert man einen Teil der Information, die man sich merken will. Dazu macht es auch Sinn, sich die Informationen ganz bildhaft vorzustellen. Der erste Einwand ist dann immer: "Macht das nicht viel mehr Arbeit, sich erstmal einen Weg zu überlegen?" Klar: Es ist ein bisschen mehr Arbeit, die Infos in so eine Form zu bringen. Aber dafür behält man sie auch besser und das spart erfahrungsgemäß doch Zeit und ist auch in stressigen Situationen eine absolut sichere Methode.

Wie sehen solche Wege bei dir aus?

So ein Weg von mir ist meistens zwischen 50 und 100 Wegpunkten lang, zum Beispiel vom Marienplatz durchs Tal zum Isartor. Länger werden die meistens nicht, weil irgendwann passiert dann nichts mehr. Aber dann nimmt man einfach einen neuen. In München für mich gar kein Problem, da gibt es so viele schöne Orte. Den Olympiapark zum Beispiel, der ist sehr abwechslungsreich. Am liebsten bin ich im Kopf in den Isarauen unterwegs, da gibt es einfach wunderschöne Orte.

Bei der Meisterschaft musstest du dir zum Beispiel 100 fremde Gesichter mit vollständigem Namen merken. Viele Normalos scheitern schon bei nur ein oder zwei neuen Gesichtern im Umfeld. Wendest du da auch diese Taktik an und wird das zeitlich nicht eng?

Nee, das wird überhaupt nicht eng. Den Weg gehst du im Kopf eigentlich schon ohne Zeitverlust ab – wie in einem Film. Im Kopf kann man sich ganz schnell bewegen. Und sich die Bilder zu machen, ist eine Sache der Übung.

Und wie hast du dir die Namen gemerkt?

Das geht am besten, indem man sich Worte sucht, an die einen der Name erinnert. Wenn zum Beispiel jemand Thomas heißt... da könnte man sich überlegen: Das klingt wie Tomate. Und was man dann mit der Tomate macht, da gibt es dann verschiedene Vorschläge, zum Beispiel Thomas die Tomate an den Kopf schmeißen oder so. Find ich ein bisschen naja, aber was man auch machen könnte: Die Tomate ist ja rot, vielleicht hat er entweder rote Haare, rote Backen, rote Ohren? Das verbindet man dann miteinander und idealerweise erinnert man sich dran, wenn man ihn wiedersieht: rote Haare, rote Tomate, Thomas.

Sendung: Filter, 24.9.2018, ab 15 Uhr