Interview mit Anna Wagner // Bewegung Seebrücke "Seenotrettung ist nicht verhandelbar!"

Die Bewegung "Seebrücke" hängt Banner auf, organisiert Demos und trägt Orange - aus Solidarität für die Menschen, die im Mittelmeer ertrinken. Sie wollen über Seenotrettung aufklären und zeigen, wie wichtig sie gerade ist.

Von: Nina Lenz

Stand: 23.08.2018 | Archiv

Rettungswesten | Bild: picture-alliance/dpa

Im Juni 2018 rettet die "Lifeline" über 200 Menschen auf dem Mittelmeer vor dem Ertrinken - aber sie durften nirgends anlegen und der Kapitän, Claus-Peter Reisch, steht jetzt in Malta vor Gericht. Für Anna Wagner, die Teil der Bewegung Seebrücke ist, war das der Tropfen, der das Fass der Empörung über so viel Unmenschlichkeit zum Überlaufen gebracht hat.

PULS: Du bist Teil der Bewegung "Seebrücke" - was ist Euer Ziel?

Anna Wagner: Die Seebrücke als übergeordnete Bewegung hat sich gegründet als Reaktion auf die Tatsache, dass die "Lifeline" mit geretteten Geflüchteten an Bord nicht in einen Hafen einlaufen durfte. Das wurde jetzt so ein bisschen ein Selbstläufer - es haben sich in vielen kleinen und großen Städten Seebrücken-Gruppen gebildet und eben auch in München, bei der ich jetzt dabei bin. Unser Ziel ist natürlich erstmal den Fokus auf Seenotrettung in der Gesellschaft zu kriegen, das Thema bekannt zu machen und darüber zu informieren. Und es aber auch noch weiter zu tragen, weil es bei Seenotrettung nicht aufhört - das ist vor allem uns in München ganz wichtig. Wenn die Geflüchteten gerettet sind und bei uns sind, stellt sich die Frage: Wie gehen wir mit ihnen um? Wir wollen einen humanitären Umgang mit Geflüchteten, wir wollen die Schaffung von sicheren Fluchtrouten, damit sich die Leute gar nicht erst aufs Mittelmeer begeben müssen, sondern andere Möglichkeiten haben, Asyl bei uns zu beantragen.

Jetzt nennt ihr euch eine "Bewegung" - wie seid ihr denn organisiert?

Es sind hauptsächlich Privatpersonen, also es ist wirklich aus der Zivilgesellschaft heraus entstanden. Es schließen sich oft schon existierende Bündnisse an, es werden dann auch teilweise, wenn größere Sachen geplant werden, Ad-hoc-Bündnisse eingegangen, zum Beispiel bei der Organisation der Demo am Samstag in München. Deswegen ist auch dieses Wort "Bewegung" so wichtig, denn es passiert in der Gesellschaft.

Jetzt habt ihr schon ein paar Aktionen gemacht immer mit eurem Slogan "Bridges not walls!" - zum Beispiel eine Aktion an der Isar - was war da genau los?

Es gab diesen in Deutschland ausgerufenen "Day Orange", wo es hieß: Leute, macht Aktionen, organisiert Kundgebungen, Demos, generiert Bilder, wie auch immer. Wir haben uns überlegt, dass wir was machen wollen, das Bilder schafft. Wir haben uns dann mit dem Künstlerkollektiv "Polizeiklasse" zusammengetan, und dieses große Banner an der Reichenbachbrücke aufgehängt, mit dem Slogan, den wir jetzt auch für die Demo verwenden: "Seenotrettung ist nicht verhandelbar." Die Polizeiklasse hat aneinandergebundene Rettungswesten die Isar runterschwimmen lassen. Das sind auch Westen dabei, die auf Lesbos waren. Und dann haben wir diese Rettungswesten symbolisch von der Brücke aus gerettet mit einem Rettungsring und sie neben das Banner gehängt. Die Aktion hat mediales Echo gefunden, wir waren sehr zufrieden damit.

Was war denn für dein persönlicher Anlass, dich zu engagieren?

Für mich persönlich war der Anlass wirklich, dass ich gemerkt habe, dass die Debatte um Flüchtlinge einen Kurs nimmt, der sich wirklich in eine menschenverachtende Richtung entwickelt. Gerade aus der CSU heraus, was mich sehr schockiert hat. Für mich ist ein Limit erreicht und ich habe das Gefühl, dass es vielen Leuten ähnlich geht. Man legitimiert es politisch, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken oder man missbraucht es für politische Zwecke, um Druck aufzubauen - das geht einfach nicht. Ich bin fassungslos, sprachlos, dass man im öffentlichen Diskurs darüber spricht, ob es okay ist, Menschen im Mittelmeer zum Zweck der Abschreckung ertrinken zu lassen. Diese Diskussion ist menschenverachtend. Da war für mich ein Punkt erreicht, das ging nicht mehr.

Was glaubt du, woher kommt diese Diskussion?

Man zieht sich da aus der Verantwortung, indem man sagt, dass man damit nichts zu tun hat und dass das deren "freie Entscheidung" ist. Aber es ist keine freie Entscheidung, sich auf diese Boote zu begeben. Es muss die pure Verzweiflung in den Menschen herrschen, wenn man lieber das Risiko eingeht, auf dem Mittelmeer zu sterben, als in Libyen weiter zu leben. Grade in Libyen sind die Zustände katastrophal, da sind Menschenrechte quasi nicht existent.

Glaubst du, dass sich der Diskurs über Seenotrettung durch euer Engagement ändert?

Ich hoffe, dass solche Aktionen und die Tatsache, dass Seenotrettung jetzt so viel mediale Aufmerksamkeit kriegt, dazu führen, dass man den Diskurs weiterführen kann. Es müssen sichere Fluchtwege geschaffen werden, es muss erkannt werden, dass dieses Dubliner Abkommen nicht funktioniert, dass es innerhalb Europas Solidarität braucht, aber auch grenzübergreifend, dass man über Fluchtursachen redet und wir uns und unsere Lebensweise hinterfragen, weil diese eine der Fluchtursache im weiteren Sinne ist. Bei Seenotrettung kann es einfach nicht aufhören, die Debatte muss weitergehen.

Sendung: Filter vom 23.08.2018 - ab 15.00 Uhr