Interview zu Generationengerechtigkeit "In Wahrheit geht es um Macht“

"Ihr werdet es mal besser haben“ - das stimmte für unsere Eltern meist noch. Für uns gilt das aber immer seltener, obwohl die "Generation Y" besser ausgebildet ist, als alle Generationen zuvor. Die Autorin Madeleine Hofmann setzt sich deshalb für Gerechtigkeit zwischen den Generationen ein.

Von: Vanessa Schneider

Stand: 06.11.2018 | Archiv

Madeleine-Hofmann | Bild: Olga Baczynska

Madeleine Hofmann ist Journalistin und Generationenrechtlerin bei der Stiftung für Generationengerechtigkeit. Sie hat gerade ein Buch geschrieben: "Macht Platz" heißt es, "Über die Jugend von heute und die Alten, die überall dick drin sitzen und über fehlenden Nachwuchs schimpfen". Madeleine beschäftigt sich schon sehr lange mit dem Problem Generationengerechtigkeit. Als sie sich das erste Mal mit dem Thema Rente auseinandersetzen musste hat sie gemerkt, dass die jungen Leute in der Diskussion um Rentenpolitik gar nicht vorkamen. Als Botschafterin für Generationengerechtigkeit versucht sie das zu ändern.

PULS: Du kämpfst für unsere Generation, aber schon der Begriff "Generation Y“ ist schwer zu fassen. Was hat zum Beispiel eine Bankangestellte auf dem Land mit einem Würzburger Studenten zu tun? Was verstehst du unter dem Begriff Generation Y?

Madeleine Hofmann: "Generation Y" ist natürlich auch ein eher willkürlich festgelegter Begriff. Da werden Leute von zehn Jahrgängen locker über einen Kamm geschert, über alle Bildungs- und Arbeitshintergründe hinweg. Das funktioniert natürlich nicht und das regt mich auch auf.
Für mein Buch wollte ich herausfinden, was eigentlich alle jungen Leute heute in Deutschland gemeinsam haben. Das ist erstens: Das Internet. Die meisten sind damit aufgewachsen. Das andere ist: Angela Merkel. Weil wir unser politisches Bewusstsein entwickelt haben, als Angela Merkel Bundeskanzlerin war und das ist sie geblieben. Das sind zwei prägende Elemente, die man vielleicht heranziehen könnte als Kriterien für eine Generation. Aber klar: Die Definition ist schwierig.

Meinst du, dass es Generationengerechtigkeit überhaupt geben kann?

Ja das glaube ich schon. Prinzipiell haben wir es ja in den letzten Jahrzehnten erlebt, dass die Lebensbedingungen für die nachfolgenden Generationen immer besser wurden. Vor allem die Babyboomer, also die Mitte der 1950er- und Mitte der 1960er Geborenen, haben profitiert. Die sind in eine Welt gekommen, in der sie ziemlich gute Arbeitsbedingungen hatten und es relativ friedlich war. Wir haben natürlich auch das Glück, dass wir keinen Krieg miterleben mussten. Unsere Probleme sind jetzt aber, dass erstens die natürlichen Ressourcen einfach aufgebraucht werden und uns keiner fragt, wie wir das denn in dreißig, vierzig, fünfzig Jahren gern noch hätten. Der Klimawandel wird in der Politik wie ein Stiefkind behandelt und die Arbeitsbedingungen werden auch schlechter. Das heißt, besser als unseren Vorgängergenerationen geht es uns eigentlich nicht. Aber mit einer nachhaltigen Politik glaube ich schon, dass Generationengerechtigkeit umsetzbar ist.

Viele haben vermutlich von ihren Eltern schon mal dieses Mantra gehört: "Damit ihr es mal einfacher habt" oder "damit ihr es mal besser habt." Kommt dir das bekannt vor?

Ja total. Aber ich habe auch gemerkt, dass das natürlich totaler Quatsch ist. Das hat vielleicht für unsere Eltern gestimmt und ich glaube, man hofft immer, dass es den Kindern noch besser geht. Aber es ist einfach nicht mehr so selbstverständlich wie es früher war, dass man sich hocharbeiten kann und dann noch mal ein bisschen besser als seine Eltern dasteht. Eher das Gegenteil ist der Fall. Eine neue Studie zeigt, wie schlimm es da eigentlich um unser Bildungssystem bestellt ist: Kinder deren Eltern kein Abitur gemacht haben, machen seltener selbst Abi und studieren. Das passt überhaupt nicht zu diesem Mantra: "Wir tun alles für euch und ihr arbeitet hart und dann werdet ihr dafür belohnt". Und ich glaube bei vielen Eltern ist noch gar nicht so angekommen, wie sich die Zeiten verändert haben.

Einerseits ist ein Hauskauf für viele in unserer Generation nahezu unmöglich geworden, andererseits haben wir im Vergleich zu vielen Eltern in den 1960er und 1970er Jahren ausbildungs- und jobtechnisch viel mehr Möglichkeiten - vor allem Frauen. 

Das sagt ja auch unsere Eltern- und Großelterngeneration immer wieder: "Was ihr alles an Möglichkeiten habt, das hatten wir gar nicht und das konnten uns das gar nicht vorstellen." Das stimmt auch. Aber gleichzeitig sind ja die vielen Möglichkeiten auch oft ein Problem. Das geht auch damit einher, dass die Arbeitsbedingungen schlechter werden, die Einstiegslöhne sind ja ziemlich niedrig im Vergleich zu dem, was man eigentlich braucht. Wir bekommen auch keine Zinsen mehr. Unsere Eltern konnten einfach das Geld auf dem Sparkonto liegen lassen und das hat sich trotzdem vermehrt - das kennen wir ja gar nicht mehr. Und dadurch, dass sich die Ausbildungszeiten auch verlängern, verlagert sich natürlich auch die Zeit nach hinten in der man vielleicht eine Immobilie kauft und eine Familie gründet, weil man noch damit beschäftigt ist, die Karriere aufzubauen, um ein regelmäßiges Einkommen zu haben, mit dem man planen kann.

Hast du das Gefühl, dass es auch gilt für die Leute, die zehn Jahre jünger sind als du?

Ja, ich glaube das gilt auf jeden Fall noch. Das Problem ist ja, dass gerade junge Leute oft ausgeschlossen werden von bestimmten Gesetzen des Arbeitsmarktes, manche benachteiligen junge Leute auch. Das ist beim Mindestlohn der Fall und das merkt man jetzt auch bei Praktikanten, die entweder gar kein Praktikum mehr bekommen, weil die Unternehmen keinen Mindestlohn zahlen wollen. Oder die dann für 300 Euro in einer teuren Stadt leben müssen. Und das zeigt sich bei Befristungen: Junge Leute sind extrem häufig betroffen von befristeten Arbeitsverträgen, weil man nach dem Studium oder nach der Ausbildung einfach eine Befristung bekommen kann. Das steht so im Gesetz und das ist natürlich ein Riesenproblem, weil damit kann man dann überhaupt nicht planen, und man hat meistens auch ein niedrigeres Gehalt als die anderen.

In deinem Buch "Macht Platz" gibt es eine total starke Stelle: Da schilderst Du, wie Politiker auf die Forderung reagieren, dass junge Menschen via Quote verbindlich beteiligt werden sollen. Da kommt als Reaktion, es brauche gar keine jungen Menschen, weil man denke ja für die Kinder und Enkel mit.

Selbst wenn man als älterer Politiker Enkelkinder hat, ist das noch mal was anderes, als wenn man sich noch daran erinnert jung zu sein. Das ist natürlich ein Problem. Einerseits sagt man gern "Ach ja die Jungen wollen ja nicht bei uns mitmachen!". In den Parteien haben wir zu wenig junge Leute - es sei ja gar keiner da, der die Nachfolge antreten kann. Aber eigentlich geht es in Wahrheit dann doch um Macht, weil man den Listenplatz oder das Bundestagsmandat, das man schon hat, auch nicht aufgeben möchte - um es jemandem zu geben, der jung ist und vielleicht ein bisschen mehr die Zukunft mitdenkt. Ich wäre auf jeden Fall dafür offen, ein Bundestagsmandat zeitlich zu begrenzen, sodass nach zwei Amtszeiten einfach mal jemand anders diesen Listenplatz bekommt. Dann muss man als Abgeordneter vielleicht mal eine Pause machen, wieder seinem alten Job nachgehen und mit anderen Menschen in Berührung kommen. Das wäre auf jeden Fall eine Möglichkeit eine Durchmischung herzustellen, die ja offensichtlich fehlt.

So wie es aussieht, wird unsere Generation ja bis mindestens 67 arbeiten, vielleicht sogar länger. Wenn wir dann irgendwann ab 2050 langsam in Rente gehen, liegt das Rentenniveau nur noch bei etwa 41 Prozent. Da bleibt dann nicht mehr so irre viel zum Leben übrig. Wenn ich sowas sehe, macht mir das wahnsinnig viel Angst. Wie geht es dir?

Ich habe das Gefühl ehrlich gesagt auch erst mal. Ich habe aber immer noch die Hoffnung, dass wir uns mehr darüber unterhalten, wie es für die jüngeren Generationen später aussieht mit der Rente. Es gibt ja auch viele Wissenschaftler, die sich mit Alternativen beschäftigen, und sich fragen, was denn das Grundeinkommen zum Beispiel verändern würde. Ich hoffe, dass es in der Politik doch noch mal Klick macht: "Wir schrauben nicht immer nur an diesen kleinen Stellen nach, sondern gucken mal, was wir ganz anders machen können und wie wir in 30, 40, 50 Jahren immer noch gut leben können." Die Hoffnung habe ich noch und damit tröste ich mich.

Was kann jeder von uns tun, dass sich die Situation verändert für uns?

Super schwierig. Es wäre wichtig, dass die Generationen einfach mehr miteinander reden und einander zuhören und den jungen Menschen auch zugehört wird. Denn das sind ja schließlich diejenigen, die noch am längsten hier leben müssen, in diesem Land und auf dieser Erde. Dann sollte man sie als Konsequenz auch in wichtige Gremien aufnehmen zum Beispiel in die Rentenkommissionen, in den Bildungsrat, in die Kohlekommissionen - überall da, wo die Zukunft verhandelt wird. Auch in den Parteien könnte man modernere Strukturen einführen. Man könnte jungen Leuten Wertschätzung entgegenbringen und vielleicht mit Hilfe einer neuen Quote dafür sorgen, dass junge Leute oder einfach auch mal andere Leute als sonst Listenplätze bekommen und damit die Chance haben, in den Landtag oder in den Bundestag einzuziehen. Diese Durchmischung ist dann zwar erzwungen, aber wenn es nicht anders geht, dann muss man das halt so tun. Und wenn man Lust drauf hat, sollte man auf jeden Fall auch Parteien beitreten und schauen, was man da erreichen kann. Da muss man beharrlich bleiben, die Erfahrung hat gezeigt, dass neue Mitglieder nicht immer mit offenen Armen empfangen werden. Da muss man sich vorher auch schon ganz gut überlegen, was man da genau tun will und einfach dranbleiben und helfen die Parteien, durchlässiger zu machen.

Buchtipp: "Macht Platz! - Über die Jugend von heute und die Alten, die überall dick drin sitzen und über fehlenden Nachwuchs schimpfen“ von Madeleine Hofmann ist im Campus Verlag erschienen.

Sendung: PULS Spezial, 10.11.2018 - ab 18.00 Uhr