Bürger-Engagement Mit einer alten Bushaltestelle gegen die Gentrifizierung Münchens kämpfen

Die Boazn, der Tante-Emma-Laden, das Programmkino - immer mehr muss für schicke Wohnungen weichen. In Giesing wird "Halt 58", eine alte Bushaltestelle, zum Symbol dafür, dass die Bürger sich ihre Stadt zurückholen wollen.

Von: Robin Köhler

Stand: 19.07.2018 | Archiv

"Halt 58" | Bild: Initiative „Mehr Platz zum Leben“

Der Trend ist klar: Die Mieten in München und anderen deutschen Städten steigen weiter an, Quadratmeterpreise von neuen Eigentumswohnungen liegen schon mal zwischen 10.000 und 20.000 Euro. Wer soll das bezahlen? Aus Wut darüber besprayen unzufriedene Münchner Hauswände mit politischen Statements oder zünden Papiercontainer an. Politik und Einwohner scheinen sich eher zu entfremden, als gemeinsam an Lösungen für bezahlbaren Wohnraum in einer lebenswerten Stadt zu arbeiten.

Kulturzentrum, Ausstellung, Spielplatz, Familien- und Jugendtreff - alles in Einem

Dass es auch anders geht, zeigt der "Halt 58" am Münchner Kolumbusplatz. Hier haben Leute ein Zeichen gegen Gentrifizierung gesetzt - nicht indem sie etwas kaputtgemacht, sondern indem sie etwas geschaffen haben. Das Projekt der Bürgerinitiative "Mehr Platz zum Leben" ist Kulturzentrum, Street-Art-Ausstellung, Spielplatz, Familien- und Jugendtreff. "Wir haben erreicht, dass aus der Asphaltwüste ein bunter, knackiger Kultur- und Kommunikationspunkt entstanden ist", sagt Melly Kieweg, die das Projekt maßgeblich vorangebracht hat.

Diese Asphaltwüste unter einer Zugbrücke im Stadtteil Giesing war einmal die Bushaltestelle der Linie 58. Gehalten hat hier - auf 1.500 Quadratmetern - aber schon seit 2013 kein Bus mehr. Ein ziemlich grauer Ort, zumindest bis vor Kurzem.  Denn mittlerweile befinden sich große Graffiti-Kunstwerke auf den Brückenpfeilern und Streckenbegrenzungen, die verschiedene Künstler aus der Region gesprüht haben. Mit Erlaubnis der Bahn wohlgemerkt. Melly sagt, allein diese Graffitis hätten schon die Art und Weise verändert, wie Passanten den Platz wahrnehmen: "Früher sind die Leute aus der U-Bahn gehetzt und einfach vorbeigelaufen. Und jetzt bleiben sie stehen, unterhalten sich und machen Fotos." Neben den großen Street-Art-Flächen gibt es auch Bereiche, in denen jeder vorbeikommen kann, um zu sprayen.

Mit Moos gegen Feinstaub

Auch cool: In Kooperation mit einem Münchner Startup hat Kiewegs Initiative große Moos-Würfel aufgestellt. "Moos hat die Eigenschaft, die Luft zu reinigen. Wir haben überlegt, wie wir dieses Prinzip in die Stadt bringen können", sagt Jens-Michael Fader vom Start-Up "Environment Cubes". Ihm zufolge kann ein Würfel im Jahr so viel CO2 binden wie ein Dutzend Bäume. Etwas abseits von den Würfeln gibt es noch Gemüse- und Kräuterbeete, um die sich ein nahegelegener Kindergarten kümmert.

Das Gelände, das an die alte Haltestelle anschließt, erinnert ziemlich an den Hinterhof von Peter Lustig: Hinter einem Bauzaun finden sich Tipis, Holzhütten, Spielgeräte und eine Fahrradwerkstatt. "Nachdem die Bahn das Gelände verkauft hat, wäre sonst wahrscheinlich erst mal eine Baugrube entstanden, wo jeder seinen Müll über den Bauzaun wirft", sagt Melly. Stattdessen trifft sich hier im Moment regelmäßig die Initiative "Familienbaum", ein Zusammenschluss von mehreren Familien, die sich gegen Anonymität in der Stadt einsetzen. Wann der Käufer hier bauen will, ist noch unklar, aber Melly hofft, dass er sich noch lange Zeit lässt. "Und solange nutzen wir das Gelände und freuen uns darüber."

Seid Ungehorsam!

Melly Kiewegs Bürgerinitiative hat schon im vergangenen Jahr ihr 20-jähriges Bestehen gefeiert. Der "Halt 58" ist dabei nur eine von vielen Aktionen für ein schöneres München. Mit der ist sie den Investoren dieses Mal zuvorgekommen. Für eine lebenswertere Stadt wünscht sich Kieweg manchmal mehr bürgerlichen Ungehorsam. Der soll sich aber nicht in angezündeten Müllcontainern äußern, sondern eher mit Straßenmalkreide und weniger Angst vor Bürokratie.

Sendung: Filter am 19.07.2018 – ab 15 Uhr