Feministische Bücher Über Frauen, die loszogen, die Welt zu verändern

Wo sind eigentlich die Abenteuerinnen, die Kämpferinnen, die Revoluzzerinnen? Es gibt sie zuhauf, nur schreiben die wenigsten über sie. Diese fünf Bücher erzählen Geschichten von Frauen, die anstiften und aufwühlen.

Von: Linda Becker

Stand: 20.12.2018 | Archiv

Graphik | Bild: BR

Was wäre, wenn alle Frauen allen Männern körperlich überlegen wären? Oder wir viel mehr weibliche Abenteurer kennen würden? Oder die Smartphones dieser Welt nicht nur von Dick Pics sondern auch mal von Schamlippen-Pics heimgesucht würden? Wäre unsere Welt eine bessere? Ja! Nein. Äh, vielleicht? Auf jeden Fall lohnt es sich, diese fünf Bücher zu lesen und mal darüber nachzudenken.

1. "Die Gabe" von Naomi Alderman

In "Die Gabe" sind die Frauen den Männern körperlich überlegen, denn sie entwickeln unerwartet eine neue Gabe: mit ihren Fingern können sie tödliche Stromschläge verteilen. Diese Gabe breitet sich nach und nach unter der weiblichen Bevölkerung aus.

Einige Frauen nutzen ihre neu gewonnene Macht aus, unterdrücken Männer, behandeln sie schlecht. Andere Frauen wiederum haben endlich die Kraft, sich aus häuslicher Gewalt, Zwangsehen oder sexueller Unterdrückung zu befreien. Keine Frau wird in dieser Welt vergewaltigt, jede wird ernst genommen.

Klar, das Machtgefälle in dieser Fiktion ist groß und die Kräfte sind ungleich verteilt - so wie in unserer Welt, der normalen Welt, nur eben andersrum. Genau deshalb ist "Die Gabe" ein sehr lesenswertes Gedankenexperiment der Autorin Naomi Alderman, denn das Buch zeigt eindrücklich, dass die Welt auch anders sein könnte. Gewalt gegen ein körperlich unterlegenes Geschlecht ist niemals ok oder gerechtfertigt.

"Die Gabe" ist im Heyne Verlag erschienen.

2. "Wildnis ist ein weibliches Wort" von Abi Andrews

Jeder hat schon von Neil Armstrong gehört, die wenigsten aber von Walentina Tereschkowa. Sie war die erste Frau im Weltraum und die bisher einzige ohne männliche Begleitung. Wir alle kennen den Entdeckermythos von Indiana Jones, aber die wenigsten haben von der Bergsteigerin Annie Smith Peck gehört. Sie war bei der Besteigung des Coropuna, des höchsten Vulkans Perus, schneller als Hiram Bingham - und der ist das Real-Life-Vorbild des Indiana-Jones-Charakters.

In ihrem Buch "Wildnis ist ein weibliches Wort" verwebt Abi Andrews ungehörte Fakten über Abenteuerfrauen mit der Reise ihrer Protagonistin Erin. Die ist 19 und reist von England aus mit dem Schiff nach Island, über Grönland, am Polarkreis entlang nach Kanada und schließlich nach Alaska - zu Fuß, per Anhalter, mit dem Hundeschlitten und Fischerbooten.  Immer wieder muss Erin beweisen: Frauen reisen alleine und das ist ok. Niemand muss deswegen übermäßig besorgt sein, sich kümmern oder sie bemitleiden - weder ihre Eltern noch ihre Freunde. Sie hat sich das so ausgesucht, sie schafft das.

"Wildnis ist ein weibliches Wort" ist ein Buch über das "allein Klarkommen", über das Einsamsein, über das Freisein. Denn frei sein bedeutet unabhängig sein. Und während Unabhängigkeit bei Männern meist als stark und wild gewertet wird, wird sie bei Frauen allzu häufig mit Egoismus oder irrationaler Sturheit gleichgesetzt. Und das ist unfeministischer Quatsch!

"Wildnis ist ein weibliches Wort" ist bei Hoffman und Campe erschienen.

3. "Unerschrocken" von Pénélope Bagieu

Die bekannteste Liebesgeschichte der Welt spielt in Verona: "Romeo und Julia" von William Shakespeare. Die schönste Liebesgeschichte aber spielt in Roermond in den Niederlanden und ist Teil des Bandes "Unerschrocken - Geschichten außergewöhnlicher Frauen" von Pénélope Bagieu. Sie handelt von Jacob van Gorcum und Josephina van Aefferden und ist tatsächlich so passiert. Jacob war Protestant und Josephina Katholikin. Das bedeutete damals, dass man nicht so einfach heiraten und auch nicht auf demselben Friedhof begraben werden konnte.

Auf dem Friedhof in Roermond trennt eine Mauer den protestantischen Teil vom katholischen Teil - damals wie heute. Nach dem Tod ihres Mannes Jacob wollte sich Josephina aber nicht damit abfinden, auf einer völlig anderen Seite des Friedhofes begraben zu sein. Deshalb setzte sie einen großartigen, starrköpfigen Plan durch, für den der Friedhof in Roermond heute bekannt ist: Das Grab mit den Händen. Zwei Handpaare berühren sich über die Mauer hinweg - es sind Jacobs und Josephinas Hände.

Die Geschichte von Josephina und Jacob ist aber nur eine der 15 Geschichten außergewöhnlicher Frauen. Pénélope Bagieus Sammelband erzählt von Entdeckerinnen, Kriegerinnen, Gynäkologinnen und Leuchtturmretterinnen. Allesamt wahre Geschichten, allesamt revolutionäre Frauen der Weltgeschichte, von denen bisher die wenigsten gehört haben.

"Unerschrocken" ist im Reprodukt Verlag erschienen.

4. "Fische" von Melissa Broder

Melissa Broder ist in den USA ein Star, zumindest ein Social-Star. Auf ihrem Twitter-Account "So sad today" hat sie beinahe 800.000 Follower. Dort twittert sie über Sex, Selbstzweifel und Depression - ähnlich tiefgründig liest sich ihr erster Roman "Fische".

Die Ich-Erzählerin hat sich gerade überstürzt von ihrem Freund getrennt, bereut es sofort, doch es gibt kein Zurück mehr. Kennt jede, haben die meisten schon mal gemacht. Überfordert von der neuen Lebenssituation betrinkt sie sich, vergräbt sich in ihrer Trauer und versucht sich halbherzig umzubringen. Als das missglückt, beginnt sie eine Therapie und treibt sich auf Tinder rum - die Leere bleibt. Hier kippt der Roman ins Fantastische, als sie eines Abends am Strand einen schönen Meermann kennenlernt. Ein Fabelwesen, das unterhalb seiner noch menschlichen Genitalien eine Schwanzflosse besitzt. Die Beziehung ist aussichtslos und trotzdem hat sie nie jemanden mehr geliebt.

In "Fische" schürft Melissa Broder tief, denn eine Frage zieht sich durch den kompletten Roman: Welches Gefühl ist Liebe? Ist es das etwas langweilige geborgene Gefühl, das eine langjährige Beziehung mit sich bringt? Oder ist leidenschaftliche Liebe vielmehr eine Vorstellung von etwas gänzlich Unerreichbarem?

"Fische" ist im Ullstein Verlag erschienen.

5. "Untenrum frei" von Margarete Stokowski

Wenn man anfängt Schlagzeug zu spielen, fällt es anfangs schwer, seine Gliedmaßen unabhängig voneinander zu bewegen. Die Synapsen, die das ermöglichen, bilden sich erst nach und nach - es ist einfach unbewohnt. Wenn man "Untenrum frei" von Margarete Stokowski liest, geht es einem ähnlich. Bisher unhinterfragte Denkmuster verknüpfen sich neu, man beginnt zu hinterfragen: Warum nennt man besonders durchsetzungsfähige Frauen eigentlich "Powerfrauen"? Erfolgreiche Männer nennt man ja auch bloß erfolgreiche Männer. Warum scheint ein "Was wollen die denn noch? Frauen sind doch mittlerweile fast überall gleichberechtigt" ein valides Argument gegen feministische Anstrengungen zu sein? Warum schicken Männer selbstbewusst Dick Pics, Frauen aber beinahe nie Schamlippen-Pics?

Margarete Stokowski arbeitet sich an ihrer eigenen Geschichte, ihren Erfahrungen mit Vergewaltigung und Essstörungen ab. Sie hinterfragt unsere von männlichen Vorstellungen geprägte Sprache und bestehende Strukturen, die wir vor lauter Sozialisation gar nicht mehr erkennen. Kurz: Margarete Stokowski macht den Weg für ein neues Denken frei. "Es ist mühsam, sich da rauszupulen", sagt die Autorin. Und wer sich noch weiter pulen will, der kann mit ihrem neuen Buch "Das Ende des Patriarchats" gleich weitermachen.

"Untenrum frei" ist im Rowohlt Verlag erschienen.

Sendung: Filter, 17.12.2018, ab 15 Uhr