Studie zu Chartmusik Wieso Pophits so oft gleich klingen

Die amerikanische Website The Pudding zeigt in einer Studie: Die Hits unserer Zeit werden sich immer ähnlicher. Wir erklären euch, woran das liegt - und wieso uns das auch egal sein kann.

Von: Katja Engelhardt

Stand: 25.06.2018 | Archiv

Pop-Songs werden immer ähnlicher | Bild: BR Mediengestalter

Dieser Artikel hat nicht nur unter Musiknerds für "Wusst ich's doch"-Momente gesorgt: Die amerikanische Webseite "The Pudding" hat die großen Hits der letzten Jahre untersucht und sich gefragt: "Werden Hits sich musikalisch immer ähnlicher?" Das Ergebnis:

Ja, werden sie. Zumindest in den Billboard Hot 100.

Aber müsst ihr euch deswegen mit The Beatles-Neupressungen unter dem Arm und Proviant in einem Bunker verbarrikadieren und hoffen, dass die Pop-Apokalypse an euch vorbeizieht? Natürlich nicht.

Wie wird bestimmt, wie ähnlich sich Songs sind?

Für die Studie wurden Daten von The Echo Nest genutzt. Die Firma ist unter anderem bei Spotify für die ultragenauen Algorithmen zuständig und bietet quasi eine künstliche Musikintelligenz.

Ihr unterscheidet Songs nach Genre? Lachhaft! The Echo Nest vergibt an alle Songs Charakteristika wie "Loudness" oder "Danceability" und stuft danach jeden einzelnen ein. Das ergibt dann vereinfacht gesagt einen Fingerabdruck für jeden Song. Und wenn man den erst einmal hat, kann bestimmt werden, wie ähnlich sich diese verschiedenen Song-Fingerabdrücke sind.

Wieso gleichen sich die Hits immer mehr?

Ein Grund, warum die großen Hits sich immer ähnlicher werden, ist sicherlich die Tatsache, dass an einem echten Hit heute nicht nur der Interpret arbeitet, sondern meistens auch einige professionelle Songschreiber. Und auf eine Handvoll Songschreiber verteilen sich immer mehr Hits. Der Schwede Max Martin zum Beispiel hat von den Backstreet Boys bis hin zu Taylor Swift etliche Stars musikalisch versorgt. Zwischen 2010 und 2014 hatte er gleich 22 Songs an der Spitze der U.S. Charts. Das ist ein ganz schöner Brocken im Vergleich zu einer einzelnen Sängerin wie zum Beispiel Beyoncé.

Aber Beyoncé hat ja wiederum auch ein Team an Songschreibern, Produzenten und Musikern - so wie fast alle Stars. Auch an einem Lied von Katy Perry arbeiten gerne mal zehn Leute mit, nachzulesen in den Song-Credits. Für alles gibt es einen Experten, vom Bass bis hin zum Refrain. Und je mehr Spezialisten an einem Song arbeiten, desto eher werden Besonderheiten - bewusst oder unbewusst - abgemildert.

Auch Kollaborationen könnten eine Ursache sein. Könnt ihr euch an das letzte Sean Paul Album erinnern? Wir auch nicht. Dafür hat der Mann mehrere Hits gehabt - aber immer nur als Feature-Gast, etwa mit David Guetta und Becky, Dua Lipa, Clean Bandit und Anne-Marie. Klar, Sean Paul wird da nicht immer selbst an den Reglern sitzen, aber er hat einen bestimmten Stil, über den er funktioniert. Und der klingt dann bei allen Songs an.

Also nur noch die Mucke der Eltern hören, weil damals alles besser war?

Nö. Michael Mauskapf ist ein U.S.-amerikanischer Wissenschaftler, der ebenfalls mit Daten von The Echo Nest gearbeitet hat. In einem Telefonat hat er uns verraten, wieso die Billboard Charts nicht nur kreatives Sodom und Gomorrha sind: "Ein Song muss ‚optimal anders‘ sein. Nicht zu anders und nicht zu ähnlich, verglichen mit der Musik, die zur selben Zeit erscheint. So kommt er an die Spitze der Billboard Charts."

Die krassen Hits sind also eben nicht genau wie alle anderen Songs. "Set Fire To The Rain" von Adele hatte zum Beispiel eine viel niedrigere Wertung, was die Energie angeht, als andere Songs im Jahr 2011. Und Bruno Mars' Song "When I Was Your Man" hatte ein höheres Maß an Acousticness, also einen deutlich akustischeren Charakter, als andere Hits 2012 - und wurde so zum Super-Hit.

Hier geht es also auch um aktuelle Trends in der Musik. In den 70ern wäre ein Song mit elektronischen Momenten aufgefallen. Heute zucken wir da nur mit den Schultern und feiern Milky Chance dafür, wie sie mit "Stolen Dance" das Feeling von Akustik und Elektro vereint haben.

Die Songs werden vielleicht ähnlicher – aber wir Hörer nicht

Wenn wir über Diversität sprechen, dann meinen wir dabei oft auch: Wie unterschiedlich ist die Zusammensetzung was Geschlecht, Herkunft und Ethnien angeht? Ob mehr Tracks von Frauen gesungen werden oder Stimmen in den Top-Charts eher nach deutschen oder kolumbianischen Interpreten klingen, solche Informationen geben die Daten der Untersuchungen nicht her. Obwohl genau diese Information in Zeiten von Black Lives Matter und neuem Feminismus besonders spannend wären, gibt es laut Michael Mauskapf trotzdem eine sehr positive Mitnehm-Message: "Viele Untersuchungen zeigen, dass Musikhörer immer verschiedenere Musik wollen - männliche Interpreten, weibliche Interpreten, schwarz, weiß. Musikhören ist viel diverser geworden und ich glaube, das wird sich noch fortsetzen."

Denn dass die Charts trotz Internet und globaler Vernetzung aussehen, wie sie aussehen, ist eine institutionelle Geschichte. Immerhin sind das oft die Interpreten, in die die wenigen aber mächtigen Major Labels besonders viel Kohle pumpen. Aber dass wir Musikfans mit immer offeneren Ohren hören, das ist eine verdammt gute Entwicklung. Die Charts mögen blöde sein, wir sind es nicht.

Sendung: Filter, 25.06.2018 - ab 15.00 Uhr