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Ruhmeshalle Throbbing Gristle - 20 Jazz Funk Greats

Ist das noch Musik? Oder schon die große Weltverschwörung? Throbbing Gristle begründen Ende der 1970er Jahre das Genre Industrial und enthüllen die böse Fratze der Konsumgesellschaft. Ziemlich viel Stoff für ein Album. Aber es lohnt sich.

Von: Michael Späth

Stand: 30.03.2012 | Archiv

Throbbing Gristle | Bild: Industrial Records Ltd.

England in den 70ern: Throbbing Gristle gelten als das Enfant Terrible des Pop. Der Bandname steht für "erigierter Penis". Die Gruppe hat als Performance-Duo mit sado-masochistischen Kunstinszenierungen begonnen, bei einer Ausstellung lassen sie Stripper auftreten. Für die damaligen politischen Verhältnisse ist das zu viel: Ein Tory-Abgeordneter des britischen Unterhauses nennt sie "Zerstörer der Zivilisation". Für die Gründungsmitglieder Cosey Fanni Tutti und Genesis P-Orridge bedeutet das natürlich eine Adelung.

Und Throbbing Gristle ist eine Band, die eigentlich nur Lärm macht, die aus Synthesizern, Keyboards sowie Band- und Drummaschinen alles rausholt, was schräg, brutal oder einfach nur unhörbar klingt. Damit schaffen sie ein waberndes, kreischendes und dabei immer unaufhaltbar grooviges Soundmonster. Das Genre Industrial ist geboren.

Hinter dem Frohsinn lauert der Verfall

1979 ändert sich alles: Die vier Briten komponieren auf dem dritten Studioalbum "20 Jazz Funk Greats" Songs, die zugänglich und beinahe unschuldig klingen wie das jazzige "Exotica" oder die Synthiepop-Perle "Walkabout".

Das Neue daran: Throbbing Gristle verbinden süße Klänge mit ihren gespenstigen Sounds. So wollen sie die Fratze der Konsumgesellschaft enttarnen: Frohsinn, hinter dem stets der Verfall lauert. Es ist diese Haltung, Widersprüche nicht aufzulösen, sondern genüsslich, fast sadistisch aufeinanderprallen zu lassen, die "20 Jazz Funk Greats" zu einem Meilenstein macht.

Throbbing Gristle - 20 Jazz Funk Greats (Cover)

Auf dem Cover des Albums stehen Throbbing Gristle gut gelaunt auf einer Wiese am Rand der Kalkklippen bei Eastbourne - ein beliebter Ort unter Selbstmördern. Immer diese Widersprüche - auch die Haltung in einem ihrer außergewöhnlichsten Tracks: "Hot On The Heels Of Love" ist nicht nur ein Blueprint für Minimal-Elektronik, den ungezählte Techno-DJs, auch Carl Craig, später gecovert haben. Es klingt beinahe zynisch, wenn Frontfrau Cosey Fanni Tutti zwischen dem monoton wiederholten Refrain singt: "I'm waiting for help from above." Denn wo kann dieses Oben sein bei einer Band wie dieser, wenn nicht in einem schonungslos hoffnungslosen, bodenlosen Unten?

Es gibt keine Hoffnung bei Throbbing Gristle, es gibt nur die vertonte industrielle Umgebung. Und die klingt auf "20 Jazz Funk Greats" immer so, wie sie selbst ist: erschreckend, verführerisch und grausam. Wer war noch mal gleich der Zerstörer der Zivilisation? Genau...


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