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Ruhmeshalle John Lennon - Plastic Ono Band

Bis heute denkt beim Namen John Lennon jeder zuerst an das Werk seiner überlebensgroßen Band. Dabei hat Lennon auch nach den Beatles Großes geleistet. Schon 1970 mit dem schonungslosen Selbstfindungsalbum "Plastic Ono Band".

Von: Michael Wopperer

Stand: 09.12.2010 | Archiv

John Lennon und seine Frau Yoko Ono | Bild: Alan Tannenbaum

In meiner Familie sind die Beatles fast so etwas wie eine Religion gewesen. Die ersten Platten, die mein Vater mir vorgespielt hat, waren "Sgt. Pepper", das "Weiße Album" und "Abbey Road". Ich konnte alle Liedtexte auswendig, bevor ich ein Wort Englisch gelernt hatte. Meine Geschwister und ich haben sogar Beatles gespielt - ich war Paul McCartney, meine Schwester war Ringo Starr und mein großer Bruder war John Lennon. Die Beatles waren der Soundtrack meiner Kindheit. Was mit irgendeinem der Bandmitglieder nach den Beatles passiert ist, war uninteressant. Einen Beatle jenseits der Beatles gab es nicht. Erst Jahre später, als ich schon x-mal den gesamten Beatles-Katalog durchgehört hatte, wollte ich wissen, was John Lennon nach den Beatles getrieben hat. Also hab ich mir "Plastic Ono Band" angehört, das erste richtige Soloalbum, das Lennon nach dem Dahinscheiden seiner überlebensgroßen Band gewagt hat. Und ich war schockiert.

Authentischer war Lennon nie

"Plastic Ono Band" schmeißt alles über den Haufen, was die Beatles an durchdachter Arrangementkunst und feinem Popgespür erreicht hatten. Es ist ein Trümmerhaufen, ein Aufschrei, ein erschütterndes Dokument der Selbstfindung eines verunsicherten Künstlers und Menschen. Und das authentischste Stück Musik, das John Lennon je produziert hat.

Mit "Plastic Ono Band" springt John Lennon in einem großen Satz aus dem Schatten seiner alten Band - indem er gar nicht erst versucht, die Geschichte der Beatles weiterzuschreiben, sondern alles, was die Beatles waren, zerschlägt und sich als Singer/Songwriter neu erfindet. Er macht sein erstes Soloalbum zum schonungslosen Selbstfindungstrip, der nie schön sein soll, sondern echt. Musikalisch heißt das: Reduktion aufs Allernötigste.

Gitarre und Klavier kommen von John selbst, Bass vom alten Beatles-Freund Klaus Voormann, Drums von Ringo Starr. Yoko Onos Aufgabe war laut CD-Booklet "Wind" - was auch immer das bedeuten mag.

"The dream is over"

"Plastic Ono Band" ist der reinste Exorzismus. John Lennon versucht auf dem Album, all seine Teufel auszutreiben - von den Traumata seiner Kindheit bis zu den Tücken des Rockstar-Daseins.

Das Anti-Glaubensbekenntnis "God" zählt alles auf, woran Lennon nicht mehr glauben mag: Jesus, Buddha, Kennedy, I Ching, Tarot, Yoga, Elvis, Bob Dylan - und: die Beatles. "I just believe in me, Yoko and me, and that's reality."

"The dream is over" singt John Lennon am Ende seiner musikalischen Selbsttherapie. Ich werde nie nachvollziehen können, wie dieser Satz 1970 für einen Beatles-Fan wie meinen Vater geklungen hat. Mir als Spätgeborenem hat er geholfen zu verstehen, warum die Band, die mich zum lebenslang Popmusiksüchtigen gemacht hat, nicht mehr weiterexistieren konnte. Und zu begreifen, dass John Lennon viel mehr war als einer von vier Beatles: Keiner hat sich selbst so sehr aufs Spiel gesetzt wie er, um einer verlogenen Welt ein Stückchen Wahrheit entgegenzusetzen.


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