Fynn Kliemann & Co. Was DIY in der Musik wirklich bedeutet

Do-It-Yourself beschränkt sich schon lange nicht mehr nur aufs Heimwerken. Aber Terrasse pflastern und Album aufnehmen sind nicht dasselbe. Denn mit Musik ohne professionelle Hilfe erfolgreich zu sein, ist eigentlich unmöglich.

Von: Jan Limpert

Stand: 23.04.2020 | Archiv

Selbstunterhalter Set: Instrumente mit Schnüren zusammengespannt | Bild: BR

"Dieses Album ist DIY entstanden" – sobald wir so einen Satz lesen oder hören, schießen uns sofort folgende Assoziationen in den Kopf: Musiker*innen sitzen allein zu Hause, spielen im Homestudio jedes Instrument selbst ein, brüten über Textzeilen, schreiben jede Akkordfolge selbst und am Ende steht da ein Album.

Der Grund dafür sind Künstler*innen wie Trettmann oder Fynn Kliemann. Sie haben unsere Vorstellung von DIY in der deutschen Musikszene geprägt – Trettmann durch sein Album mit dem passenden Titel "#DIY" und Kliemann durch sein Album "Nie", das er – wie seine Projekte im Kliemannsland – nur mit Kumpels gemacht haben will. Aber so romantisch die Vorstellung auch sein mag, die Realität sieht anders aus. Denn nicht einmal die Könige der DIY-Mukke können ohne Hilfe "ihr Ding durchziehen".

Ohne Fam und Kumpels keine Chance

Ob man will oder nicht: Musik ist ein kollaborativer Prozess.

"Nur noch mit der Fam, brauch' keine Helfer
Die Welt arschkalt, wird immer kälter
Nur noch mit der Fam, helfen uns selber
Schletti ist der Don, machen alles selber"

Trettman auf 'DIY'

Das singt Tretti im Opener "DIY" aus dem gleichnamigen Album. Die fünf Zeilen Text machen zwei Dinge deutlich: Hilfe von außerhalb des engsten Kreises ist nicht DIY. Zusammen mit der Family Mukke machen schon. Die Fam, das sind in dem Fall KitschKrieg und Stereo Luchs, also hauptberufliche Musiker und Produzenten, die Trettmann im Studio aufnehmen, Beats bauen und auch mal bei den Lyrics helfen.

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TRETTMANN - #DIY (prod. KITSCHKRIEG) | Bild: SoulForce Records (via YouTube)

TRETTMANN - #DIY (prod. KITSCHKRIEG)

Und auch der DIY-Gott himself, Fynn Kliemann, kam nicht drum herum, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen – oder wie Kliemann es nennt: "Kumpels". Mit Philipp Schwär heuerte er einen Produzenten an, der bereits mit Tim Bendzko, Samy Deluxe und Pohlmann gearbeitet hat. Dazu wurde Niklas Tietjen als Mitgründer und zweiter Geschäftsführer von twofinger records ins Boot geholt, also dem Label, dass extra für Kliemanns Album gegründet wurde. Und auch er ist vom Fach und arbeitet als A&R-Manager beim Plattenlabel JIVE, einem Ableger von Sony Music Entertainment.

Das ist alles keine Schande und – um ehrlich zu sein – auch absolut notwendig. Denn um ein Album in großer Stückzahl zu produzieren, braucht es nun mal die Hilfe eines Labels. Genauso wenig klappt es ganz allein mit der Songproduktion. Egal wie gut die Songidee ist, wenn man nicht weiß, wie man sie im Studio umsetzt, also das Know-How zu Aufnahmetechnik, Song-Arrangement, Mixing und Mastering besitzt, wird es nichts. Auch hier sollten Leute vom Fach ran, damit man im Wettbewerb mit den unzähligen Musikern, die das alles von ihrem Label an die Hand gestellt bekommen, bestehen kann.

Was Kliemann und Trettmann trotz massiver Hilfe gezeigt haben, ist, dass man auch ohne Major-Label-Deal erfolgreich Musik machen kann. DIY kann also vieles bedeuten, wie eigene Entscheidungen zu treffen, bei keinem Major-Label anzuheuern oder sich auszusuchen, mit wem man zusammenarbeitet. Gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass das Genie, das alles selbst macht und damit kommerziell erfolgreich ist, eine unrealistische Vorstellung ist.

DIY um jeden Preis

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Eier aus Stahl: Max Giesinger und die deutsche Industriemusik | NEO MAGAZIN ROYALE | Bild: NEO MAGAZIN ROYALE (via YouTube)

Eier aus Stahl: Max Giesinger und die deutsche Industriemusik | NEO MAGAZIN ROYALE

Wie uns Jan Böhmermann vor Jahren schon am Beispiel der deutschen Industriemusik bewiesen hat, wollen das einige Musiker nicht zugeben. In den Köpfen soll nach wie vor das Bild vom hart arbeitenden, super kreativen Alleskönner aufrecht erhalten werden.

Und da wären wir bei Fynn Kliemanns Doku "100.000 – Alles was ich nie wollte" angekommen. Der Film, der auch die Entstehungsgeschichte zum Album "Nie" abbildet, wird ab dem 25.04.2020 zu sehen sein. Den Trailer gibt's schon seit Februar. Darin verkündet er stolz: "Ey, ohne Label, ohne Kohle, ohne Charts, dank euch zu einem der meistverkauften Alben 2018".

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100.000 ALLES, WAS ICH NIE WOLLTE Trailer German Deutsch (2020) Fynn Kliemann | Bild: KinoCheck (via YouTube)

100.000 ALLES, WAS ICH NIE WOLLTE Trailer German Deutsch (2020) Fynn Kliemann

Wir denken immer nur an die Interpret*innen

Dieses Statement wirkt ein wenig seltsam, denn "Nie" wurde über das eigens für das Album gegründete Label twofinger Records vertrieben. Die Kohle kam von den Vorbestellungen des Albums und in den Charts war es auch. Den Fans kann das im Grunde egal sein – und das hat auch gar nicht mal so viel mit Kliemann oder seinen Fans zu tun. Long story short: Wir sind es einfach nicht anders gewohnt. Wir wollen glauben, dass uns Sänger*innen ihre eigene, ehrliche Arbeit vortragen – und das ist historisch verankert. Seit Jahrhunderten werden Kompositionen mit einem einzigen Namen verbunden: "Fünfte Symphonie (DADADADA!)": Beethoven. "All You Need ist Love": Beatles. "Angels": Robbie Williams. Spoiler: Nur Beethoven hat wirklich alles selbst geschrieben. Von George Martin, der den Beatles beim Aufnehmen, Produzieren und Songwriting geholfen hat, oder Guy Chambers, der viele Robbie-Williams-Hymnen fabriziert hat, wissen die wenigsten.

Dass die meisten Produzent*innen, Songwriter*innen und Techniker*innen im Hintergrund landen, ist das wirklich Traurige an der ganzen DIY-Mär. Ohne sie wären unzählige Alben und Songs nie zustande gekommen – aber wir bekommen von ihrer Arbeit nichts mit, obwohl ihnen auch die Lorbeeren zustehen würden, die am Ende nur die Interpretinnen und Interpreten ernten.

Ein radikaler DIY-Approach in Sachen Musik ist nur sehr schwer umzusetzen. Deswegen sollten wir uns alle von der Idee des einsamen Musikgenies verabschieden – trotzdem bringt es nichts, uns die Musik unserer Held*innen madig zu machen. Denn Hilfe ändert nichts an der Tatsache, dass ein guter Song ein guter Song bleibt.

PULS am 23.04.2020 - ab 19.00 Uhr