"Wir haben Drachenenergie“ Warum Kanye und Trump Brüder im Geiste sind

Kanye West twittert seit Tagen ununterbrochen: Über sein Business, seine Ideen, und seine Liebe zum extrem umstrittenen US-Präsidenten. Viele Fans und Kollegen kotzen – dabei sollte diese Bromance niemanden überraschen.

Von: Matthias Scherer

Stand: 26.04.2018 | Archiv

Kanye West | Bild: Seth Wenig / picture alliance / AP Photo

Es fing alles ganz harmlos an: Kanye Wests erster Tweet nach einer fast einjährigen Pause war ein Foto eines Kanye-West-T-Shirts mit dem Kommentar: "My favourite Saint Pablo Tee“. Classic Kanye!

Viele von uns freuten sich, dass er wieder da war – er hat schließlich eine ziemlich bittere Zeit hinter sich. Ende 2016 war Kanye wegen Ermüdung und Schlafmangel in ein Krankenhaus eingeliefert worden – kurz nachdem seine Frau Kim Kardashian in einem Hotel in Paris überfallen, gefesselt und ausgeraubt wurde.

Ziemlich bald lief Kanye wieder zu alter Twitter-Form auf: Er name-droppte seinen Buddy Gosha Rubchinskiy, postete Fotos von Yeezy-Schuhdesigns und haute pseudo-philosophischen Schwachsinn raus:

Dann kündigte er eine Handvoll neuer Musik-Projekte an und es schien eigentlich alles wieder im Lot. Aber als Kanye West einen Haufen creepiger Selbsthilfe-Videos vom Comiczeichner und Donald-Trump-Fan Scott Adams in seine Timeline hob, fragten sich viele seiner fast 30 Millionen Follower: Was geht denn bitte bei dir?!

Die Aussage "Trump ist mein Bruder“ folgte dann relativ zügig:

Genauso wie die enttäuschten/entrüsteten/genervten Kommentare von Kanyes Musiker-Kolleginnen und Kollegen:

"Ich bin komplett anderer Meinung als er. Ich glaube an Gedankenfreiheit, aber nicht wenn deine Gedanken es anderen erlauben, Minderheiten zu unterdrücken, ist das nicht OK."

– Janelle Monae im Interview mit Hot 97

Wie viele andere auch hatten sie wahrscheinlich gehofft, dass Kanye aus seiner Auszeit sowohl erholt als auch geläutert wiederkommen würde - schließlich hatte er 2016 schon für sein Treffen mit Trump Kritik einstecken müssen. Seine eigenen Tweets zum Inhalt dieses Treffens löschte er ein paar Monate später.

Grenzen austesten, Aufmerksamkeit kriegen, Abwiegeln... und nochmal von vorne!

Dass Fans und Musiker es Kanye West übel nehmen, dass er sich lobend über einen US-Präsidenten äußert, der sich unter anderem weigert, Nazis in seinem eigenen Land zu verurteilen, ist völlig legitim. Überraschend ist diese Geistesbruderschaft allerdings nicht wirklich.

Kanye West und Donald Trump haben beide nur ein Interesse: sich selbst. Beide sind gleichzeitig größenwahnsinnig und wahnsinnig unsicher, beide sind bekannt dafür, Bücher jeder Art uninteressant zu finden, beide sind weltberühmt und beide sind steinreich.

Sogar die Wortwahl in Kanyes Twitter-Tirade klingt bemerkenswert nach seinem neuen BFF:

Sinnfreie Wortschöpfungen? Check. Unvollständige Sätze? Check. Übertrieben positive Adjektive? Check.

Ein extremer Bekanntheitsgrad hat für die betroffenen Personen eine isolierende Wirkung: Man checkt einfach nicht mehr so richtig, wie die Welt der Normalos aussieht, und wie man sich in ihr respektvoll bewegt. Kanye war schon immer ein Großmaul, dem es nach Aufmerksamkeit gierte - nur muss man, um aufzufallen 2018 ganz andere Geschütze auffahren als noch vor drei Jahren. Das hat Entertainment-Experte Kanye West verstanden - und greift deswegen bei seinem Twitter-Comeback zur Provokations-Atomrakete: Props für einen "kontroversen“ Präsidenten.

Dass dieser in den Augen von Millionen von Menschen wie kein anderer für Diskriminierung, Ignoranz und Selbstbereicherung steht, ist Kanye entweder nicht klar - oder letztendlich Wurst. Das Ziel seiner lobenden Worte ist zunächst mal: Aufmerksamkeit erregen. Zurückrudern und den Kritikern Zensur vorwerfen kann man danach ja immer noch.

Viele Fans ringen jetzt mit sich: Kann ich Kanye und seine Musik cool finden, obwohl er sich auf die Seite von einem Typen wie Donald Trump stellt? Andere fühlen sich durch die Pro-Trump-Shout-Outs ermutigt und feiern Kanye West als #MAGA-Mitstreiter. Zusammenfinden werden diese zwei Lager wohl nicht - und das macht die Promo-Strategie von Kanye so bedauernswert. Ist es das wert, einen Keil in eine Community zu treiben, um ein paar Millionen mehr zu scheffeln? Tür Trump war die Antwort schon immer: ja. Für Kanye West scheinbar leider auch.

Sendung: Plattenbau, 26. April 2018