Jetzt Compliment Your Soul Dan Croll

Info Dank nur eines Songs wurde Dan Croll 2013 in zwölf Monaten vom Blog-Liebling zum Radiostar. Sein Debüt-Album "Sweet Disarray", das er in einer Schulturnhalle aufgenommen hat, ist ein spannender Mix aus Synth-Pop und 70ies-Rock.

Feuilleton vs. Rap Warum die Spiegel-Coverstory über Deutschrap spaltet, wo sie versöhnen könnte

Die aktuelle Titelstory des Spiegel untersucht deutschen Gangsta-Rap, will verstehen, warum Capital Bra oder die 187 Strassenbande Streamingrekorde brechen. Unser Autor findet, dass das nicht so recht klappt: Was eine Versöhnung zwischen Alt und Jung sein könnte, wird zur Spaltung.

Von: Stefan Sommer

Stand: 30.01.2020 | Archiv

Gzuz auf dem Cover des Spiegel | Bild: BR

Dagegen sah Peer Steinbrück aus wie ein aufmüpfiger Teenager, dem man kein Mofa kaufen will. Nein, wenn GZUZ den Mittelfinger auf dem aktuellen Spiegel-Cover in die Kamera streckt, wirft er den Fehdehandschuh hin. Ich bin nicht wie ihr! Wir sind Feinde! Als könnte er durch die Kamera in die erschrockenen Wintergärten der Leser*innen blicken, hat der volltätowierte Rapper seinen grimmigsten Blick aufgesetzt. Er ist sauer. Oh weh, ist der sauer! So sauer!

Wem hier noch nicht klar ist, dass GZUZ zu den besonders Bösen gehört und man sich vor ihm gruseln sollte, bekommt mit der Bildunterschrift einen letzten Hinweis: "Faszination Gangsta-Rap – Wie böse Jungs und Clan-Romantik die Kinderzimmer erobern." Und spätestens jetzt müssen alle Alarmglocken schrillen: Dieser Typ erobert die Kinderzimmer? Das darf nicht sein – und vor dem ersten Wort der Spiegel-Coverstory "Dein Kind liebt mich, Digga!" sind emotional alle Fronten geklärt.

Böse Jungs

Aber nein, das soll keine Verteidigung von GZUZ sein. Es gibt viele Dinge, die man an GZUZ und Co. kritisieren kann und muss: die oft misogynen, sexistischen und homophoben Texte, sicherlich. Der Spiegelartikel aber hilft bei ihrer Selbstinszenierung als Deutschlands Schreckgespenster. In Berlin, Hamburg und Bietigheim-Bissingen ploppen die Champagnerkorken, liefert "Dein Kind liebt mich, Digga!" doch die Dämonisierung, die oft die wirtschaftliche Grundlage des Gangsta-Rap ausmacht. Vom Spiegel werden sie beschrieben als "böse Jungs", "Hardcore-Rapper" und "Schmuddeljungs", die eine "kriminelle Macht" in Deutschland darstellen würden – eine Mystifizierung ihres Kleinganovenkitschs, die ihre Bekanntheit steigert:

"Es sind die Gesetze der Straße, die auf dem Planet Rap gelten."

Spiegel

Der Spiegel arbeitet am Mythos der Musiker mit. Mit altväterlichen Herablassungen wie "ein gut gefülltes polizeiliches Führungszeugnis ist für Gangsta-Rapper das Einserzeugnis, das die Schule für ihr Leben nicht vorgesehen hatte", bietet das Magazin den scheinbar begriffsstutzigen Totalversagern den Opferkult, den sie brauchen, um ihren Fans glaubhaft Medien und Gesellschaft als Feind zu beschreiben, den es abzulehnen gilt.

"Innerhalb weniger Jahre ist die Schmuddelware zum Bestseller geworden, die Milieumusik zum Mainstream."

Spiegel

Unedle Wilde

Kaum eine Gelegenheit lässt der Artikel aus, um klar zu machen, welche einfachen Geister auf die empfindsamen Bürgerkinderseelen einwirken: Rapper werden hier als triebgesteuerte, "dauerkiffende", "unedle Wilde" beschrieben. Letzteres ist übrigens eine Anlehnung an einen Begriff des Philosophen Jean-Jacques Rousseau, der auf seine Vorstellung von unterentwickelten Ureinwohnern französischer Kolonien zurückgeht. Eine problematische Theorie, die Rassismus legitimiert hat.

Der Spiegeltext unterschlägt, welches empowernde Potential im Gangsta-Rap liegen kann: Marginalisierte Gruppen der deutschen Gesellschaft haben sich über die vergangenen zwanzig Jahre mithilfe von Rap eine Stimme erkämpft, um den Fremdbeschreibungen privilegierterer Schichten zu entkommen. In "Dein Kind liebt mich, Digga!" geht es den Musikern aber nur um Geld, um Geld, um Geld und nochmal um Geld – dass es ihnen auch um Akzeptanz oder Selbstermächtigung gehen kann, wird vernachlässigt.

Moritz und Emma

Richtig problematisch wird die Spurensuche nach Gründen, warum gerade diese Musik Teenager so abholt, wenn zwei dieser Teenager stellvertretend für die Millionen Fans im Text auftauchen: Moritz und Emma. Beide kämen aus gutem Hause, Emma studiere, "wähle die Grünen, lebe vegan". Die Fallhöhe ist aufgebaut, jetzt der Schocker: Beide hören Gangsta-Rap. Der Text ist nicht zimperlich mit ihnen: Bei FFF mitmachen, Feminismus predigen, aber jede Ficki-Ficki-Zeile von GZUZ mitsingen können. Pah, Verrat!

Dieser tatsächlich spannenden Widersprüchlichkeit versäumt der Text aber auf den Grund zu gehen. Stattdessen wirken die Stellvertreter*innen dieser Generation manchmal klischeehaft-irrational, naiv und egozentrisch. Man soll an ihnen sehen können, welchen Einfluss die "bösen Jungs" auf die Jugendzimmer ausgeübt haben. Aber nicht auf irgendwelche Jugendzimmer, sondern auf die Jugendzimmer der Bürgerhäuser. Denn die Fragestellung des Textes ist nicht, warum GZUZ und Co. so gut bei Jugendlichen ankommen, sondern warum GZUZ und Co. ausgerechnet bei Moritz und Emma so gut ankommen - bei Kindern aus gutem Hause, aus "besseren Einfamilienvierteln". Wer nicht aus "Bürgerhäusern" kommt, ist nicht Teil des Skandals. Die Frage, warum Frauenverachtung, Gewalt und Kriminalität diese Gruppe nicht abschreckt, stellt sich erst gar nicht.

Alle gegen Alle

Der Text arbeitet mit klaren Lagern: Es gibt die "bösen Jungs" mit den Waffen und den Autos, den nur noch jogginghosentragenden Fan Moritz, der seinen Vater nicht mehr cool findet und freitags gegen diese Autos demonstriert – und Kids, die erst gar nicht vorkommen. Dazu gibt es eine weitere Instanz: Die Autor*innen, die die Ängste und Sorgen ihrer Stammleserschaft in die Geschichte tragen. Die Fremdheit mit der Thematik ist der Filter, durch den sie recherchieren und erzählen. Was nachvollziehbar ist. Bliebe der Text beobachtend, könnten so alle Parteien etwas übereinander lernen. Tut er aber nicht.

Aus der oberflächlichen Neutralität brechen Vorurteile und Wertungen durch. Ein Beispiel: Der Satz "Der Vater stand hinten im Saal, vorn auf der Bühne rauchte dieser LX einen Joint nach dem anderen", hätte auch "Der Vater stand hinten im Saal, vorne auf der Bühne rauchte LX Joints" lauten können. Tut er aber eben nicht. Von einer popkulturellen Debatte mutiert "Dein Kind liebt mich, Digga!" so zum symbolischen Schlachtfeld im Kampf Alt gegen Jung, Arm gegen Reich, HipHop gegen Feuilleton. Leider vergibt der Text so eine große Chance, Fronten zusammenzubringen und Verständnis füreinander zu schaffen.

Was bedeutet "Meinung"?

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Sendung: PULS am 30.01.2020 - ab 19.00 Uhr