Vorgestellt // Jacob Collier Wie ein 25-jähriger Brite die R'n'B-Szene aufmischt

Inmitten von Zierpalmen steht eine Bank, auf der zwei Jungs Mitte Zwanzig sitzen. Der eine trägt Strohhut, der andere einen grauen Jogginganzug. Das Video zum Kollabo-Track "Time Alone With You" von Jacob Collier und Daniel Caesar könnte auf den ersten Blick nicht unspannender sein. Doch sobald die Musik einsetzt und die beiden anfangen zu singen, wirken selbst zwei Boys, die auf einer Bank chillen, wie ganz großes Entertainment. Der Song strotzt nur so vor Überraschungsmomenten und ist weitaus komplexer, als herkömmliche R'n'B-Tracks. Der Beat plätschert erst harmlos vor sich hin, wird dann aber ohne Vorwarnung immer wieder von ausgeflippten Chören, Trompeten-Soli und ultraschnellen Bassläufen unterbrochen.

"Time Alone With You" ist ohne Zweifel einer der innovativsten Tracks, die aktueller R'n'B zu bieten hat. Dabei ist Jacob Collier noch ein Genre-Neuling und hat erst eine handvoll Songs in dieser Richtung veröffentlicht – aber damit schon jetzt Kritiker und Fans gleichermaßen begeistert.

Der Brite braucht für seine Musik keine teuren Studios, sondern produziert alleine in seinem kleinen Homestudio. Genauer gesagt: im umgebauten Musikzimmer seiner Eltern, das nicht mal 30 Quadratmeter misst. Um derart große Songs auf engstem Raum zu produzieren, braucht es neben Talent eine Menge technisches und musiktheoretisches Knowhow.

Skills vom anderen Stern...

Jacob Collier ist ein echter Virtuose: Er spielt fast jedes Instrument nahezu perfekt und schöpft aus seinem riesigen Wissen um Harmonie, Rhythmik und Arrangement brillante Song-Ideen. Jahrelang schrieb der Brite hobbymäßig verkopfte Jazz-Standards – oder bekannte Melodien in abgefahrene Experimental-Songs um. Genau das brachte ihm mit gerade mal 23 Jahren gleich zwei Grammys ein: Einmal für sein Stevie-Wonder-Cover von "You And I" und einmal für seine Version der Titelmelodie der "Familie Feuerstein".

Sein Wissen gibt er übrigens seit Jahren als Gastdozent an junge Musiker*Innen weiter und hält Vorträge an den größten Musikuniversitäten der Welt.

... und die richtigen Kontakte

Jacob Collier hat aber noch einen zweiten Vorteil: Er kennt die richtigen Leute. Seit einiger Zeit ist er bei niemand geringerem als Quincy Jones unter Vertrag. Und sind wir mal ehrlich: Von wem könnte man besser lernen, Hits zu schreiben, als von dem Mann, der Michael Jackson einen musikalischen Welthit nach dem anderen beschert hat? Als Schützling von Quincy Jones hat Jacob Collier außerdem genug Vitamin B, um an die richtig großen Namen im Musikbusiness heranzukommen.

Mit Daniel Caesar ist Jacob Collier best Buddies, Lianne La Havas verehrt ihn, genauso wie die Sängerin Tori Kelly. Auch außerhalb der R'n'B-Szene ist Collier bestens vernetzt: Er hängt mit Chris Martin von Coldplay oder Ty Dolla $ign ab und jamt mit den Funk-Virtuosen von Snarky Puppy oder Jazz-Legende Herbie Hancock.

Oumou Sangaré, die mit ihren afrikanischen Popsongs in Mali seit den 90er-Jahren erfolgreich ist, und die portugiesische Folk-Pop-Sängerin MARO hat er gleich mal als Feature-Gäste auf sein aktuelles Album "Djesse Vol. 2" gepackt.

Mit einem derartig großen Netzwerk an Musiker*innen unterschiedlichster Genres hat das Multitalent die Möglichkeit, seine R'n'B-Songs mit neuen Impulsen aus aller Welt zu füllen und damit immer wieder aufs Neue zu überraschen. 

Er schafft es, dass sogar Coldplay wieder interessant klingen

Außerdem hilft Jacob Collier auch mal anderen Bands dabei, Songs zu schreiben: Als Komponist, Textdichter und Studiomusiker hat er zum Beispiel Coldplay auf ihrem aktuellen Album "Everyday Life" dabei geholfen, wieder erträgliche Musik zu machen. Die Band, die sich in den letzten fünf Jahren musikalisch im Kreis drehte und sich im seelenlosen Kommerz verrannt hatte, lieferte Ende 2019 mit "Church" und "Cry Cry Cry" endlich wieder Songs mit R'n'B-Flavour, die man nicht sofort skippen möchte.

Ob Jacob Collier als Solo-Artist mit dem nächsten ausgefallenen Kollabo-Track oder als Produzent von anderen Künstler*Innen für Furore sorgen wird, ist eigentlich zweitrangig. Denn egal in welcher Funktion sich der Brite auslebt, er hat die besten Voraussetzungen, das R'n'B-Game auf den Kopf zu stellen.

Sendung: Plattenbau am 13.01.2020 - ab 19.00 Uhr