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Poptrend Neo-Klassik Geräuschdreck zwischen den Noten

Künstler wie Nils Frahm weichen die Grenzen zwischen E- und U-Musik auf. In ihren Songs kombinieren sie klassische Musik mit modernen Denk- und Produktionsweisen und reißen damit Mauern in den Köpfen ihrer Zuhörer ein.

Von: Philipp Laier

Stand: 21.03.2012 | Archiv

Nils Frahm | Bild: Erased Tapes Records

Auf der Soundcloud-Seite des Pianisten Nils Frahm findet man einen kleinen, scheinbar unbedeutenden Soundschnipsel: Melancholische Klaviermusik, dazu leiert das Band, das Mikrofon zerrt und dann dieses typische Zittern und Knacksen, das eine herannahende SMS ankündigt - die Musik hört auf, Frahm tippt ins Handy. Dieser kleine Fetzen ist eine Art Momentaufnahme, die den jungen Berliner bei der Arbeit zeigt.

Die Klaviermusik von Nils Frahm ist zwar klassisch im weitesten Sinne, sie ist aber weit entfernt von der glatt polierten Ästhetik der meisten High-End-Orchester-Produktionen. Auf Frahms siebtem Album "Felt" (2011) wimmelt, knirscht und knackst es nur so vor lauter (Alltags-) Geräuschen. Aber genau dieser vermeintliche Geräuschdreck ist es, der seiner Musik einen vollkommen eigenen Soundcharakter verleiht.

Zwischen E- und U-Musik

"Für meine Aufnahmen habe ich ästhetisch entschieden, dass ich dieses Hineinbringen von Geräuschen sehr spannend finde, weil es den Raum für den Hörer erweitert, in dem das Ganze stattfindet", erklärt der junge Berliner.

Nils Frahm | Bild: Vanessa Maas

Nils Frahm

"Der Hörer hat eine bessere Vorstellung von dem, wo ich bin und was ich mache. Und ich denke, so fällt es dem Hörer leichter, in eine solche Klangwelt einzutauchen." Tatsächlich schaffen sich zur Zeit immer mehr junge Musiker eigene Klangwelten, in denen klassische Musik wie selbstverständlich mit neuen Produktionsformen und Denkweisen verschmilzt. Dabei geht es aber keinesfalls um abstrakte, intellektuelle Experimente, meint Frahm, sondern eher um den kindlichen Spieltrieb. So verdient es beispielsweise kein Klavier, schlecht behandelt zu werden, "der einzige Grund, warum ich das Klavier manchmal doch etwas härter rannehme, ist, weil ich so neugierig bin, wie es wohl klingt, wenn ich dieses oder jenes versuche, was einem Klavierbauer oder Klavierstimmer doch eher die Tränen in die Augen treibt."

Frahm gehört zu einem stets wachsenden Kreis um Labels wie Erased Tapes und Fat Cat und um Musiker wie den Isländer Ólafur Arnalds, den US-amerikanischen Soundtüftler Peter Broderick und den deutschen Max Richter, der unter anderem dramatische Filmmusik produziert (Ari Folmans "Waltz With Bashir", Martin Scorseses "Shutter Island"). Deren Alben werden im Plattenladen in die selbe breite Schublade sortiert: "Modern Classical" oder "Neo-Klassik" – beides eher holprige Begriffe, aber sie umschreiben letztlich doch einigermaßen genau, was denn nun das Bindeglied zwischen den einzelnen Künstlern ist: Junge Leute machen alte Musik unter modernen Vorzeichen.

Die Jungen machen neu aus alt

"Ich glaube, das Besondere ist, dass klassische Instrumente in einem zeitgenössischen Pop-Kontext verwendet werden", sinniert Nils Frahm in seiner Berliner Altbauwohnung. "Die Betonung liegt im Prinzip auf der Art und Weise, wie die Musik Brücken baut zwischen diesen beiden Welten. Ich glaube, damit kann sich dann eine bestimmte Art von Hörer auch identifizieren."

Plötzlich unterbricht der Handyklingelton das Gespräch – Geräuschdreck, wie ihn der Alltag häufig produziert. Im einen Moment spricht Frahm noch überlegt, aber völlig ohne aufgesetztes Künstler-Gehabe über sich und die anderen modernen Klassiker, im nächsten Moment stolpert er durch die eigene Wohnung und versucht, sein Handy in den Griff zu bekommen. Dieser Moment macht klar, worum es bei der "Neo-Klassik" geht – nämlich darum, dass alles mit allem verschmilzt: Digital mit Analog. Pop mit Klassik. Vergangenheit mit Jetzt.


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