Einsturz der Wonderwall Deshalb sind Rap und Punk der neue Britpop

Britpop, das war lange Union Jack, Softrock und "Wonderwall". Doch die Krise in Großbritannien verändert auch die Popkultur – und hilft politischer Musik dabei, zum neuen Sprachrohr der britischen Musiklandschaft zu werden.

Von: Ferdinand Meyen

Stand: 28.05.2019

Wand mit Union Jack Flagge stürzt ein | Bild: BR

Brexit. Seit Jahren kennt die britische Politiklandschaft nichts anderes als dieses Wort. Andere Inhalte – beispielsweise ein Sozialfürsorgeprogramm, das sechsmal verschoben wurde – bleiben auf der Strecke, die britische Bevölkerung leidet unter den Sparmaßnahmen des Parlaments. Viele glauben, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis das politische System kollabiert. Die Politik von Theresa May gilt als gescheitert. Nicht umsonst hat die Chefin der Tories bereits ihren Rücktritt angekündigt.

Brexit-Chaos und Politkrise lähmen Großbritannien – und beeinflussen so auch seine Musiklandschaft. Angesichts der vielerorts herrschenden Armut und dem politischen Rechtsruck, den das Land erfahren hat, wollen Britpop-Hymnen aus den 90ern wie "Caught by the Fuzz" oder "Wonderwall" heute irgendwie nicht mehr zur Stimmung auf der Insel passen. Das liegt vor allem daran, dass sie zu unpolitisch sind. Im Union-Jack-Shirt zu Standardakkorden vom guten Leben und der Liebe singen? Das passt nicht mehr zum Lebensgefühl der Menschen in Großbritannien. Heute wird die britische Popkultur vor allem durch politische Songs geprägt. Davon profitieren vor allem zwei Genres: Rap und Punk.

Politische Botschaften im britischen Rap

Ähnlich wie in Deutschland wird Rap auch in Großbritannien gerade extrem gefeiert. Allerdings ist der Rap auf der Insel im Gegensatz zu Capital Bra oder der 187-Straßenbande wesentlich politischer und ernster. Der 1994 geborene Rapper Slowthai zum Beispiel veröffentlichte kürzlich sein Debütalbum "Nothing Great about Britain". Darin verflucht er die britische Politik, den Rassismus im Land, die Queen und natürlich die Premierministerin. Auch bei ihm kommt der Union Jack immer wieder vor, allerdings nicht als Liebesbekenntnis, sondern als Symbol des Zerfalls.

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slowthai - Inglorious ft. Skepta | Bild: slowthaiVEVO (via YouTube)

slowthai - Inglorious ft. Skepta

Systemkritik gehört zum Standardrepertoire des britischen HipHops – und das nicht erst seit diesem Jahr. Wie erfolgreich man damit sein kann, zeigen die Tracks von Rapperinnen wie Kate Tempest oder Little Simz. Das Thema immer wieder: politische Krise und die Unsicherheit durch den Brexit. Schon zur Parlamentswahl 2017 sprachen sich zahlreiche Rapper*innen unter #GrimeforCorbyn für Jeremy Corbyn aus, den Parteivorsitzendenden der oppositionellen Labour-Partei – und damit gegen die Regierung. Ein aktuelleres Beispiel für den kometenhaften Aufstieg des britischen Politraps ist Dave. Sein kürzlich veröffentlichtes Album "Psychodrama" kletterte in Großbritannien auf Platz eins der Charts.

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Dave - Black | Bild: Santan Dave (via YouTube)

Dave - Black

Auch bei Dave wird mit der Brexit-Politik abgerechnet. Darüber hinaus arbeitet der 20-Jährige aber auch die Kolonialgeschichte des Landes auf und spricht sich gegen den immer noch vorherrschenden institutionellen Rassismus aus. "If he's black he's probably armed, you see him and shoot", rappt Dave und ist mit über 26 Millionen Streams in der ersten Veröffentlichungswoche seines Albums der meistgestreamte britische Rapper.

Anti-Brexit Punk-Revival

Doch Rap ist nicht das einzige Genre, das den Sound des Britpops heute mitgestaltet. Auch politischer Punk ist im Zuge der aktuellen politischen Entwicklung wiederbelebt worden. "No one is an island" steht zum Beispiel auf einem weißen T-Shirt im gleichnamigen Musikvideo der Postpunk-Band Idles. In dem Song spricht sich die Band für Immigration aus und zeigt klare Kante gegen die Rechtsentwicklung in Großbritannien. "My blood brother is an immigrant. A beautiful immigrant", singt Sänger Joe Talbot gleich am Anfang.

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IDLES - DANNY NEDELKO | Bild: IDLES (via YouTube)

IDLES - DANNY NEDELKO

Politisch werden die Idles übrigens nicht nur in "Danny Nedelko", sondern auch in vielen anderen ihrer Songs. Die Band prangert zu Zeiten des Brexits gesellschaftliche Missstände an und hat damit großen Erfolg. Platz fünf der britischen Albumcharts gab es im vergangenen Jahr für ihr Album "Joy as an act of resistance". Darauf zu hören sind neben "Danny Nedelko" auch weitere politische Songs. Mit "Great" ist zum Beispiel eine Punkhymne vertreten, die sich über Brexit-Befürworter lustig macht. Und im Song "Samaritans" positioniert sich die Band klar gegen Homophobie und toxische Männlichkeit. Der Erfolg der Idles zeigt: Ihre politischen Texte scheinen den Nerv der Zeit zu treffen.

Auch andere Punkbands können vom Politchaos in Großbritannien profitieren. Fontaines DC, Sleaford Mods oder Slaves sind nur ein paar der Bands, die gerade wegen ihrer antinationalistischen Antibrexit-Haltung gefeiert werden. Stoff für systemkritische Texte gibt es gerade mehr als genug.

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Slaves - The Hunter (Official Video) | Bild: Slaves (via YouTube)

Slaves - The Hunter (Official Video)

Die politische Krise hat Punk in Großbritannien also wieder großgemacht – und angesichts des aktuellen Hin und Her im Brexit-Chaos erfreuen sich sogar Klassiker wieder großer Beliebtheit. Ein Beispiel: "Should I stay or should I go" von The Clash steht momentan auf so ziemlich jeder Brexit-Playlist an erster Stelle.

Und die anderen Genres?

Der politische Sound des neuen Britpop klingt übrigens nicht nur bei HipHop und Punk durch. Auch andere Musiker weben die Frustration und Unsicherheit angesichts der politischen Zukunft bereits in ihre Lieder ein. Popsängerin Paloma Faith besingt in "Guilty" zum Beispiel die Geschichte eines Leave-Wählers, der für den Brexit gestimmt hat. "I'm guilty of turning sweet love into poison", heißt es im Song.

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Paloma Faith - Guilty (Official Video) | Bild: PalomaFaithVEVO (via YouTube)

Paloma Faith - Guilty (Official Video)

Selbst Damon Albarn – in den 90ern als Sänger von Blur noch mitverantwortlich für den Britpop-Hype – ist heute politisch. Mit seiner Band The Good, The Bad and The Queen besingt Albarn das trostlose England: eine einsame Insel, die sich abgeschottet hat und langsam abstirbt. Die politische Wende im Britpop macht also selbst vor denen nicht halt, die früher prototypisch für den Union Jack standen. Und wer sich nach dem Flair vergangener Zeiten sehnt, der kann ja mal bei den Breunion Boys vorbeischauen.

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Breunion Boys - Britain Come Back | Bild: Breunion Boys (via YouTube)

Breunion Boys - Britain Come Back

Zum Glück sieht die musikalische Zukunft der britischen Popkultur heute anders aus. Denn wie man sieht, hat die politische Wende im Britpop in den letzten drei Jahren viele feierbare Songs und Artists hervorgebracht. Um es mit den Worten von Pete Doherty zu sagen: "Wisst ihr, es gibt einen Unterschied, ob man ein Gedicht im Gefängnis schreibt oder in einem Cottage am See." Und so kann man dem Brexit trotz Chaos und Krise doch noch etwas Positives abgewinnen: Die britische Musiklandschaft hat er in jedem Fall belebt.

Sendung: PULS am 29.05.2019 - ab 19.00 Uhr