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Performance meets Pop Wer ist Marina Abramovic?

Verweigert jemand die Nahrungsaufnahme, wird er zwangsernährt. Tut er es in einem Museum, ist es Kunst. Niemand hat die Grenzen zwischen Kunst und Realität so aufgeweicht wie Marina Abramovic. Jetzt holt sich der Pop ihre Kunst.

Von: Franziska Niesar

Stand: 05.09.2013 | Archiv

Jay Z und Marina Abramovic bei einer Performance | Bild: Screenshot: Youtube.com

Leute campen nachts vorm Museum of Modern Art in New York, um eine 66-jährige Performancekünstlerin zu sehen: Marina Abramović. Lange Zeit hat sich fast kein Mensch dafür interessiert, was sie macht. Heute ist Marina Abramović eine der bekanntesten Künstlerinnen überhaupt. Seit kurzem ist sie auch in der Welt des Pop angekommen.

Ungeschminkt und im schwarzen Kleid umarmt sie Jay-Z in seinem Video zu "Picasso Baby". Lady Gaga bringt sie dazu, nackt und mit verbundenen Augen durch Wälder zu laufen und körpergroße Eiskristalle zu umarmen.

Aber wer ist diese Frau eigentlich, von der die Größen des Popgeschäfts so fasziniert sind? In den 70er-Jahren hat Abramović bei ihren Performances nackt auf einem Kreuz aus Eis gelegen, bis Zuschauer sie heruntergezerrt haben, weil sie sonst wahrscheinlich erfroren wäre. Das Publikum hat Abramović mit Gegenständen misshandelt, sie blutig geschlagen – regungslos hat sie sich dem absoluten Schmerz hingegeben. Alles für die Kunst. Tobias Staab ist Dramaturg an den Münchner Kammerspielen und erklärt, was hinter ihren extremen Auftritten steckt.

"Mache ich mich nicht ein Stück mitschuldig, wenn ich zuschaue, wie jemand eine geladene Waffe an Marina Abramovićs Kopf hält? Mache ich mich nicht mitschuldig, wenn ich Marina Abramović dabei zusehe, wie sie langsam an einem Kälteschock zu sterben droht? Die Grenze zwischen Kunst und Leben wird aufgeweicht."

Tobias Staab im Interview mit PULS

Abramović ist derzeit überall. Warum sie gerade jetzt für großen Medienhype sorgt? Für Bernhard Schwenk, leitenden Kurator in der Pinakothek in München, hat es mit der Entfremdung vom eigenen Körper zu tun.

"Der Körper verschwindet in unserer Kultur. Wir haben durch die veränderten Technologien, die veränderte Kommunikation ganz reale Bezüge zum Körper verloren. Die Sehnsucht nach einer realen Zeiterfahrung, realen Dingerfahrung und einer realen Körpererfahrung haben stark zugenommen."

Bernhard Schwenk im Interview mit PULS

Abramovićs Performances zeichnen sich durch die Echtheit der Sache aus. Keine Inszenierung - absolute Authentizität. Vielleicht sind sich Popkultur und Performance Art doch nicht ganz so fremd. Im HipHop zum Beispiel spielt "realness" ja auch eine große Rolle.

"Jay-Z nimmt sich ganz offensichtlich und ziemlich platt eine herausragende Persönlichkeit der Kunstwelt und versucht sie zu instrumentalisieren."

Tobias Staab

Anders ist es bei Lady Gaga. Sie scheint zu erkennen, dass der Zeitgeist wieder nach mehr Körperlichkeit und Echtheit verlangt. Dafür bedient sie sich der Ästhetik von Abramovic. Die wiederum nimmt das Angebot gerne an, um ihre Themen in die Popwelt zu integrieren.

Später Hype: The Artist is Present (2010)

In der Kunst von Marina Abramovic geht es darum, die Grenzen des eigenen Körpers auszutesten - wie weit kann ich gehen, wie weit kann ich mich selbst verletzen, ohne dabei zu sterben. Der Hype um sie und ihre Kunst entstand erst recht spät in ihrer Karriere: Im Frühjahr 2010 widmete das New Yorker Museum of Modern Art der damals 63-Jährigen eine Retrospektive. Parallel zu der dreimonatigen Ausstellung fand eine weitere Performance unter dem Titel "The Artist is Present" statt. Abramovic saß schweigend auf einem Stuhl, jeder Museumsbesucher konnte den Platz ihr gegenüber einnehmen und ihr so lange in die Augen sehen, wie er wollte beziehungsweise konnte. Schon damals beteiligten sich Popstars wie Lady Gaga und Björk an der Performance. Für Abramovic selbst war es eine immense Anstrengung, acht Stunden am Tag, sieben Tage die Woche nur zu sitzen. Essen, trinken, auf Toilette gehen – alle menschlichen Bedürfnisse schaltete sie ab und verharrte in ihrer starren Position. Nach 721 Stunden endete die Performance. Und Abramovic war die Künstlerin der Stunde.


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