Interview // Jungle "Wir spannen die Leute einfach gerne auf die Folter!"

Was kommt nach "Busy Earnin'"? Die britischen Indie-Rundumerneuerer von Jungle waren vier Jahre weg, jetzt sind sie mit ihrem neuen Album "For Ever" zurück. Wir haben sie zum Interview getroffen.

Von: Ann-Kathrin Mittelstraß

Stand: 14.09.2018 | Archiv

Jungle 2018 | Bild: XL Beggars

Mit ihrem Debütalbum hat die Band Jungle aus London dem Pop den Soul zurückgegeben. Vier Jahre hat sich das Kollektiv um die beiden Masterminds Josh Lloyd-Watson und Tom McFarland Zeit gelassen, am Nachfolger "For Ever" zu feilen. Vier bewegte Jahre – Trennungen und Pendelei zwischen Kalifornien und London inklusive.

Nach vier Jahren habt ihr im Frühjahr endlich neue Songs veröffentlicht: "House in L.A." heißt der eine, "Happy Man" der andere – wie nervös wart ihr, als ihr die rausgebracht habt? Die Leute haben ja ganz schön lange darauf gewartet.

Josh: Also wir machen uns da nicht verrückt, wir haben uns eigentlich ziemlich auf die Reaktionen gefreut. Es ist einfach großartig, wenn die Leute die Musik gut finden und dir das dann auch sagen.

Tom: Ja, wir haben die Songs auch schon vor dem Release öfter mal live gespielt. Und wir haben unglaublich gutes Feedback von unseren Fans bekommen, wir haben ein paar kleinere Konzerte gegeben, bei denen wir die neuen Songs quasi ausgetestet haben. Und ja, wir waren schon gespannt – man will dann auch seine Songs auf Spotify haben, dann kannst du endlich deine eigenen Songs anhören, während du die Straße lang läufst.

Ihr hört euch eure eigene Musik auf Spotify an?

Josh: Ja klar, ich finde das auch wichtig. Wir spielen die jeden Tag, da ist es einfach mal schön, die Songs in einem anderen Kontext zu hören, sie mit der Musik von anderen Leuten zu vergleichen. Nur so kann man verstehen, wie und wo die eigene Musik einzuordnen ist. Wir sind ja auch Produzenten und achten darauf, ob beispielsweise der Bass oder das Schlagzeug so gut klingt wie in anderen Tracks.

Den Song "House In L.A." finde ich besonders interessant, er ist ziemlich langsam und recht verschwommen – was für eine Stimmung wolltet ihr mit dem Song rüberbringen?

Josh: Wir wollten einfach mal etwas Entspanntes machen. Für uns war das ein kleines Abenteuer, mal etwas wirklich Langsames zu schreiben, etwas wie eine Ballade oder so. Und ja, das hat sich einfach aus dieser Melodie so ergeben, wir hingen wirklich ewig im Studio ab und das hat sich immer weiter entwickelt - wie ein großes Gemälde, auf das man immer weiter verschiedene Schichten aufträgt. Ich finde, das klingt total nach einer Klangwand, es ist romantisch und es hat was von Filmmusik.

In diesem Song singt ihr „Two Whole Years On A Rewrite” – bezieht sich das auf die Arbeit am Song?

Josh: Haha, ja das bezieht sich ein bisschen auf diesen Prozess. Wir waren gerade am Musik schreiben und dann ist es eben plötzlich passiert und ich habe mich verliebt. Dafür stellt man die Musik wieder hinten an. Und dann ging die Beziehung zu Ende, was mich persönlich wieder sehr zur Musik zurückgebracht hat. Da war es quasi ein Muss, dass wir die Musik oder die Songs wieder umänderten.

Hat denn sonst beim Produzieren des Albums alles so geklappt wie geplant oder musstet ihr auch mal komplett wieder neu anfangen?

Josh: Also wir wussten am Anfang schon, was wir machen wollen. Aber ich glaube, man muss mit jeder neuen Platte dieses Prozedere nochmal neu lernen. Das ist keine Mathematik, die man einfach anwenden könnte. Es gibt eben keine Formel dafür, wie man gute Musik macht. Man muss einfach offen sein fürs Experimentieren und manches auch einfach passieren lassen. Wenn man sich vorher zu sehr festlegt, dann funktioniert das nicht.

Du bist ja für eine Weile nach Kalifornien gezogen. Was hat dich dazu gebracht, dahin zu ziehen?

Josh: Ich habe mich in jemanden verliebt, der dort gewohnt hat. Das hätte auch jede andere Stadt sein können. Wenn man seine Heimat verlässt und woanders hinzieht, dann fühlt man so etwas wie Freiheit. Es hält einen nichts zurück, man hat kein Haus und kein Auto. Man ist einfach eine Person mit einer Tasche – und das hat etwas sehr Befreiendes, wenn man sein Leben mal auf das Wesentliche reduziert. Ich meine, was brauche ich schon, außer einer Zahnbürste oder ein bisschen Geld in meinen Taschen? Und ich kann alles machen, was ich will. Ich glaube, das war mein Gefühl.  

Und lebst du jetzt noch in Los Angeles?

Josh: Nein, nein. Ich bin dann wieder zurück nach England, um das Album fertig zu machen…

Tom: Um wieder bei mir zu sein…haha!

Wie hast du dich gefühlt, als du wieder zurückgekommen bist?

Josh: Ich bin zurückgekommen mit…

Tom: ...gebrochenem Herzen!

Josh: Genau, und ich glaube das war ein merkwürdiges Auf und Ab der Gefühle. Und so schmerzhaft diese Erfahrung für mich persönlich auch war, so gut tat sie unserer Musik.

Unter jedem Facebook-Post von euch kam eine Zeitlang von euren Fans die Frage auf: Wann kommt endlich das neue Album raus?

Josh: Ja, wir spannen die Leute einfach gerne auf die Folter und lassen sie ein bisschen warten. Heutzutage ist alles so schnell und einfach verfügbar. Mir fällt zum Beispiel gerade eine TV-Werbung ein, die diese großartige neue Show ankündigt. Da haben sie gesagt "...kommt nächsten Montag!" Und ich dachte so "Oooohhhh, das dauert ja noch ewig" - wir sind einfach schon so daran gewöhnt, einfach auf einen Knopf zu drücken und die Sendung anzuschauen, die wir möchten. Vor fünf oder zehn Jahren, da haben wir noch in einer Gesellschaft gelebt, in der für uns alles programmiert und quasi vorgefertigt wurde. Jetzt haben wir die Wahl. Wir versuchen also diese Spannung wieder ein bisschen zurückzuholen.

Tom: Wir sind megastolz auf das Album. Und ich glaube, wir haben ein noch besseres Album gemacht, als das erste – das war auch unser Anspruch, deshalb ist das auch ein sehr befriedigendes Album für uns. Und jetzt wollen wir das einfach nur mit dem Rest der Welt teilen.

Mir persönlich gefällt dieses Album besser als das erste. Es ist ein bisschen abwechslungsreicher und ein bisschen atmosphärischer. Für mich klingt das nach einem Album, das man wirklich als Ganzes betrachten und auch hören muss. War das eure Absicht?

Josh: Das ist einfach die Art und Weise, wie wir Musik aufnehmen. Wir sind große Fans von "echten" Alben. Ob das jetzt die Konzeptalben aus den 70ern sind, wie bei Pink Floyd, Marvin Gaye oder bei den Beatles – das sind alles richtig klassische Alben, die vom Anfang bis zum Ende eine Geschichte erzählen. Und das ist ein starkes Ding. Ich finde die Welt ist heute so besessen von Schnelligkeit. Es sieht echt so aus, als hätte jeder nur noch eine total kurze Aufmerksamkeitsspanne. Das Einzige, was wir dagegen tun können, ist, den Leuten wieder ein echtes Album zu liefern.

Ihr seid ja so zwischen 2013 und 2014 groß herausgekommen, wir haben gemerkt, dass es seither eine Menge neuer Bands gibt, die euren Sound nachahmen oder sich zumindest davon beeinflussen lassen. Zum Beispiel Musiker wie Tom Misch oder Parcels – wie fühlt sich das für euch an?

Tom: Das ist großartig, ich meine… ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich mit 15 auf einem Konzert von The Strokes war und wie sehr mich dieses Konzert inspiriert hat, einfach weiterzumachen mit der Musik. Und wenn wir dasselbe machen können und andere Leute dazu antreiben, Musik zu machen, dann ist das einfach nur großartig.

Letztes Jahr haben wir Mount Kimbie interviewt und sie haben uns erzählt, dass sie sich oft Radiosender im Internet anhören, um neue Musik zu entdecken und sich davon inspirieren zu lassen. Macht ihr sowas auch?

Josh: Ja, es gibt eine tolle Plattform aus Großbritannien, bei der auch viele Freunde von uns arbeiten und dann natürlich auch Spotify mit den Playlisten und auch andere Streamingdienste im Netz. Dadurch ist es echt einfach geworden, an Musik aus der ganzen Welt zu kommen. Ich denke, dass davon sowohl die Musikerinnen und Musiker als auch die Hörerinnen und Hörer profitieren, weil das den Horizont enorm erweitert und auch das Interesse an Kultur. So lässt man sich auch von anderen Kulturen inspirieren und das ist einfach eine tolle Sache.

Wann hört ihr denn Musik? Habt ihr dafür zu Hause überhaupt Zeit oder macht ihr das unterwegs? Ihr spielt ja wirklich viele Konzerte…

Tom: Das hängt davon ab. Ich mag es, meine Platten zu Hause zu haben…

Josh: Deine Plattensammlung ist wirklich super!

Tom: Danke dir…

Josh: Er hat das "Ok-Computer"-Box-Set…

Tom: Ich höre viel Musik unterwegs, für mich ist Musik auch immer sowas wie ein Soundtrack für das, was ich grade so mache. Wenn ich zum Beispiel im Zug sitze oder irgendwo hinlaufe oder mit dem Rad unterwegs bin, habe ich eigentlich immer Musik an, weil ich das wirklich mag, wenn man Musik mit bestimmten Reisen oder mit Orten verbindet. Aber es ist auch schön, sich einfach hinzusetzen mit einer Platte und sie von vorne bis hinten durchzuhören, dafür sind sie ja schließlich gemacht. Dass man sie vom Cover bis zur Rückseite durchhört.

Josh: Das ist ganz interessant, weil es bei einer Schallplatte ja ziemlich schwierig ist weiterzuschalten, zu den anderen Songs. Ganz schön aufwendig, wenn ich zum Beispiel erst den zweiten und danach den ersten Song hören will.

Josh: Stimmt, auf Spotify ist das so leicht!

Man muss aufstehen, wenn man am Plattenspieler umschalten will…

Josh: Ja, eine Platte anzuhören ist wirklich die Königsdisziplin. Genauso wie es ein Unterschied ist, ob du einen Film auf dem iPhone oder auf dem iMac anschaust.

Tom: Das ist wie ein Projekt, was man grade am Laufen hat. Das gibt der Platte auch einen höheren Stellenwert, als wenn man das digital hört und die Möglichkeit hat, einfach weiterzuschalten oder das eben kontrollieren kann. Stell dir mal vor, du bist im Kino und schaust dir den neuen Batman-Film an und du hast eine Fernbedienung, mit der zu vor- und zurückspulen kannst. Weiß du was ich mein…?

Josh: Ooh, ich will die Schlussszene gleich zu Beginn sehen!

Sendung: Filter, 14.09.2018 - ab 15 Uhr