Der neue Deutschrock Wütende Musik für wütende Männer von wütenden Männern

Deutschrock? Identitätsrock? Rechtsrock? Wutrock? Seit Monaten bestimmen deutsche Bands wie Hämatom, Goitzsche Front, Frei.Wild, die Böhsen Onkelz und Eisbrecher die Album-Charts. Ist das der neue Soundtrack besorgter Bürger?

Von: Stefan Sommer

Stand: 19.03.2018 | Archiv

Illustration: In die Höhe gereckte Hände mit Deutschlandbändchen ums Handgelenk  | Bild: BR

Macht spektakulär kaputt, was euch kaputt macht: Die Aufmärsche von Pegida in Dresden und die Ausschreitungen des G20-Protests in Hamburg 2017 entfachen eine Eskalation der Zeichen - der Galgen für "Mutti Merkel" und die "Welcome-To-Hell"-Transparente etablieren eine neue Sprache der Gewalt, eine Rhetorik des Brutalen. Diese symbolische Aufrüstung hat längst auch den deutschen Popmainstream erreicht.

In den letzten Monaten standen Bands wie Hämatom, Eisbrecher, die Goitzsche Front und Haudegen an der Spitze der deutschen Album-Charts. Ob sie sich nun als "links", "rechts" oder "unpolitisch" bezeichnen - alle beschreiben ein diffuses Unbehagen gegen den Zeitgeist, eine Unzufriedenheit mit dem Jetzt. Aggressiv und zornig handeln ihre Texte oft von einem Land kurz vor dem Untergang. Nun erscheint unter großem medialen Trara mit "Rivalen und Rebellen" das nächste Album der Südtiroler Provokateure Frei.Wild, die momentan wohl die erfolgreichsten Vertreter des neuen, besorgten Deutschrock sind.

"Wie oft standest du an der Mauer?
Wie oft standest du allein?
Hast gesagt, wie du die Dinge siehst
Unverblümt und ohne Schein
Wie oft wärst du besser still gewesen?
Hättest gar nicht angefangen,
Aber nur weil es die anderen anders sehen,
Gibt es von dir noch lange kein Amen."

Frei.Wild - Wer nicht weiß, wird alles glauben

Mut zur Wahrheit

Als Erben der Böhsen Onkelz treten viele dieser Bands als letzte Gralshüter einer unbequemen Wahrheit auf. Schon die "Onkelz" um Sänger Kevin Russell und Gitarrist Stephan Weidner haben sich in den frühen Neunzigern als Staatsfeind Nummer 1 inszeniert, heute radikalisieren Frei.Wild und andere Gruppen diese Slogans. Nah an Lügenpresse-Diskurs und Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Gepolter, sprechen sie als Retter der Meinungsfreiheit aus, was doch sowieso alle denken würden:

"Es gibt nur ihre Meinung und sie denken nur schwarz-weiß
Sie bestimmen was gut, was böse ist
Sie sind das, worauf ich scheiß
Sie richten über Menschen, ganze Völker sollen sich hassen
Nur um Geschichte, die noch Kohle bringt, ja nicht ruhen zu lassen.
Ich scheiße auf Gutmenschen, Moralapostel
Selbsternannt, sie haben immer Recht
Die Übermenschen des Jahrtausends
Ich hasse sie wie die Pest."

Frei.Wild - Gutmenschen und Moralapostel

Tag X

Auf die Apokalypse ist Verlass: Mit Kriegsmetaphorik und martialischen Bildern beschwört beispielsweise die "Goitzsche Front" aus Bitterfeld (Support-Act für die anstehende Frei.Wild-Tour) einen Tag X, ein Untergangsszenario herauf - von dem natürlich niemand weiß, wann und ob es eintritt. Eine Angst vor der Zukunft, ein Unbehagen vor dem, was kommen wird, ist allgegenwärtig. Und wird doch nie konkret beim Namen genannt.

Der Musikwissenschaftler und Deutschrock-Forscher Thorsten Hindrichs von der Universität in Mainz beschäftigt sich seit vielen Jahren mit diesem Phänomen. Er verfolgt die "neue Deutschrock-Szene" genau. Für ihn ist das ein altbekanntes Stilmittel:

"Das ist die Wir-Gegen-Die-Konstruktion. Das kommt in vielen Varianten in diesen Texten vor: Wir, die einfachen Leute, die Leute von der Straße, das Volk gegen die 'da oben'. Das ist aber keine Erfindung dieser neuen Deutschrockszene. Neu ist höchstens, dass sie das so konsequent und flächendeckend betreiben. Wer 'die da oben sind', ist manchmal schwer zu sagen. Bei Frei.Wild beispielsweise sind es 'Gutmenschen und Moralapostel' und 'Regierungskapellen', in anderen Fällen sind es 'die Medien', 'die Systempresse', 'die Lügenpresse' oder 'Akademikerinnen und Akademiker', die das Bild des 'einfachen Menschen von unten' nicht so ganz erfüllen."

Dr. Thorsten Hindrichs - Universität Mainz

Vor wem oder was wir uns in Acht nehmen müssen, von wem die Gefahr ausgeht, ist oft überhaupt nicht klar - und genau das ist der Trick: Hier kann sich jeder wiederfinden, der unzufrieden ist mit der Welt um ihn herum. Das macht die Goitzsche Front so erfolgreich.

"Wölfe ziehen durch das Land, denn das Land geht vor die Hunde.
Zu viele Maden im Speck, zu viel Salz in der Wunde.
Immer sind die ander'n Schuld, an eurer Situation.
Dass ihr in der Scheiße steckt, ist der gerechte Lohn."

Goitzsche Front - Schweinepriester

Auch wenn sich Bands wie die Goitzsche Front und Haudegen klar und glaubhaft von Rechts distanzieren, ist der Mechanismus der gleiche: Da draußen gibt es Feinde, die uns Böses wollen und die nur darauf lauern, zuzuschlagen. Die fränkische Metal-Band "Hämatom" ruft deswegen dazu auf, sich dagegen zu wehren. Was auch immer das bedeutet:

"Warum, warum, warum, warum,
Ziehst Du den Kopf nicht aus dem Dreck?
Links, rechts, links, rechts,
Bückst Dich und hälst Deine Schnauze,
Links, rechts, links, rechts,
Vorne wartet das Gebälg.
Seil ab um den Hals, schmerzerfüllt siehst Du aus,
Der Boden fällt aus einem Anker, letzte Chance steh' jetzt auf!
Ein Tag auf den lahmen Sohlen, ein Tag zwischen Deinen Fingern,
Heil Dich, heil jetzt, leg' die Asche auf Dein Haupt.
Wisch' sie weg, wisch' sie weg, befrei Dich von dem Dreck,
Und ab, und ab, mach es hier, mach es jetzt!"

Hämatom - Warum

Die goth-romantische Variante liefern Eisbrecher (Sänger Alexander Wesselsky arbeitete bereits mit Frei.Wild und Mitgliedern der Böhsen Onkelz zusammen). Ihr Album "Sturmfahrt" stand im letzten Sommer auf Platz 1 der deutschen Albumcharts:

"Wir sind die Krieger,
Und wir brennen euren Wahnsinn einfach nieder,
Die große Freiheit kommt nicht von allein, von allein, von allein,
Macht euch nicht immer wieder klein von allein, von allein,
Fangt an zu schreien."

Eisbrecher - Besser

Archaische Rollenbilder

Rockmusik mit Elvis-Hüftschwung und Flowerpower stand lange für die Befreiung der Jugend von einer Nachkriegsspießigkeit und war Soundtrack einer liberalen Revolution in den Sechzigerjahren. In der Zwischenzeit erstreckt sie sich über alle Teile der Gesellschaft. Deshalb haben heute auch Konstrukte wie "Volk" oder "Heimat" und patriarchale Konzepte des Zusammenlebens dort einen Platz. Thorsten Hindrichs von der Universität Mainz spricht von "archaischen Rollenbildern":

"Bestimmte eher rückwärtsgewandte Rollenklischees herrschen in der neuen Deutschrock-Szene vor. Das heißt: Wenn es um Frauen geht, gibt es nur zwei Varianten: Heilige oder Hure. Die neue Deutschrockszene lebt sehr von Klischees, es propagiert die Frau als Sehnsuchtsort, die Frau als das Mütterliche, die Frau, die zuhause auf den Helden wartet."

Dr. Thorsten Hindrichs - Universität Mainz

Der Bauplan ist eigentlich ganz einfach, funktioniert aber blendend: Rollenklischées, Heimatliebe, Wir-Gefühl, die "da oben", wir "da unten" - davon leben auch die Songs der Goitzschen Front.

"Ich hatte immer Spaß am Leben,
hielt die Fahne immer hoch,
Denn wir haben die geilsten Weiber,
Konzerte sowieso.
Drauf werden wir ein Trinken der Abend ist noch lang
Wir trinken auf die Heimat und fangen von vorne an,
Der Osten rockt, unsre Heimat
Ja hier sind wir geboren,
Der Osten rockt, unser Herzblut,
Haben wir an dir verloren."

Goitzsche Front - Der Osten rockt

Provokation ist im Kampf um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ein ziemlich dankbares Mittel. So hat sich die Sprache des Deutschrock in den letzten Jahren verschärft: Eigentlich ist alles und jeder bedroht, alles könnte kippen - Deutschland, eine apokalyptische Kampfzone. Etwas läuft falsch, etwas fühlt sich ungerecht an: Die Welt ist aber einfach zu kompliziert, um die Verantwortlichen benennen zu können. So entstehen Allzweck-Protestsongs für den Heimgebrauch.

Sendung: Plattenbau vom 19.03.2018, ab 19 Uhr