Deutschraps Untergrund Spagat zwischen Authentizität und Kommerz

Nicht Mainstream sein – das ist die Definition von Untergrund-Rapper*innen. Der große Hype bleibt bewusst aus und der Kreis klein. Gleichzeitig findet Untergrund-Rap immer mehr Fans und Labels wittern einen Trend. Ein Dilemma.

Von: Laura Schmidt

Stand: 12.03.2020 | Archiv

Screenshot aus Musikvideo von Pashanim | Bild: Pashanim/YouTube

Deutschrap ist längst im Mainstream angekommen, das steht 2020 außer Frage. Rapper*innen wie Capital Bra, Samra oder Loredana führen fast jede Woche die deutschen Charts an. Dadurch öffnen sich auch für kleinere Künstler*innen Türen, denn es winkt die Chance jetzt auch den Durchbruch zu schaffen. Gleichzeitig kommt mit steigendem kommerziellen Erfolg auch immer die Frage nach der Authentizität: Die alte Befürchtung wird wieder laut, dass Rap zum poppigen Einheitsbrei verkommen könnte und sich an große Labels verkauft. Eine Entwicklung, gegen die sich gerade Underground-Artists wehren.

Rapper wie $oho Bani oder der Hamburger Ansu grenzen sich bewusst gegen den Trend der klickoptimierten Rap-Hits ab. Sie setzen auf roughen Straßenrap, lokalen Support statt großem Label und vor allem DIY: Beats und Videos kommen also aus der eigenen Crew. Und auch in den Texten wird betont, dass man sich nicht für den kommerziellen Erfolg verändern wird: "Scheiß mal auf Chart-Hits, Anpassen bringt mir gar nichts", rappt Ansu in seinem Track "Organisch":

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ANSU - ORGANISCH prod. by CATO (Official Video) | Bild: ANSU (via YouTube)

ANSU - ORGANISCH prod. by CATO (Official Video)

Lokalpatriotismus und DIY als Abgrenzung

Ob Berlin-Steglitz bei Kasimir1441 oder Berlin-Mitte bei Lucio101 – Cornern in der Hood oder Abhängen am Späti wird mehr gefeiert, als seine Videos teuer inszeniert auf Jachten in der Karibik zu drehen. Auch die 65GOONZ aus Berlin verkörpern genau diesen Vibe: 65 ist die alte Postleitzahl von Wedding, der Gegend der Goonz. Zeigen, wo man herkommt und mit wem man hängt. Keine Stars, einfach nur die Jungs aus der Straße.

Auch die Ästhetik der Rapper*innen ist die Antithese zum Flex von kommerziell erfolgreichen Künstler*innen wie Mero oder Samra. Die Klamotten sind Vintage, die Videos in verwackelter VHS-Optik und zum Teil im 4:3 Format gedreht. Ab und zu dreht sich eine Codein-Flasche ins Bild, dazwischen immer wieder Neon-Blenden. Alles wirkt betont unangestrengt.

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65GOONZ - WEDDINGBOYZ (Official Video ) prod. by ENDZONE | Bild: 65 Goonz (via YouTube)

65GOONZ - WEDDINGBOYZ (Official Video ) prod. by ENDZONE

Die Effekte in den Videos erinnern oft an die Ästhetik des US-amerikanischen Musikvideo-Regisseurs Cole Bennett, der Videos für Ski Mask, The Slump God oder den verstorbenen Juice Wrld produziert hat.

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Ski Mask The Slump God - Catch Me Outside (Dir. by @_ColeBennett_) | Bild: Lyrical Lemonade (via YouTube)

Ski Mask The Slump God - Catch Me Outside (Dir. by @_ColeBennett_)

Social Media statt klassischen Medien

Zum Abgrenzen vom Mainstream-Rap gehört auch das Abgrenzen von den klassischen Verbreitungswegen. Dabei erlebt bei den Untergrund-Artists die Plattform Soundcloud ein Revival: Denn wenn die Songs nur dort hochgeladen sind, finden sie auch nur die Leute, die sie wirklich finden wollen. Pashanim zum Beispiel hat auf Spotify bis jetzt nur seine zwei erfolgreichsten Tracks hochgeladen, auf Soundcloud findet man dagegen auch seine unbekannteren Songs. Während also andere Rapper*innen ihre Followerschaft dazu aufrufen, ihre Songs auf Dauerschleife zu streamen, kümmern sich Pashanim & Co scheinbar nicht um Klicks.

Und weil die bestehenden Plattformen alle zu Kommerz sind, suchen sich die Untergrund-Rapper*innen einfach ihre eigenen: So wie die ABOVEGROUND Sessions auf YouTube. Der Name des Kanals selbst ist schon ein kleiner Seitenhieb: Der Underground ist zu Mainstream, deswegen Aboveground.

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ABOVEGROUND SESSION 08 - PRETTYFACECAPI | Bild: ABOVEGROUND (via YouTube)

ABOVEGROUND SESSION 08 - PRETTYFACECAPI

Nur konsequent also, dass auch sonst nicht viel auf mediale Aufmerksamkeit gegeben wird. Heißt konkret: keine Interviews. Stattdessen kommunizieren die meisten Rapper*innen lieber über soziale Medien, wie Instagram und Snapchat. So erreichen sie ihre Fans direkt, wann immer ihnen danach ist.

Der Untergrund wird zum Geschäft

Jetzt ist es aber so, dass der unter sich bleibende Untergrund auch kommerziell immer besser funktioniert und Major Labels langsam das Potential darin erkennen. Das Sony-Sublabel Columbia hat zum Beispiel schon Lucio101 im Visier. Und Künstler wie BHZ, Pashanim oder Yin Kalle haben mittlerweile Millionen Klicks und schweben in einem Zwischenzustand: Sie verkörpern das Konzept des Untergrunds, mit ihrer Reichweite zählen sie aber eigentlich längst nicht mehr dazu.

Auch die Fans sind hin und her gerissen: In YouTube-Kommentaren unter Musikvideos von 65GOONZ regen sich die einen darüber auf, dass er noch viel zu underrated ist und mehr Klicks verdienen würde, andere hoffen, dass genau das nicht passiert, weil sie keinen Bock auf Mainstream haben.

Die Gratwanderung zwischen genug Erfolg, um überhaupt weiter Musik machen zu können, aber nicht so viel, dass die eigene Followerschaft abspringt, ist also nicht leicht. Gleichzeitig aber ist genau das das, was die Künstler*innen so spannend macht.

Sendung: PULS am 12.03.2020 - ab 19.00 Uhr