Deutschrap vor der Bundestagswahl Ein Sound, viele Stimmen

Eine HipHop-Partei will ins Parlament, K.I.Z. macht Wahlkampf für Die PARTEI und Bushido diskutiert mit der AfD. Das wirft die Frage auf: Wie politisch ist deutscher Rap im Jahr 2017?

Von: Matthias Scherer

Stand: 18.09.2017 | Archiv

Deutschrap Bundestagswahl 2017 | Bild: BR

Ende August sorgte ein Tweet von Beatrix von Storch im Netz für Aufregung. Sie postete ein Bild von sich und dem Rapper Bushido, mit der Bildunterschrift: "Das war doch mal interessant. Mit #Bushido über Islam, sein Verhältnis zu "schwul" als Schimpfwort und noch mehr gesprochen."

Die stellvertretende AfD-Vorsitzende hatte das Foto gepostet, ohne den Kontext, indem es entstanden war, zu erklären – das Treffen war Teil des YouTube-Formats "Straßenwahl", in dem Rapper auf Politiker der sechs größten deutschen Parteien treffen und miteinander diskutieren. Konzipiert wurde das Format vom Moderator Niko Hülser, dem in den sozialen Netzwerken wegen dieses Fotos vorgeworfen wurde, er würde gemeinsam mit Bushido Werbung für die AfD machen. Den Vorwurf wies er in einem längeren Facebook-Post von sich und verteidigt das Format immer noch.

"[Die AfD] hat nichts mit meiner politischen Gesinnung zu tun. Aber ich sehe mich immer noch als Journalisten und das Format hatte die Aufgabe, abzubilden, was demnächst im Bundestag stattfinden wird. Dann muss man auch mit allen Parteien reden und ich fand, dass Bushido in diesem Fall die richtige Wahl war, um ein Gegengewicht dazu zu bieten, was von Politiker-Seite kommen würde."

– Niko Hülser im PULS-Interview

Deutschrapper haben schon öfter in Fernseh-Talkrunden gesessen. Aber die "Straßenwahl"-Gespräche zwischen Disarstar und Katja Suding (FDP) und Bushido und von Storch sind Anzeichen dafür, dass das politische Bewusstsein im Deutschrap zugenommen hat.

Das lässt sich auch am Phänomen von "Die Urbane – eine HipHop-Partei" festmachen. Die vor vier Monaten gegründete Partei tritt am 24. September zum allerersten Mal überhaupt bei einer Wahl an und stellt im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin einen Kandidaten für den Bundestag. Breakdancer Raphael Hillebrand ist einer der Bundesvorsitzenden von Die Urbane und glaubt, dass HipHop auf die moderne Gesellschaft anwendbar ist.

"HipHop bietet viele Strategien, um mit den Problemen, die unsere Gesellschaft heute hat, umzugehen. Wenn ich z.B. an das Kanzler-TV-Duell denke, in dem gefühlt die Hälfte der Zeit über den Islam gesprochen wurde oder wie wir mit kultureller Vielfalt umgehen – da denke ich mir: kulturelle Vielfalt ist doch kein Problem, sondern eine Grundlage unserer Gesellschaft! Und weil ich aus dem HipHop komme, wo kulturelle Vielfalt die Voraussetzung dafür war, dass sich die Szene entwickeln konnte, denke ich, wir müssen diesen Schatz nutzen und nicht überlegen, wie wir das so drehen, dass wir nicht mehr darunter leiden."

– Raphael Hillebrand im PULS-Interview

Die politischen Themen, die Rapper und Rap-Fans beschäftigen, sind - wie bei der Wählerschaft generell - vielfältig: manche sorgen sich um die Bildungspolitik, andere interessieren sich für Tierschutz, wieder andere für Europa. Jonas Schubert, Sänger der Band OK KID, macht sich zum Beispiel Sorgen um die abnehmende Rücksichtnahme auf Andere.

"Intoleranz ist das, was mich am meisten stört. Wenn man sich z.B. den G20-Gipfel ansieht, da geht es auch um die Intoleranz von westlichen, reichen Ländern gegenüber kleineren Ländern. Und das gibt es auch im Kleinen."

– Jonas von OK KID im PULS-Interview

In "Alles ist erleuchtet", einem Song von seinem aktuellen Album "Lang lebe der Tod", singt Casper: "Die Besorgten besorgen mich". Damit bezieht er sich auf die sogenannten "besorgten Bürger", die viele Zeitungen und Fernseh-Nachrichten als "Lügenpresse" bezeichnen und oft die schlimmsten Vorurteile über Geflüchtete und Ausländer für die absolute Wahrheit halten. Rechtspopulistische Themen und Argumente werden vor der Bundestagswahl am Lautesten diskutiert und für viele Wähler, die dem entgegenwirken wollen, stellt sich die Frage: Wie geht man damit um? Alle von uns befragten Rapper sind sich einig: Man muss versuchen, miteinander zu reden.

"Man sollte die Parteien ignorieren und nicht mit denen [im Bundestag] arbeiten – denn gewisse Sachen sind nicht verhandelbar. Aber mit den Bürgern, die solche Parteien vielleicht wählen würden, muss man reden, um sie wieder auf die richtige Seite zu holen. Und man sollte nicht jeden, der Angst vor gewissen Sachen hat, gleich als Nazi abstempeln. Weil die sich dann vielleicht abwenden und die AfD oder NPD wählen."

– Jonas von OK KID im PULS-Interview

Was die Kanzlerkandidaten der zwei großen Parteien angeht, sind viele Rapper unentschlossen – manche finden Angela Merkels Haltung gegenüber geflüchteten Menschen gut, wie beispielsweise Marteria. Auch, wenn er dieses Lob mit einer Kritik an der deutschen Politik insgesamt verbindet.

"Die ganze Flüchtlingsproblematik – wie Frau Merkel da reagiert hat, war irgendwie ganz geil, dass sie das zugelassen hat. Aber jetzt nervt es Leute nur noch und wichtige Dinge dürfen die Leute nicht nerven. Und die Politik ist Schuld daran, dass sowas dann zum Nervfaktor wird."

– Marteria im PULS-Interview

Andere können mit Merkels Handeln ebenfalls etwas anfangen, mit den Positionen ihrer Partei zu anderen Themen aber nicht. Die Münchner Rapperin Fiva zum Beispiel:

"Wenn ich wüsste, wer mir von den beiden lieber ist, wäre mir wohler. In Bayern haben wir ja auch das Problem, dass, selbst wenn wir die Frau Merkel als Kanzlerin haben wollten, die CSU wählen müssten. Das ist als Frau und vielleicht auch einfach als denkender Mensch nicht ganz einfach. Was der Herr Schulz sagt, ist mir größtenteils sympathisch, aber mir fehlt - wie vielen Menschen - die Antwort auf die Frage, wie er das alles machen möchte."

– Fiva im PULS-Interview

Rap-Fans waren schon immer politisch interessiert und aktiv. Zwar gibt es 2017 kein Äquivalent zu der Wirkung eines politisch beladenen und hochrelevanten Songs wie "Fremd im eigenen Land" von Advanced Chemistry – eine Reaktion auf die fremdenfeindlichen Angriffe auf Gastarbeiter- und Asylbewerberwohnheime Anfang der 90er Jahre - dennoch sind sich Rapper immer mehr bewusst, dass es keine Option mehr ist, "unpolitisch" sein zu wollen.

Natürlich gibt es viele Musiker, die keine politische Meinung haben, aber die Tendenz geht in eine andere Richtung. Rap, mit seinen vielen verschiedenen Stimmen und Ideen, wird als Plattform für gesellschaftlichen Wandel immer wichtiger werden. Karuzo von der Gruppe Genetikk ist der Meinung, dass sich Rapper ab einer gewissen Größenordnung nicht mehr aus dem politischen Diskurs ausklinken können.

"Ich glaube nicht, dass man [als Musiker] unpolitisch sein kann. Selbst wenn man nur Feiermusik macht, kann man das als Abkehr vom Vernünftig-sein-wollen interpretieren – und das ist auch eine Ansage. Es gibt so’n Karl-Marx-Zitat: Kunst ist nicht ein Spiegel, den man der Wirklichkeit vorhält, sondern der Hammer, mit dem man sie gestaltet."

– Karuzo von Genetikk im PULS-Interview

Den kompletten Podcast "Ein Sound, viele Stimmen - Deutschrap vor der Bundesttagswahl" findet ihr hier.