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Gehörlose können alles – außer Hören! 50 Jahre "Sehen statt Hören"

Der Bayerische Rundfunk feiert 2025 ein ganz besonderes Jubiläum: "Sehen statt Hören" ging am 5. April 1975 als "Wochenmagazin für Menschen mit Hörschädigung" im damaligen Bayerischen Fernsehen auf Sendung. Bis heute ist es das einzige Fernsehangebot, weiterentwickelt zu "Fernsehen in Deutscher Gebärdensprache". Es wird wöchentlich samstags ausgestrahlt. Auf den Tag genau 50 Jahre später, am Samstag, 5. April 2025, um 9.00 Uhr, läuft im BR Fernsehen die 2185. Ausgabe und Jubiläumssendung.

Stand: 28.03.2025

50 Jahre Sehen statt Hören | Bild: BR

In Deutscher Gebärdensprache (DGS) kommunizieren etwa 300.000 Menschen, darunter ca. 83.000 Gehörlose. Für sie macht "Sehen statt Hören" als einziges Fernsehprogramm in DGS ein generationenübergreifendes Angebot, das mit großer Themenvielfalt aus Kultur, Wissen, Bildung, Information und Geschichte und aus der Perspektive und Lebenswelt tauber Menschen auch für Hörende interessant und faszinierend ist.
"Sehen statt Hören" wird von allen Dritten Programmen der ARD, ARD alpha und 3sat übernommen.

Pionier in der Medienlandschaft

50 Jahre "Sehen statt Hören" sind auch ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklungen. Am Anfang führte Elke Grassl, ein hörende Gehörlosenlehrerin, mit lautsprachbegleitenden Gebärden durch die neue Sendung. Ab 1990 verwendete Jürgen Stachlewitz bei "Sehen statt Hören" trotz heftiger Kritik als erster Moderator im deutschen Fernsehen regelmäßig Gebärdensprache, die damals häufig noch als "Affensprache" verpönt war, und wurde so zum Sprachvorbild. Damit stärkte die Sendung auch die Gehörlosengemeinschaft als Sprach- und Kulturgemeinschaft. Erst 2002 wurde die Deutsche Gebärdensprache (DGS) offiziell als eigene Sprache neben Deutsch anerkannt.

"Sehen statt Hören ist der Leuchtturm für die Gebärdensprachgemeinschaft. Der anhaltende Erfolg der Sendung und die hohe Anerkennung in der Community ist der hohen Authentizität, dem außergewöhnlichen Engagement der Redaktion und dem je hälftigen Team aus gehörlosen und hörenden Mitarbeitenden, die mit- und voneinander lernen, zu danken. Seit inzwischen fünf Jahrzehnten kontinuierlich in Entwicklung, beweist Sehen statt Hören heute, dass mediale Inklusion mehr ist als ein zuschaltbarer Extrakasten für Gebärdenspracheinblendungen."

Werner Reuß, Programmbereichsleiter Wissen und Bildung beim BR

Die Jubiläumssendung am 5. April

Die 2185. Sendung greift Geschichten aus den vergangenen Jahren auf und erzählt, wie es den Protagonisten ergangen ist. Moderiert wird die Jubiläumssendung von Jason Giuranna, der Jürgen Stachlewitz, bis 2014 als Moderator das Gesicht der Sendung, nach mehr als zehn Jahren wieder Moderationskarten übergibt. Das Filmteam trifft Robert Grund, dessen Leben durch eine "Sehen statt Hören"-Sendung im Oktober 2000 maßgeblich beeinflusst wurde. 2014 durfte "Sehen statt Hören" die hochschwangere Kelly mit Kamera in den Kreißsaal begleiten. Aaron wird heuer schon 11 Jahre alt und erzählt, wie es ist, seine eigene Geburt anschauen zu können. 2013 wurde Athena Lange porträtiert, die im Alter von damals 18 Jahren plötzlich ertaubt ist. Hat sie ihren Wunsch, Schauspielerin zu werden erfüllen können?

Zum Jubiläum auch auf anderen Sendeplätzen und Kanälen

"Sehen statt Hören" feiert seinen Geburtstag nicht nur auf seinem gewohnten Sendeplatz. Im Jubiläumsjahr "hackt" die Sendung andere BR-Formate wie "Querbeet" oder "Lohnt sich das?" mit tauben Protagonisten und gebärdensprachlichen Inhalten. Serienfans dürfen sich auf zwei ganz besondere Folgen "Dahoam is dahoam" mit einem Cameo-Auftritt von Moderator Jason Giuranna freuen. Im Spätsommer geht das Erfolgsformat "Jason & die Haustiere" mit dem gehörlosen Moderator Jason Giuranna in die bereits 3. Staffel. Mit dieser medialen Repräsentanz in unterschiedlichen Angeboten und Kanälen zeigt der BR: Gehörlose können alles – außer Hören.

Facts & Fun

Gebärdensprache ist seit 2002 neben Deutsch anerkannte Sprache in Deutschland. In Deutscher Gebärdensprache kommunizieren etwa 300.000 Menschen, darunter ca. 83.000 Gehörlose. Bundesweit stehen für sie rund 800 Gebärdensprachdolmetschende bereit; das bedeutet, dass - rein rechnerisch - ein Dolmetschender die Kommunikation von rund 100 Gehörlosen absichert. Künstliche Intelligenz oder Gebärdensprachavatare sind kein Ersatz für „echte“ Dolmetschende: Gebärdensprache ist eine visuelle Sprache und besteht aus Handbewegungen (Gebärden) im dreidimensionalen Raum, Mimik, Gestik sowie Kopf- und Körperhaltung. Diese Komplexität können Avatare derzeit nicht zufriedenstellend abbilden. Und dann gibt es auch noch regionale Unterschiede und Dialekte. Weltweit gibt es rund 200 verschiedene Gebärdensprachen, laut WFD (World Federation of Deaf, Stand 2023) haben 77 Länder ihre heimischen Gebärdensprachen anerkannt; in 116 Ländern fehlt die Anerkennung. Und natürlich gibt es auch Versprecher, also Vergebärdler oder Flüstern, dann gebärden Personen kleiner und möglichst außerhalb des Sichtfeldes anderer Personen. „Taubstumm“ ist ein Begriff, der unbedingt aus dem Sprachschatz gestrichen werden sollte: Gehörlose sind taub, aber nicht stumm. Etymologisch lässt sich „stumm“ von „dumm“ ableiten und wird als diskriminierend und abwertend verstanden.


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