Presse - Pressemitteilungen


0

BR Recherche Fehler in Zulassungsstudie für weltweit eingesetztes Pestizid aufgedeckt

Der umstrittene Wirkstoff für das Pflanzenschutzmittel Chlorpyrifos wurde in der EU zugelassen, obwohl im Fazit einer wichtigen Studie zur Gefährlichkeit des Stoffes brisante Erkenntnisse nicht erwähnt sind. Das geht aus einer wissenschaftlichen Untersuchung hervor, die BR Recherche exklusiv vorliegt. Chlorpyrifos steht im Verdacht, die Gehirnentwicklung bei Ungeborenen zu schädigen. Der BR berichtet über das Thema am Freitag, 16. November 2018, unter anderem auf B5 aktuell, in der radioWelt auf BAYERN 2 sowie Online auf BR24.de.

Stand: 16.11.2018

ARCHIV - 08.09.2016, Brandenburg, Petersdorf: Ein Landwirt fährt am späten Abend mit einer Pestizid- und Düngerspritze über ein Feld. (zu dpa: «Wasserversorger verklagt Land auf Herausgabe von Daten zu Pestiziden» vom 22.10.2018) Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Bild: dpa-Bildfunk/Patrick Pleul

Wissenschaftler der US-amerikanischen Universität Harvard und des schwedischen Karolinska Institutes haben erstmals Rohdaten einer bisher unveröffentlichten Studie des Pestizidherstellers Dow Agro Sciences analysiert, die Teil des europäischen Zulassungsantrags war. Die Untersuchung liegt BR Recherche exklusiv vor.

Laut den Wissenschaftlern geht aus den Rohdaten hervor, dass Chlorpyrifos in Tierversuchen den Aufbau des Gehirns schon bei geringer Dosierung signifikant beeinträchtigt. Dieser Effekt aber findet sich im Fazit der Herstellerstudie von 1998 nicht wieder, so der Harvard-Professor Philippe Grandjean und der Wissenschaftler Axel Mie vom schwedischen Karolinska Institut. 

Bei Chlorpyrifos handelt es sich um eines der weltweit am häufigsten eingesetzten Insektizide. Der Wirkstoff steht seit längerem im Verdacht, die Gehirnentwicklung von Ungeborenen im Mutterleib zu schädigen. Das kann unter anderem zu Aufmerksamkeitsstörungen oder Intelligenzminderung führen.

Seit 2006 ist der Wirkstoff in der EU zugelassen. Im damaligen Prüfverfahren hatten die für die europaweite Zulassung zuständigen Behörden die Herstellerstudie nach Recherchen des BR nicht bemängelt. „Es ist schockierend herauszufinden, dass eine Studie, die Teil des Zulassungsantrags war, fehlerhaft ist. Und dass die Behörden das nicht bemerkt und die Studie akzeptiert haben“, sagt der Harvard-Professor Philippe Grandjean im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. „Mein Vertrauen in das Zulassungssystem, das eigentlich vor giftigen Stoffen schützen soll, ist zutiefst erschüttert“, so Grandjean weiter.

Die damals in erster Instanz für die Risikoeinschätzung zuständige Behörde in Spanien äußert sich auf Anfrage des Bayerischen Rundfunks mit Verweis auf die Vertraulichkeit der Herstellerstudie nicht. Auch die übergeordnete europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, kurz EFSA, beantwortet konkrete Fragen des Bayerischen Rundfunks zu Chlorpyrifos aufgrund eines laufenden Verfahrens nicht. Aktuell überprüft die EU, ob die Zulassung von Chlorpyrifos über 2019 hinaus verlängert wird. Schriftlich erklärt die EFSA, generell würden im Zuge einer Zulassungsverlängerung sämtliche Studien erneut geprüft.

Der Hersteller Dow Agro Sciences verweist auf BR-Anfrage darauf, dass Chlorpyrifos das am „gründlichsten untersuchte Schädlingsbekämpfungsprodukt“ überhaupt und in weltweit 79 Ländern zugelassen sei. Zur mutmaßlich fehlerhaften Studienauswertung nimmt das Unternehmen keine Stellung.

Während Landwirte in Deutschland Pflanzenschutzmittel mit Chlorpyrifos seit 2008 nicht mehr verwenden dürfen, sind sie in 20 anderen europäischen Staaten nach wie vor zugelassen. Laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) werden in Deutschland jedes Jahr Rückstände von Chloryprifos in importierten Waren gefunden, beispielsweise in Orangen und Clementinen aus Spanien. Aus Ländern außerhalb der EU werden immer wieder Waren beanstandet, weil der Chlorpyrifos-Höchstgehalt überschritten ist, zum Beispiel bei Rosinen aus der Türkei.


0