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Recherche von BR und SZ Ärzte nutzen gefährliche Tablette zur Geburtseinleitung

Die Hälfte der Kliniken in Deutschland verwendet einer bisher unveröffentlichten Umfrage der Universität Lübeck zufolge zur Geburtseinleitung ein Medikament, das in der Geburtshilfe gar nicht zugelassen ist. Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung und des Bayerischen Rundfunks kann es zu schweren Komplikationen im Zusammenhang mit dem Medikament Cytotec komme. Das geht aus Gutachten, Fallberichten und Gerichtsurteilen hervor, die BR und SZ ausgewertet haben.

Stand: 11.02.2020

Symbolbild: Tablette | Bild: BR

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In Einzelfällen traten schwere Gehirnschäden wegen einer Sauerstoffunterversorgung des Kindes auf, in seltenen Fällen riss die Gebärmutter der Frauen, mehrere Babys verstarben in Deutschland und Frankreich.

Cytotec ist ein Magenmedikament, bei dem man zufällig in der Praxis erkannt hat, dass es Wehen fördern kann. Der Hersteller der Tablette, das Pharmaunternehmen Pfizer, nahm das Medikament 2006 vom deutschen Markt, weil es zu oft außerhalb des vorgesehenen Anwendungsbereiches verwendet wurde. Pfizer schreibt auf Anfrage, es gebe bis heute keine ausreichenden, randomisierten und verblindeten Studien, die eine Anwendung zur Einleitung der Geburt rechtfertigen würden. Wegen der fehlenden Daten lässt sich nur schwer einschätzen, wie groß das Problem von Todesfällen und Gehirnschädigungen in absoluten Zahlen ist.

Ärzte können Cytotec aber im sogenannten Off-Label-Use in ihrer Therapiefreiheit verwenden, wenn sie Frauen darüber aufklären. Die Tablette kostet nicht einmal einen Euro und ist einfach zu verabreichen. Alternativen liegen mitunter im dreistelligen Bereich. Auch die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt den Wirkstoff Misoprostol, der in der Tablette steckt, allerdings in geringen Dosen von 25 Mikrogramm. Recherchen von SZ und BR zufolge verabreichen Ärzte mitunter das Doppelte bis Vierfache. Eine optimale Dosis wurde nie festgelegt, was daran liegt, dass das Mittel für die Geburtseinleitung niemals eine Zulassungsstudie durchlaufen hat und sich Ärzte nur auf Erfahrungswerte und Anwendungsbeobachtungen stützen.

„Es ist schon lange an der Zeit, diesen Unsinn mit Cytotec zu beenden“, sagt Peter Husslein, Professor für Geburtshilfe und Leiter der Universitäts-Frauenklinik Wien. Er forscht zu Wehentätigkeit und Einleitungsmethoden. Cytotec verwende er in seiner Klinik nicht. „Das Mittel ist weitgehend unkontrollierbar und es gibt viel zu wenig Untersuchungen“, sagt Husslein. „Es hat zahlreiche mütterliche Todesfälle verursacht. Es gibt für mich keinen Grund der Welt, warum ich als Arzt ein gefährliches, nicht registriertes Medikament anwenden sollte.“

Frauen in Deutschland und Frankreich ziehen vor Gericht, weil sie vermuten, dass Cytotec zu gravierenden Komplikationen wie Gehirnschäden bei ihren Kindern oder Todesfällen geführt haben, Mütter auf den Bahamas, in Dänemark und den USA warnen vor dem Medikament. Die französische Behörde ANSM schreibt in einer ihrer Mitteilungen, ein positives Risiko-Nutzen-Verhältnis sei bis heute nicht bewiesen, die US-amerikanische Lebensmittelüberwachungs-und Arzneimittelbehörde FDA warnt seit Jahren vor der Verwendung der Tabletten zur Einleitung der Wehen, weil es zu Todesfällen kam.

Die deutsche Überwachungsbehörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hingegen weiß nach BR- und SZ-Recherchen nur von einem Kind, das nach der Gabe von Cytotec und einem weiteren Mittel in Deutschland verstarb und von keinem einzigen, das mit einem Gehirnschaden zur Welt kam, nicht einmal der Todesfall einer Mutter, die im Zusammenhang mit der Gabe der Tablette verstarb, liegt der Behörde vor.

Eine Warnung vor dem Einsatz von Cytotec in der Geburtsmedizin hat in Deutschland bisher keine Behörde ausgesprochen.

Sendungen zum Thema im BR und in der ARD:

11.02.2020:

B5 aktuell
Bayern 2 radioWelt am Abend
report München um 21:45 Uhr im Ersten
Alle Informationen auf BR 24

12.02.2020:
Bayern 2 Notizbuch


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