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Tatort Franken: Ich töte niemand Interview Fabian Hinrichs

Stand: 02.03.2018

Fabian Hinrichs (Schauspieler Tatort Franken) | Bild: BR/Lisa Hinder

Mit "Ich töte niemand" kehrt der Franken-Tatort zu seinen "Wurzeln" zurück. Für Regie, Buch und Kamera zeichnet dasselbe Team verantwortlich wie beim ersten Franken-Tatort "Der Himmel ist ein Platz auf Erden". Wie hat sich das Ermittlerteam entwickelt, und was ist geblieben?

Fabian Hinrichs: Das Wort "entwickeln" kommt vom mittelhochdeutschen "wickilī", das ein Faserbündel beschreibt. Also einen Faden aus diesem Bündel herauszuziehen, das bedeutet ent-wickeln. Ich denke, es gibt einige Fäden in unseren Filmen, die mehr, andere, die weniger aus diesem Bündel herausgezogen wurden. Den Faden, der Felix' Innenraum darstellt, könnte man noch beherzter und weiter herausziehen, das wäre nicht verkehrt, finde ich. Grundsätzlich sind die Figuren vertrauter miteinander geworden, das könnte mit sich bringen, dass auch das Miteinander immer persönlicher wird und weiter werden kann, in jede Richtung.

Felix Voss wirkt bei seiner Einweihungsfeier gelöster denn je. Ist das nur dem Alkohol geschuldet oder auch ein Zeichen dafür, dass er "angekommen" ist? 

Fabian Hinrichs: Man zeigt Felix hier einfach zum ersten Mal in einer Situation, in der er nicht im Dienst ist. Ihn aus anderen Perspektiven zu sehen, finde ich richtig, das kann ruhig weiter wachsen. Denn zarte neue Triebe, das habe ich in der Baumschnittschule gelernt, sollte man nicht beschneiden, sonst verholzen sie.

In Ihrer Rolle als Felix Voss ist jeder Satz geschliffen, jedes Wort sitzt – und wirkt doch natürlich. Wie haben Sie diese Nähe zu Ihrer Figur erschaffen? Haben Sie die Möglichkeit, selbst an den Dialogen mitzuarbeiten?

Fabian Hinrichs: Es gibt Berufe, die hauptsächlich und zuallererst wohl nur aus einem romantisch beschworenen Innenraum heraus ausgeübt werden können. Die Schauspielerei gehört dazu. Ganz seriös gesprochen, versuche ich immer, eine Wahrheit im Sein zu erwischen, ein "Als-ob" zu vermeiden, und dabei Verkrampfungen und Selbstzweifel so elegant wie möglich loszuwerden. Das schaffe ich nun wirklich nicht immer, das kann ich nicht behaupten. Wenn das nicht gleich aufgefallen ist, bin ich erst einmal erleichtert.

Wie würden Sie Felix‘ Verhältnis zu Paula beschreiben? In der Szene im Auto, in der Felix eine Reise nach Paris ins Gespräch bringt, könnte man fast meinen, die beiden flirten miteinander.

Fabian Hinrichs: Wirklich? Ich würde es vielleicht etwas anders beschreiben. Sie passen aufeinander auf, sie versuchen aufeinander einzugehen. Paula möchte in diesem Moment mit etwas freundlichem Licht in die düsteren Gedanken von Felix hineinleuchten, und er lässt sich, für sie, darauf ein. Sie vertrauen darauf, dass sie es gut miteinander meinen, im Sinne Shakespeares’: "Je mehr ich gebe, je mehr auch hab' ich".

Gibt es ein besonderes Erlebnis, an das Sie sich beim Dreh zu "Ich töte niemand" in Nürnberg erinnern?

Fabian Hinrichs: Ich erinnere mich an den Monolog einer Nürnberger Taxifahrerin, spätabends, auf der Fahrt vom Flughafen zu meiner zeitweiligen Wohnung in Nürnberg. Er handelte vom Teilen, von ihrem Taxischein, von ihren Kindern, vom Kampf gegen Luxus und Eitelkeit, von der Nacht, von Hoffnungen, von Fehlern, von Ratlosigkeit, Kochrezepten. Und all das erschien und erscheint mir auf eine rätselhafte Art von ebenso rätselhafter Weisheit zu sein, verworren und wahr, ohne Zentrum und doch wesentlich. Ich denke, Wahnsinn ist eine dysfunktionale Erfahrungswelt, die eben wegen dieser Dysfunktionalität von der Mehrheitsgesellschaft weitestgehend abgetrennt wurde, weil der Wahnsinn sich dem Zweckmäßig-Rationalen entzieht und es gefährdet.

Wie empfinden Sie selbst Franken in Ihrem 4. Jahr als Ermittler?

Fabian Hinrichs: Ich stehe ja auf dem Standpunkt, je mehr man weiß, desto mehr sieht man, je mehr man sieht, desto mehr empfindet man. Und ein groß- und einzigartiges Buch über Franken und seine besonderen Bewohner ist von meinem über alle Maßen geschätzten Kollegen und Künstler im Leben und am Grill, Matthias Egersdörfer, zusammen erschaffen mit Jürgen Roth. Hans Sachs' Glorifizierung Frankens als Schlaraffenland wird Wolfgang Koeppens "Proportionen der Melancholie" gegenübergestellt, beides stimmt. Und selten habe ich Unterhaltsameres und Wahreres über eine Region erfahren als im Gesprächs-Kapitel "Im Garten von Achim und Heribert". Die Franken, habe ich dort gelernt, sind einerseits kollektiv maulfaul, sind eigensinnige, sich oft gegenüber Bayern (also Oberbayern!) minderwertig vorkommende Leut', andererseits ehrliche, redliche, gierlose Genießer, stolze Nachfahren eines einst weltbestimmenden Völkchens mit wachsenden Abtrennungsbestrebungen gegenüber Bayern. Und ich glaube, dass sich meine Erfahrungen in Franken mit diesen sensiblen Analysen decken. Immer wenn ich ein wenig Zeit hatte, bin ich mit dem Rad gefahren, durch das unzerstörte Bamberg, durch Wälder, zu Burgen, aber auch an 50er-Jahre-Zweckbauten oder brutalistischen 70er-Jahre-Klötzen vorbei. Und die zunächst oft sehr reduzierte sprachliche Kommunikation, die ich manchmal fälschlicherweise als Ablehnung empfunden habe, weicht bisweilen sprudelndem, derbem, ausuferndem Witz.

Was ist für Sie der Kern der Geschichte von "Ich töte niemand"?

Fabian Hinrichs: Menschliche Einsamkeit, auch verbunden mit Abhängigkeiten und verschiedene sehnsüchtige und oft vergebliche Versuche, sie zu überwinden. Das ist ein Kern darin.

In "Ich töte niemand" geht es u.a. um die Infiltration von Jugendlichen mit rechtsradikalem Gedankengut. Wie kann man junge Menschen am besten davor schützen?

Fabian Hinrichs: Wahrscheinlich durch Bildung und Erfahrung, oder? Sie sollten möglichst viel lernen über Ursachen und Folgen von Migrationsbewegungen, auch über demagogisch eingesetzte und schief bestimmte Begriffe wie "Volk", "Nation" und "Abendland", auch "Rechtspopulismus". Rechtspopulismus als Begriff ist wenig aussagekräftig, weil er nicht auch die dahinterstehende Ideologie aufzeigen kann. Die Wortherkunft aber weist schon den Weg: nämlich Politik im Namen des Volkes und/oder für das Volk zu machen. Gibt es ein Volk? Oder gibt es nicht vielmehr nur Bevölkerung? Wer bestimmt, wer zum „Volk“ gehört und wer nicht? Künstler? Schwule? Schräge Frauen? Wer darf mit ins Boot?

Gleichzeitig muss man sich zusammen die inneren Bilder genau anschauen, die durch sprachliche Ausdrücke wie "Europa ist eine Festung, die sich vor den Flüchtlingsströmen schützen muss" oder "ich warne vor einem Bürgerkrieg in Deutschland" hervorgerufen werden. Das ist demagogischer Mythos, der seine Wirkung erzielen kann, weil man ihn nicht durchschaut als Mythos.

Europaweit erstarkt der Rechtspopulismus. Wie sehen Sie diese Entwicklung, und wie beurteilen Sie die Thematik des aktuellen Tatorts in diesem Zusammenhang?

Fabian Hinrichs: Die AfD und der Front National und so weiter sind eine wirkliche Gefahr für die Demokratie, denn sie sind nicht nur weitere Parteien wie alle anderen, nur ein wenig konservativer oder ein bisschen weiter rechts, sondern sie sind qualitativ andere Parteien, sie wollen qualitativ etwas ganz Anderes. Dies wird oft verschleiert und diese Verschleierung macht sie gefährlich.


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