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Aussteigen Statement der Regisseurin

Gedanken der Regisseurin Petra K. Wagner zu ihrem Dokumentarfilm "Aussteigen"

Stand: 10.07.2017

Ariela Bogenberge und die Regisseurin Petra K. Wagner | Bild: BR

„Aussteigen“ ist nach einigen Spiel- und Fernsehfilmen mein erster Dokumentarfilm. Mit der Drehbuchautorin Ariela Bogenberger, die eine gute Kollegin und Freundin von mir ist, hatte ich im Vorfeld schon einen Stoff geschrieben und für den BR verfilmt. „Herbstkind“ handelt von einer Frau, die nach der Geburt ihres Wunschkindes in eine schwere Kindbettdepression fällt. Er ist einer meiner wichtigsten Filme.

Über unser gemeinsames Schreiben an dem Drehbuch haben wir uns angefreundet, und auch durch die Arbeit an weiteren Filmprojekten entstand eine große Vertrautheit. So fiel ich wirklich regelrecht aus allen Wolken, als Ariela mir Anfang 2015 erzählte, dass sie 20 Jahre Mitglied einer Sekte war, aus der sie gerade aussteigt. Ich war, neben meinem großen Erstaunen, sehr neugierig auf ihre Geschichte und begierig mehr zu erfahren, denn für mich gab es in dieser ganzen Zeit keinerlei Anhaltspunkte oder Hinweise auf eine Sektenzugehörigkeit – auch nicht darauf, dass Ariela neben ihrem Leben, das ich glaubte, gut zu kennen, eine Art Doppelleben führte. Letztendlich hörte sich das für mich auch wie ein extrem interessanter Filmstoff an.

Ariela wollte sowohl ihren Einstieg, ihr Verbundenheit zu der Sekte und vor allem ihr „Aussteigen“ öffentlich machen. Dieses einerseits sehr persönliche und gleichzeitig weitreichende Thema ihrem Beruf entsprechend in einem Film zu verarbeiten, erschien uns beiden absolut folgerichtig – und so kamen wir überein, dass ich ihren Ausstieg filmisch begleite.

Wir vereinbarten erstmal, unsere Gespräche zum Ausgangspunkt dieses Filmprojekts zu machen und drehten diese in zwei Blöcken, zwischen denen ein Jahr liegt.

Ich selber bleibe bei „Aussteigen“ weitestgehend unsichtbar, stelle Fragen und halte Arielas Sprechen, ihre Ausführungen und Gedanken durch kurze Einwürfe in Gang.
Dass aus dem Material ein Film entstehen soll, ich die Regisseurin bin, und sie meine Protagonistin ist, war uns natürlich immer klar, aber wir konnten trotzdem eine sehr intime Gesprächsweise die ganze Zeit über beibehalten – ihre Worte waren nur an mich gerichtet, und ich hörte nur auf das, was sie mir anvertraute. Ariela legt in den Gesprächen mit mir eine Art Zeugnis ab, und beim Schnitt und der Fertigstellung des Films wurde ich Zeugin, wie sie sich aus den Verstrickungen und Strukturen der Sektengemeinschaft löst und sich auf der Suche nach ihrer Identität und Herkunft wiederfindet. Ein sehr spannender Prozess.

Die Gespräche – auch wenn sie sich auf den ersten Blick einer rein formellen Information nach journalistischen Gesichtspunkten und chronologischen Struktur entziehen – geben Einblicke in Arielas persönliche Geschichte. Darüber hinaus vermitteln sie aber auch sehr fundiert Informationen über Strukturen von Sekten, ihre Methoden und deren Auswirkungen.

Arielas große Offenheit, ihre Reflexion über das, was ihr widerfahren ist und ihr unbedingter Wille, sich jenseits von Scham und Angst zu bekennen, um sich aus diesen Verstrickungen zu lösen, sie zu durchschauen und damit zu durchbrechen, waren auch für mich als Filmemacherin eine Herausforderung. Denn die Themen wie Manipulation oder Indoktrination forderten nicht nur eine inhaltliche Auseinandersetzung, sondern auch eine Entsprechung in dem Umgang mit filmischen Mitteln und dem Aufbau des Films.

Zum Beispiel beim Schnitt richtete sich letztendlich die Auswahl der Sequenzen nach rein assoziativen Kriterien, weil sich das Material jeglicher Sortierung nach thematischen Überschriften oder einer Strukturierung nach inhaltlichen Kriterien entzog. Die einzige Richtschnur, an der ich mich entlang hangelte, war, dass ich mich auf Ariela, ihre Erzählweise, ihren Diskurs einlassen musste. Der Lohn dafür sind sehr intime Einblicke in ihr Gefühlsleben und für mich immer wieder auch das Erstaunen darüber, dass es anscheinend keinerlei Gewähr dafür gibt, vor Indoktrination gefeit zu sein. Allein die Aufklärung über die Mechanismen und eine hohe Sensibilisierung für Manipulation sind entscheidend.

Eins der absolut drängenden Themen innerhalb Arielas Geschichte ist das der Manipulation. In der filmischen Bearbeitung und Strukturierung des Filmmaterials stieß ich immer wieder darauf, auch filmische manipulative Techniken und Eingriffe weitestgehend zu vermeiden, oder sie zumindest sichtbar zu machen.

Die Gespräche sind durchgehend mit drei Kameras gedreht: Die Bilderteilung die ich manchmal eingesetzt habe, macht jenseits einer visuell interessanten Darbietung deutlich sichtbar, dass die verschiedenen Kamerapositionen in diesem Fall nicht einem möglichst „glatten“ Schnitt dienen, sondern sie sind eher ein Garant für die Authentizität und zeigen auf, dass die Gesprächsteile meist lückenlos genommen wurden.

Ich lege in „Aussteigen“ den Fokus auf Ariela und ihre persönliche Sicht und passe mich ihrer Methode der Annäherung an ihre Geschichte und ihrer Aufklärungsarbeit an. In diesem Sinne verzichte ich auch auf jegliche weitere Bebilderung, und bleibe bei ihr in diesem Wintergarten, der an ihr Haus grenzt. Die Konzentration auf meine Protagonistin in dieser etwas spröden filmischen Struktur erschien mir einzig richtig, denn sie lässt eine Auslegung und Wertung ihrer Geschichte so weit wie möglich außen vor. Das schlägt für mich auch den Bogen zu meiner Intention als Filmemacherin im Allgemeinen. Auch in meinen filktionalen Stoffen, bei meinen erfundenen Figuren, lege ich den allergrößten Wert darauf, ihnen zu folgen und sie ein Stückweit kennenzulernen – offen und ohne zu werten. Denn nur so erfahre ich etwas für mich Neues.

Ariela fragt mich zum Schluss des Films nach meiner Motivation diesen Film gemacht zu haben. Ich kann nur wiederholen, was ich ihr darauf antworte: Indem ich ihren Gedanken und ihrer Geschichte folge, beginne ich über mich und meine Beziehungen nachzudenken und setze hier noch nach: bin sensibilisiert für Mechanismen, die meine Individualität angreifen oder in Frage stellen.


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