Presse - Intendant


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Süddeutsche Zeitung "In Bayern und der Welt"

Ulrich Wilhelm ist seit einem Jahr einer der ARD-Intendanten.

Stand: 23.02.2012

Auch vom 15. Stock seines Dienstzimmers aus verliert Ulrich Wilhelm nicht den Blick für das Detail. München liegt an diesem beinahe klaren Wintertag vor ihm. Er zeigt und benennt die Kirchen, neue Wohngebiete sind ihm geläufig, er weist auf hohe Gebäude, zieht Achsen und ordnet in der Panoramafläche vor ihm die Stadtteile.

Wilhelm stammt aus München, er wuchs dort auf, studierte überwiegend in München, und nach mehr als vier Jahren in Berlin, in denen er für die Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach, zog es ihn nach München zurück. Er war also auch die Wahl eines Münchners für den Bayerischen Rundfunk (BR), den Wilhelm, 50, nun seit einem Jahr führt. Seine Bilanz?

Er war an allen Debatten der ARD beteiligt, sprach aber nie aus der ersten Reihe. Vor allem machte er sich daran, den BR strukturell zu verändern. Mit der sehr komplexen trimedialen Reform werden sich Bettina Reitz als neue Fernsehdirektorin und Birgit Spanner-Ulmer als Direktorin für Produktion und Technik beschäftigen müssen. Beide Personalien brachte Wilhelm problemlos bei den Rundfunkräten ein: Reitz war als Fernsehspielchefin des BR erfolgreich, Spanner-Ulmer eine herausragende Professorin für Arbeitswissenschaft. Weil Wilhelm wie seine Vorgänger Sportrechte-Intendant der ARD ist, verhandelte er in den zurückliegenden Monaten Boxenkämpfe, Olympiaübertragungen, die Leichtathletik-WM, und auch mit den olympischen Sportverbänden. Wenn es richtig ist, was Gremienmitglieder so erzählen, seien Sportrechte günstiger als früher erworben worden. Vielleicht ist das.

Es mag an Wilhelms Erfahrung im politischen Betrieb Berlins und vorher Bayerns liegen, wo er Amtschef im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst war, dass er die Außendarstellung des Senders und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von Anfang an als eine seiner natürlichen Aufgaben verstand. Wilhelm hat Regionalempfänge des BR in allen bayerischen Regierungsbezirken eingeführt, er spricht vor Akademien, Kuratorien, Stiftungen, auf Podien, vor Hochschulräten. Dort will er die Vertreter der gesellschaftlich relevanten Gruppen erreichen und sie über den Wert eines staatlich geschützten Rundfunks informieren. Denn er weiß, dass ARD und ZDF ein Legitimationsproblem bekommen haben. Man zweifelt an ihren Programmen, an ihrer Ausrichtung, ihrer Finanzierung. Es gibt eine ständige Debatte über Geld, die sich 2013 mit der Umstellung des Gebührenmodells auf eine nicht mehr gerätebezogenen Abgabe verschärfen wird.

Gleichzeitig wird sich öffentlich-rechtliches Fernsehen und Radio angesichts zu erwartender Gebührenausfälle auf Kernbereiche konzentrieren müssen. Das ist aber bisher nicht in jeder Intendanz angekommen. Noch erhält die ARD mehr als fünf der beinahe acht Milliarden Euro, die jährlich als Gebührengesamteinnahme verbucht werden.

Mit politischen Äußerungen hielt sich Wilhelm im ersten Geschäftsjahr zurück. Doch dass er als einziger Senderchef bei einer Abstimmung gegen die Doppelausstrahlung royaler Hochzeiten votierte, dass er sich nachdenklich zur Talkshowleiste im Ersten stellte, gibt eine Richtung vor: Der Bayer weiß offenbar, wo sich die ARD angreifbar macht. Und wenn er betont, dass neue Sendungen für die unter 30-Jährigen entwickelt werden sollten, lässt sich das auch als Kritik lesen. Denn wie die vielstimmige ARD den Generationenabriss verhindern will, ist konzeptionell nicht zu erkennen. Das ZDF dagegen hat seinen Digitalkanal Neo entsprechend auf die Jungen ausgerichtet und aufgebaut.

Dass Wilhelm unbesetzte Themenfelder des staatlichen Rundfunks erschließen kann, liegt vermutlich auch daran, dass er sich auf seinen bisherigen Stationen ein breites nationales und internationales Netzwerk aufgebaut hat. Seine Kontakte reichen über Politik und Medien hinaus in die Kunst, die Wissenschaft und Wirtschaft. Bald nach seinem Antritt im Münchner Funkhaus sprach er über die "Verantwortungsgemeinschaft", in der sich Verleger und öffentlich-rechtlicher Rundfunk gemeinsam um den Qualitätsjournalismus sorgen sollten. Als ehemaliger Regierungssprecher kennt er die Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen und ihre Verlagsmanager. Als Intendant hat er sich für den Inhalt als bestimmende Größe im Quotengewerbe Fernsehen ausgesprochen, womit nicht gemeint sei, dass er nicht auch von Sportübertragungen und Shows unterhalten werde möchte.

Bis an die Universität von Stanford trug er seine Botschaft vom Wert und der Zukunft eines öffentlichen-rechtlichen Fernsehens, jedenfalls lautete so sein Thema. Und weil er schon in Kalifornien war, besuchte er den Firmensitz von Google und von Facebook. "Wir treten in eine Phase ein, in der sich Internetkonzerne wie Google offenbar immer stärker für Bewegtbilder interessieren", sagt Wilhelm: "Nach dem Angriff auf die Geschäftsmodelle der Verlage, stehen nun international die Fernsehsender im Fokus." Was das bedeutet? Es wird wohl irgendwann Suchmaschinen-TV geben, und auch die ARD könnte darauf vorbereitet sein.

Christopher Keil, Süddeutsche Zeitung, Montag, 20. Februar 2012


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