Presse - Intendant


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journalist "Der Entzauberer"

Seit einem Jahr steht Ulrich Wilhelm an der Spitze des Bayerischen Rundfunks. War sein Einstand noch von einigem Getöse um den Einfluss der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk begleitet, gilt Wilhelm heute als "Intendant ohne Gegner". Dabei liegen genügend Streitthemen parat.

Stand: 03.04.2012

Der Zen-Meister ist erkältet. Und immer, wenn Ulrich Wilhelm husten muss an diesem Vormittag, entschuldigt er sich formvollendet – als ob der Schnupfen nicht ihm, dem Intendanten des Bayerischen Rundfunks (BR), sondern seinem Gast Malaisen bereite. Die Berliner Republik liegt nun gut eineinhalb Jahre hinter ihm, doch die "bayerische Noblesse", die ihm die Welt genauso wie den Zen-Meister-Status zum Abschied als Regierungssprecher aus der Hauptstadt bescheinigte, sie kommt in München erst recht zum Tragen. Nach gut einem Jahr im neuen Job ist Ulrich Wilhelm beim BR nicht mehr wegzudenken, und mancher sieht in ihm längst so etwas wie den Außenminister der ARD.

Vergessen sind die ohnehin nicht allzu scharfen Scharmützel des Jahres 2010, als die Personalie Wilhelm kurz nach dem unionsgesteuerten Ende des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender für neue Debatten über die Staatsferne im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sorgte. Die Kandidatur von Merkels Regierungssprecher für den Posten in der Heimat war im März 2010 öffentlich geworden. Einen echten Gegenkandidaten gab es nicht, und so wählte der BR-Rundfunkrat das CSU-Mitglied Wilhelm im Mai 2010 mit dem eher Politbüro-tauglichen Stimmenverhältnis von 40 zu 4 zum neuen Intendanten.

Doch noch mehr als die Debatte über "schamlose Übergriffe der Politik" (Stern) war es schon damals die bei Wilhelm trotz Parteibuch offenbar eingebaute Überparteilichkeit, die ihre Wirkung entfaltete und jegliche Kritik entzauberte. Wer trotzdem darauf hinwies, dass der Übergang vom Regierungssprecher zum Intendanten mit gerade einmal sechs Monaten Karenzzeit nicht ganz so elegant sei, galt als schlecht gelaunter Formalpessimist. Ins Gespräch gebracht hatten den CSU-Mann schließlich ein Gewerkschaftsvertreter aus dem BR-Rundfunkrat und ein ehemaliger SPD-Landtagsabgeordneter.

Und als wäre Wilhelm nicht längst über all diese Zweifel erhaben, erteilte ihm seine eigene Partei vor drei Monaten ganz offiziell die Absolution: "Bayerischer Rot-Grün-Funk?", titelte das Parteiorgan Bayernkurier im Dezember 2011 und erregte sich, SPD und Grüne seien zumindest in der Hörfunkberichterstattung des BR "massiv überrepräsentiert". Der Text monierte "in Nachrichten verpackte Meinungen, tendenziöse Moderationstexte, einseitige Auswahl von O-Tönen und Interviewpartnern sowie gezielte thematische Schwerpunktsetzung in der Berichterstattung" – alles zuungunsten der CSU. Das Fazit des nicht namentlich gekennzeichneten Beitrags im weißblauen Parteiorgan über den weißblauen ARD-Sender: "Öffentlich-rechtliche Ausgewogenheit sieht anders aus."

Ein Intendant ist qua Amt auch immer oberster Journalist seines Senders. Ulrich Wilhelm ist sogar gelernter Journalist, und er begann seine Karriere nach Deutscher Journalistenschule und Jura-Studium beim BR. Angeblich war auch ein Redakteursposten in Sicht. Doch der damalige Fernsehdirektor, so jedenfalls die Münchner Fama, mochte den seinerzeitigen Fernsehchefredakteur nicht und schmetterte dessen Personal Vorschläge ab. So ging Ulrich Wilhelm ins bayerische Innenministerium. Jetzt sagt er: "Die pauschale Kritik des Bayernkuriers ist unangemessen." Und schiebt nach: "Wie in allen Qualitätsmedien treffen unsere Journalisten ihre Bewertungen in redaktioneller Unabhängigkeit." Verschwörungstheorien, will Wilhelm damit sagen, sind im Journalismus eigentlich immer fehl am Platz. Er scheint zumindest froh, dass die Bayernkurier-Nummer schnell wieder aus der Welt war – CSU-Chef Horst Seehofer selbst soll umgehend beim Intendanten ange rufen und sich distanziert haben.

Von wegen Kleinklein, ihm geht es ums große Ganze

Derlei weißblaues Kleinklein ist tatsächlich nicht Wilhelms größte Baustelle. Vielmehr umtreibt den BR-Chef eine ganz andere Aussöhnung mit der Presse. Neben der amtierenden ARD-Vorsitzenden und WDR-Intendantin Monika Piel ist Wilhelm der Motor beim Ringen um die noch aus stehende Einigung mit den Zeitungsverlegern über die Spielregeln in der Onlinewelt (siehe Seite 72). Wilhelm verhandelt hier für die ARD mit – damit hat er dem offi ziellen ARD-Online-Intendanten, SWR-Chef Peter Boudgoust, etwas voraus. Denn Boudgoust, so die ARD, war an allen bisherigen Terminen mit den Verlegern leider verhindert.

Das Vorhaben einer Einigung per Gentlemen’s Agreement als rückwärtsgewandt zu betrachten, davon hält Wilhelm nichts: Natürlich könne man argumentieren, die Digitalisierung sei grundstürzend und niemand wisse, was in den nächsten Jahren noch alles um die Ecke komme. Für ihn geht es auch nicht um wirtschaftliche Interessen, sondern um eine gesellschaftspolitische Erkenntnis: "In einer komplexer werdenden Welt dürfen die Qualitätsmedien die Menschen nicht im Stich lassen."

Ulrich Wilhelm geht es ums große Ganze, den Blick über den Tellerrand des nackten Eigeninteresses, das will er mit jedem seiner Worte klarmachen. Das passt auch gut zum weitschweifenden Blick über München, den er von seinem Büro im 15. Stock des BR-Hochhauses an der Arnulfstraße hat: Der Hauptbahnhof als logistische Drehscheibe liegt ihm zu Füßen, dahinter breitet sich das Herz der Stadt mit Frauenkirche und Marienplatz aus. Daneben geraten die Pinakotheken ins Bild. Etwas weiter holt den Betrachter die Silhouette eines Kraftwerks herunter von allzu lyrischen Höhenflügen, doch am Horizont, und heute durch die Wolken nur zu erahnen, liegen die Alpen. All das zeigt Wilhelm dem Besucher, nicht mit der Aura eines "Alles meins", sondern höfl ich, zurückhaltend, interessiert.

Und wenn man heute in der ARD Dinge sagt, die vor einem Jahr noch zur Ausladung von der Weihnachtsfeier wegen Fraternisierung mit dem Feind geführt hätten, liegt das auch an Ulrich Wilhelm und seinem weiten Blick, der die beteiligten Institutionen und ihre Funktion als Ganzes im Blick hat. Das zumindest hebt sich wohltuend ab von der viel zu gern und viel zu oft allein auf die wirtschaftlichen Gesichtspunkte beschränkten Sicht im Medienbetrieb. Seine übergeordnete, große Idee heißt: Erhalt des Qualitätsjournalismus im gesellschaftlichen Interesse.

Das Standard-Repertoire aller Intendanten

Das ist alles andere als neu, aber Wilhelm ist ein angenehmer Prediger, der Ton wohltemperiert, die Analyse stimmig: "Demokratie braucht Checks and Balances, also kritisches Überprüfen und Mitdenken. Das Forum dafür schaffen bis auf weiteres vor allem die Medien." Soziale Netzwerke könnten da in Zukunft zwar helfen, reichten allein aber nicht aus. "Medien haben unterschiedliche Stärken: Zeitungen, Zeitschriften und Magazine können bekanntlich exzellent Hintergründe vermitteln und Sachverhalte kontrovers aufbereiten“, sagt Wilhelm, der "leidenschaftlicher Zeitungsleser" ist. "Umgekehrt ist Print nicht in der Lage, allein als Massenmedium zu wirken. Themen an Millionen Menschen herantragen, sie informieren, sie auch emotional aufrütteln und sagen: ‚Wir müssen uns jetzt mit diesem Thema beschäftigen!’ – das leisten Fernsehen und Hörfunk in besonderem Maße." Nur gemeinsam, so sein Credo, lasse sich fundierte Information der Bürger in der ausdifferenzierten Medienlandschaft sicherstellen.

Die Proteste innerhalb der ARD und besonders in der Redaktionskonferenz Online (RKO), in der die Netzexperten aller Anstalten debattieren, hält er wie die meisten seiner Intendantenkollegen für zu aufgeregt. Dass sich öffentlich-rechtliche Sender und Zeitungsverlage stärker als Partner denn als Gegner sehen sollten, gehört schließlich zum Standard-Repertoire aller Intendanten von Monika Piel (ARD) bis Markus Schächter (ZDF). "In einer Zeit radikaler medialer Umbrüche geht es darum, die Existenzgrundlagen der jeweils anderen Seite stärker als bisher zu berücksichtigen", sagt auch Wilhelm. Und dass die Öffentlich-Rechtlichen im Netz "selbstverständlich nie textfrei sein werden – keine Frage. Das Internet ist ein textbasiertes Medium. Es geht um die Schwerpunkte". Das ist Musik in Zeitungsverlegerohren, die der ARD daher gern weiter zugestehen, Hörfunkmanuskripte online zu verschriftlichen.

Allein, und das wird im Gespräch mit Wilhelm schnell klar: Er sieht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dank seiner gesicherten Finanzierung am längeren Hebel. "Ich habe an der Nahtstelle von Politik und Journalismus erlebt, wie Redaktionen ausgedünnt wurden und wie sich dies auf die Qualität auswirkt." Damit steht er nicht allein da – auch in der Medienpolitik bricht sich die Erkenntnis Bahn, dass am Ende wohl nicht genug guter Journalismus übrig bleibt, wenn man dessen Entwicklung allein den Kräften des Markts überlässt.

Doch im Vergleich mit den wirklich großen Herausforderungen für den Rundfunk ist die Einigung mit den Verlegern bestenfalls eine Fingerübung. Das weiß natürlich auch der BR-Intendant. Bereitet es ihm also Unbehagen, wenn er an die Zukunft denkt, in der die Suchmaschinen im Netz auch den Bewegtbildbereich aufgebrochen haben werden und jene Beziehungen zu den Fernseh-Online-Nutzern herstellen können, die bislang der Bayerische Rundfunk exklusiv zu seinen Zuschauern hat?

"Ich habe keine Angst vor dem Leben und seinen Herausforderungen. Wenn die Entwicklung so kommt – und sie wird kommen – müssen wir damit umgehen", sagt Wilhelm und ist dabei so entspannt, als säße da wirklich ein Zen-Meister und kein ARD-Hierarch. So wie es den großen Musikfirmen als Ersten passiert sei – deren exklusive Endkundenbeziehungen fanden sich zuerst bei Napster und dann bei iTunes wieder, dann erlebten die Zeitungsverlage ihr blaues Wunder: Google News –, so werde es auch dem Fernsehen gehen, fertig, aus. "Allerdings", und da ist Wilhelms Mantra wieder, "werden diese neuen Wettbewerber keine gesellschaftspolitische Verantwortung übernehmen, im Wesentlichen geht es da um werbefi nanzierte Unterhaltung." Die Lebensversicherung der Öffentlich-Rechtlichen.

Und wenn die neuen Zeiten anstehen, hat die ARD in Ulrich Wilhelm einen beinahe idealen Unterhändler, der sich nie nach vorn drängt und in seinen früheren Jobs gelernt hat, scheinbar keine eigenen Interessen zu vertreten. "Er war an allen Debatten der ARD beteiligt, sprach aber nie aus der ersten Reihe", attestierte ihm die Suddeutsche Zeitung jetzt nach dem ersten Jahr an der Anstaltsspitze. Schon ein Jahr zuvor lautete das SZ-Votum, der frisch gebackene BR-Intendant habe es "verstanden, gleich in den ersten Wochen Sympathien zu gewinnen". Es gibt wenig Anzeichen, dass sich daran so bald etwas ändert.

Fast geräuschlos, wie nebenbei

Dabei verhandelt Wilhelm gerade noch ein dickes und kontroverses Rechtepaket für die ARD – der BR-Intendant ist traditionell für den Sport zuständig. Doch Wilhelm macht auch das fast geräuschlos. Und weil es in den nächsten Monaten wieder um das Herzstück Fußball-Bundesliga geht, sagt er bescheiden: "Die Integrationskraft, die der Fußball als Volkssport Nummer eins in Deutschland hat, wird auch von all unseren Programmen ermöglicht, sieben Tage die Woche, in Radio und Fernsehen, auch in der Regionalberichterstattung – das ist schon ein großes Pfund." Er hofft, dass die Deutsche Fußballliga das genauso sieht.

Dabei ist Wilhelm ja nicht nur im ARD-Auftrag, sondern in erster Linie im Dienste des BR unterwegs. Hier hat der Intendant von Anfang an vieles anders gemacht als sein Vorgänger Thomas Gruber. Davon zeugt schon das Intendantenbüro. Während Gruber, der den großen Auftritt eher scheute, mit "rätselhafter Bescheidenheit" (Suddeutsche Zeitung) mit einem Büro im vierten Stock inklusive Blick zum Innenhof vorlieb nahm, ist Wilhelm wieder nach oben gezogen. Er teilt sich in der 15. Etage den Blick in die Weite mit Volker Herres – die ARD-Programmdirektion sitzt traditionell mit im BR-Hochhaus.

Der kurze Dienstweg passt, schließlich muss und will der BR, der unter Gruber fast nur noch aufs eigene Sendegebiet setzte, wieder stärker in der ARD präsent sein. Im fi ktionalen Bereich dürfte das ein Heimspiel werden, weil mit Bettina Reitz eine der profiliertesten TV-Frauen als Fernsehdirektorin zum Sender zurückkehrt. Doch Wilhelm dämpft lieber zu kühne Erwartungen: „Den Rahmen setzen immer die finanziellen Möglichkeiten." Schließlich kann der Sender mit dem 986-Millionen-Euro-Haushalt keine großen Sprünge machen, "nicht locker Zusätzliches anbieten", so der Hausherr. "Unsere Haushalte sind seit 2009 und absehbar bis 2014 eingefroren – bei steigenden Kosten. Da müssen wir auch immer wieder genau schauen, was wir uns leisten können."

Dafür setzt Wilhelm auch mit seiner zweiten Personalie Zeichen: Die Arbeitswissenschaftlerin Birgit Spanner-Ulmer ist neue Direktorin für Produktion und Technik – die erste im weiten Rund der ARD und gleich mit der Aufgabe bedacht, aus dem Sender auch technisch ein trimediales Medienhaus zu zimmern. Spricht man mit Wilhelm über diese Personalien, schwingt da schon ein bisschen Stolz mit. Aber er hat sich schnell wieder im Griff.

Zu seinem Abschied als Regierungssprecher hatte ihm die FAZ bescheinigt, Wilhelm scheine "zu jenen Menschen zu gehören, die keine persönlichen Gegner haben, die womöglich nicht einmal dazu in der Lage sind, Feindschaften gegen sich aufzubauen". Auch wenn die alten Zeiten einer in sich verkämpften ARD mit klaren Freund-Feind-Zuordnungen schon ein bisschen länger vorbei sind – von Nachteil ist das nicht. "Das Miteinander ist kollegial. Aber natürlich gibt es auch unterschiedliche Interessen", wird der BR-Chef noch mal besonders diplomatisch. Im Konsens-Tauziehen an der ARD-Spitze hat er Abstimmungen auch schon hoch verloren – wie in der Debatte über die Parallelübertragungen von den Hochzeiten gekrönter Häupter.

Der Satz hätte auch von Wilhelm sein können

In der ARD komme es heute weniger auf Freunde oder Feinde an, hat einmal der 2011 verstorbene SR-Intendant und ehemalige ARD-Vorsitzende Fritz Raff gesagt, sondern nur auf die konkreten Anliegen, für die man sich Verbündete zu organisieren habe. Der Satz hätte auch von Ulrich Wilhelm sein können. Er bringt einen entscheidenden Vorteil für die Suche nach Verbündeten mit: Aus seinen graublauen Augen blickt stets die nur ein ganz kleines bisschen verräterische Treue eines Mannes, der weiß, dass es sehr selten vorkommen dürfte, dass jemand zu ihm sagt: "Das kauf ich dir nicht ab."

(Artikel von Steffen Grimberg im Magazin "journalist" 3/2012)


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