Presse - Intendant


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Münchner Merkur "Verschärfung der Tonlage nutzt keinem"

Harte Worte wie "Staatspropaganda", "verschwenderischer Umgang mit dem Geld", das Schielen "auf Massengeschmack und Einschaltquoten" fielen zuletzt im Bayerischen Landtag. Und das nicht nur von der AfD, deren ablehnende Haltung gegenüber ARD und ZDF kein Geheimnis ist, sondern auch von FDP-Mann Helmut Markwort, der als Leiter des BR-"Sonntagsstammtischs" bis vor einem Jahr selbst in Diensten der ARD stand. Über diese Themen sprach der Münchner Merkur mit BR-Intendant Ulrich Wilhelm (57), der seit gut einem Jahr auch Vorsitzender der ARD ist. Das Interview erschien am 28. Februar 2019.

Stand: 04.03.2019

Viele unserer Leser äußern Kritik am neuen "Sonntagsstammtisch". Erreicht Sie diese Kritik auch?

Wilhelm: Jede Reaktion des Publikums wird bei uns sehr ernst genommen.

Hatten Sie vielleicht kein so glückliches Händchen bei der Auswahl der Neuen?

Wilhelm: Die verantwortliche Redaktion hat sich viele Gedanken gemacht, und die Zuschauerzahlen sind eindeutig positiv. Hier liegt das neue Team unverändert auf dem Niveau der letzten Jahre mit der alten Besetzung. Auf der anderen Seite gibt es wie bei jeder Veränderung immer Stimmen, die sagen, dass sie damit nicht einverstanden sind.

Kommen wir zum Rundfunkbeitrag. Rechtzeitig vor Beginn der nächsten Gebührenperiode im Jahr 2021 werden Rufe laut, den Beitrag anzuheben. Wie viel mehr darf es sein?

Wilhelm: Das ist ein gesetzlich klar geregeltes Verfahren. Alle vier Jahre melden ARD, ZDF und Deutschlandradio den Finanzbedarf für die dann folgenden vier Jahre an. Dieser wird akribisch geprüft von der KEF, der unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten. Die KEF legt dann eine eigene Empfehlung vor, über die in der Folge die 16 Landtage entscheiden müssen. Am Ende schließen alle Bundesländer einen Staatsvertrag, der die Höhe des Rundfunkbeitrags festsetzt. Die Sender können also den Bedarf weder selbst bestimmen noch den Beitrag gar selbst festlegen.

Sie betonen stets, dass Sie seit Jahren sparen – wieso muss es überhaupt mehr sein?

Wilhelm: Der Bayerische Rundfunk erhält seit Jahren keinen Ausgleich der Teuerung. Der Rundfunkbeitrag wurde seit 2009 nicht mehr erhöht, im Jahr 2015 sogar gesenkt. Zugleich sind zahlreiche Kosten, die wir nicht beeinflussen können, in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Film- und Musikrechte etwa sind teurer geworden. Hinzu kommen Tariferhöhungen bei uns und allen Unternehmen, deren Leistungen wir einkaufen. Unser Budget und unsere Personalstärke schrumpfen. Unter großen Anstrengungen haben wir dennoch beim Publikum zugelegt, mit mehr Marktanteilen im Radio, im BR Fernsehen und mit den neuen Angeboten BR24 und der Mediathek. Diesen Spagat kann man aber nicht viele Jahre durchhalten, das weiß jedes Unternehmen. Wir werben deshalb für einen Teuerungsausgleich, um schmerzliche Einschnitte im Programm vermeiden zu können.

Die Zeitungen haben weniger Leser, die Anzeigeneinnahmen gehen zurück – mit allen Konsequenzen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk will sich seine Verluste vom Beitragszahler erstatten lassen.

Wilhelm: Die solidarische Finanzierung durch alle Haushalte sichert unsere Unabhängigkeit und Angebote, die es am Markt sonst nicht gibt, wie zum Beispiel Bayern 2, B5 aktuell, BR Klassik oder BR Heimat. Wir gehen mit dem Geld unserer Beitragszahler sorgfältig um und werden vielfach kontrolliert. Wir expandieren nicht, wir bauen im Gegenteil Belegschaft ab. Der BR halbiert beispielsweise – in einem Zeitraum von zehn Jahren – die Zahl der Stellen in der Fernsehproduktion. Um was es uns geht, ist der Erhalt der programmlichen Gestaltungsmöglichkeiten. Es ist doch keine sinnvolle Entwicklung, wenn alle Anbieter von Qualitätsinhalten in unserem Land gleichzeitig in Schwierigkeiten geraten. Wären die Menschen nur auf die Sozialen Netzwerke angewiesen, wo Desinformation und Fake News florieren, wäre der Schaden für die Gesellschaft groß. Umso wichtiger ist es aus meiner Sicht, dass sowohl die Zeitungsverlage als auch der BR der Bevölkerung noch gute Angebote machen können.

In der Zeitungsbranche gibt es einen Konzentrationsprozess, Verlage schließen sich zusammen. Ähnliches lässt sich beim Rundfunk nicht beobachten. Da gibt es immer noch die gleiche Zahl an Landesrundfunkanstalten.

Wilhelm: Über diese Frage entscheiden nicht wir, sondern jedes Land für sich. Ob also zum Beispiel das Saarland eine eigene Rundfunkanstalt hat, entscheidet der dortige Landtag. Ebenso wird über die Zahl der Radio- und Fernsehprogramme vom Gesetzgeber entschieden. Was wir tun, ist durch noch stärkere Zusammenarbeit bei Verwaltung und Technik mittelfristig weiter Kosten zu senken. So haben wir die bislang eigenständige Mediathek Das Erste in die ARD-Mediathek eingegliedert. Bei den Verwaltungs- und Buchführungsstandards haben wir künftig nicht mehr neun unterschiedliche Systeme, sondern ARD-weit nur noch eines. Das sind nur zwei Beispiele.

Aber – wurde es dafür nicht auch Zeit?

Wilhelm: Der Föderalismus ist nicht die kostengünstigste Lösung, aber er gibt Deutschland Stabilität, und er passt auch viel besser zu unserer gewachsenen Vielfalt. Auch wir, ARD und ZDF, sind Kinder des deutschen Föderalismus, wir spiegeln die Kulturhoheit der Länder wider. Und jetzt stehen wir vor der Aufgabe, auf der Basis des geltenden Rechts und unter Bewahrung unserer inhaltlichen Vielfalt Spielräume zu finden, um Strukturen zu verschlanken.

Wir erleben eine wachsende Unzufriedenheit der Nutzer mit den Medien. Das betrifft die Zeitungen, aber auch die Öffentlich-Rechtlichen, denen man vorwirft, zu links geworden zu sein. Eine solche Unzufriedenheit hebt nicht die Zahlungsbereitschaft.

Wilhelm: Natürlich sehe ich auch, dass in nahezu allen Ländern Europas der gesellschaftliche Zusammenhalt schwindet und die Polarisierung wächst. In diesem Zusammenhang geraten viele Institutionen in die Kritik. Denn je unversöhnlicher sich die Lager gegenüberstehen, desto größer ist die Sehnsucht der jeweiligen Seite, die eigene Meinung bestätigt zu bekommen. Wir haben insgesamt ein vielfältiges Mediensystem, sind politisch unabhängig und spiegeln die gesamte Gesellschaft – das ist auch unsere Stärke. Die Bereitschaft der Menschen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu unterstützen, ist gerade hier in Bayern nach allen Erhebungen anhaltend hoch.

Sie glauben also nicht an die These vom Vertrauensverlust?

Wilhelm: Nicht in dieser Allgemeinheit. Viele Menschen verspüren eine gewisse Beunruhigung, sie schauen auf gespaltene Gesellschaften in Großbritannien, den USA, in Polen oder Italien. Das hat dort auch mit dem Verlust einer Mitte zu tun, einer den Zusammenhalt wahrenden Perspektive. Um Letzteres bemühen wir uns sehr. Und das erkennen viele Menschen an – dass es Qualitätsanbieter wie den "Münchner Merkur" oder den Bayerischen Rundfunk gibt, mit denen wir aufgewachsen sind, und die heute ein Gegengewicht bilden zu den häufig verbreiteten Lügen und Halbwahrheiten -- eben Medien, die sich ernsthaft bemühen, das ganze Bild zu zeigen.

Dennoch – es ist damit zu rechnen, dass es Länderparlamente geben wird im Osten, die dem Vorschlag der KEF nicht zustimmen werden. Was dann?

Wilhelm: Die Länder haben aus dem Verfassungsrecht die Verantwortung, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine sogenannte Bestands- und Entwicklungsgarantie zu gewähren. Ich habe Vertrauen in die Landtage, dass sie den Rundfunk gut in die Zukunft begleiten.

Aber der Wind hat sich gedreht. Wenn nur ein Landtag Nein sagt, ist die Erhöhung vom Tisch, oder?

Wilhelm: Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit, den Rundfunk im Rahmen der Verfassung immer wieder zu gestalten. Dass die Länder bislang ein qualitätvolles Angebot der Öffentlich-Rechtlichen ermöglicht haben, liegt doch auch daran, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung sich dieses Angebot weiter wünscht.

Wäre die Indexierung, also die automatische Anpassung des Beitrags an die Inflationsrate, eine Alternative? Dann würden Sie sich das Procedere der Gebührenberechnung und die damit verbundenen Diskussionen alle vier Jahre ersparen.

Wilhelm: Eine Indexierung kann ein möglicher Weg der Rundfunkfinanzierung sein. Es kommt auf die Ausgestaltung an. Aber wir haben der Politik keine Vorschriften zu machen. Wir machen das Programm, und der Gesetzgeber gestaltet den Auftrag, also, wie groß der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein soll. Dementsprechend muss aber auch eine adäquate Finanzierung sichergestellt sein.

Sie wünschen sich mehr Geld – da wäre es natürlich schön, wenn Sie ein entsprechend gutes Programm auf die Beine stellen. Im fiktionalen Bereich konkurrieren Sie neuerdings mit den Streamingdiensten, die eine hochwertige Produktion nach der anderen auf den Markt werfen. Wie begegnen Sie dieser Konkurrenz?

Wilhelm: Klar ist, dass der Markt Deutschland sehr interessant ist für Netflix, Amazon und die anderen großen Anbieter aus den USA, entsprechend wird um Marktanteile gekämpft und investiert. Für uns verbieten sich große Sprünge in Zeiten schrumpfender Budgets – leider. Was wir aber besser können als Netflix und die anderen großen Player ist, die regionale Vielfalt abzubilden, auch in der Fiktion. So haben wir uns etwa entschieden, unsere erfolgreiche Serie "Hindafing" fortzusetzen, ebenso wie "Servus Baby", die "Akte Lansing" kommt hinzu. Wir werden auch dem Genre der Dokumentationen treu bleiben, eine besondere Stärke des BR, beispielsweise mit 100 Jahre Bauhaus in Bayern, 150 Jahre Schloss Neuschwanstein, 150 Jahre Deutscher Alpenverein.

Der Alpenverein in allen Ehren – aber das klingt ein bisschen nach Kapitulation. Haben Sie sich von aufwendigen Mehrteilern verabschiedet?

Wilhelm: Ganz entschieden Nein. Neben den genannten Beispielen aus unserem Dritten Programm kommt "Oktoberfest", ein sehr schönes Projekt, ins Erste. Es geht um die Wiesn zur Zeit des 19. Jahrhunderts, das plant der BR zusammen mit der Degeto, dem WDR und dem MDR. Und als Teil der ARD werden wir die dritte Staffel von "Babylon Berlin" koproduzieren. Andere ehrgeizige Produktionen sind in Planung.

Zum Beispiel?

Wilhelm: Es ist noch zu früh, darüber zu reden.

Man hat den Eindruck, dass im Ersten zur Hauptsendezeit nur Krimis laufen. Sie haben bei unserem letzten Gespräch gesagt, dass Sie das ändern wollen, es hat sich aber nichts geändert.

Wilhelm: Im Vergleich zum ZDF sind im Ersten deutlich weniger Krimis zu sehen. In jedem Fall wollen wir als ARD eine größere Bandbreite bieten.

Wo haben Sie Krimis gestrichen?

Wilhelm: Was ich damals gesagt habe ist, dass ich mir insgesamt noch mehr Vielfalt bei den Genres wünsche, zum Beispiel Literaturverfilmungen, Wissenschaftssendungen, Thementage, Dokumentationen und dergleichen.

Sie sagten, Sie hätten zu akzeptieren, dass die Zahl der Sender politisch bestimmt ist – aber würden Sie sich wünschen, dass man weniger, dafür aber leistungsstarke Einheiten schafft?

Wilhelm: Das ist eine politische Frage, bei der ich mir keinen öffentlichen Ratschlag erlaube. Föderalismus wird der historisch gewachsenen Vielfalt in Deutschland besser gerecht. Wir spüren ja auch in Bayern den Wunsch nach stärkerer Beachtung der Regionen. Themen aus allen Landesteilen sollen Berücksichtigung finden. Deshalb sind wir gerade dabei, eine Reihe zusätzlicher Korrespondentenbüros einzurichten, indem wir Kollegen aus München in die Regionalstudios entsenden.

Wie schlecht muss es um das Selbstverständnis der ARD bestellt sein, dass man den Mitarbeitern einen 89 Seiten starken Leitfaden mit vorformulierten Begriffen an die Hand geben muss, um das eigene Unternehmen ins richtige Licht zu rücken – und die private Konkurrenz abzuwerten? Und ist ein solcher Leitfaden mit 120 000 Euro aus Gebührengeldern nicht sehr großzügig finanziert?

Wilhelm: Sie gehen von falschen Annahmen aus. Es handelt sich um eine Unterlage zur Verwendung in Workshops und nicht um eine verbindliche Kommunikationsstrategie oder gar um eine Handlungsanweisung. Die Initiative, hier auch die wissenschaftliche Sicht einzubringen, ist vor zwei Jahren unter dem ARD-Vorsitz des Mitteldeutschen Rundfunks entstanden. Die Aufregung um das Papier halte ich für völlig übertrieben. Persönlich verwende ich übrigens Formulierungen wie "Profitmedien" nicht, weil eine Verschärfung der Tonlage niemandem nutzt.

Das Gespräch führten Georg Anastasiadis, Stefanie Thyssen und Rudolf Ogiermann.


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