Presse - Intendant


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vbw "Revolution der Medien"

Intendant Ulrich Wilhelm im "vbw Unternehmermagazin" (4/2012) darüber, wie sich der Wandel der Medienlandschaft auf Gesellschaft und Politik auswirkt. Interview: Alexander Kain

Stand: 31.07.2012

Herr Wilhelm, in einem Jahr ist wieder Wahl. Hat nach Ihrer Auffassung der Wahlkampf schon begonnen?

Wilhelm: Ich denke, dass wir die erste Brise des aufziehenden Wahlkampfs schon spüren können. Wahlen sind Hochämter der Demokratie und eine Herausforderung für die Medien. 2013 ist ein  besonderes Jahr, da  Landtags- und Bundestagswahlen in einem engen Zeitfenster stattfinden. Der Bayerische Rundfunk  wird  in einer umfassenden, sachlichen, aber auch kritisch prüfenden Berichterstattung die Themen, Programme und Persönlichkeiten der Parteien vorstellen. Qualitätsmedien wie der BR tragen mit dazu bei, dass sich Bürger vor den Wahlen ein ausgewogenes Urteil bilden können. Immer wichtiger wird hierbei auch die Berichterstattung im Internet.

Die Nachrichtenwelt hat sich in den letzten Jahren rapide verändert.

Wilhelm: In der Tat. Der Nachrichtenfluss, die Analyse und Kommentierung haben sich durch das Internet stark beschleunigt. Parallel dazu hat sich die Tendenz verstärkt, dass Medien ihre publizistische Kraft in Zyklen auf nur wenige Themen konzentrieren. Sehr oft werden Themen so schnell wieder abgelegt, wie sie aufgegriffen wurden. Ein Hype verdrängt den anderen, ohne dass ein Thema bereits vollständig durchdrungen und aufbereitet wurde. Es mangelt an nachhaltiger Berichterstattung. Zum Qualitätsjournalismus gehört, Themen nach einer gewissen Zeitspanne wieder aufzurufen, nachzuhaken und Entwicklungen auch rückblickend zu beurteilen.  Auch bei der Berichterstattung vor Wahlen ist es die Aufgabe der Medien, diese nicht nur auf Wahlprogramme auszurichten, sondern  die unterschiedlichen Politikfelder auch rückblickend zu betrachten: Wie sehen die Bilanzen der Akteure aus?

Gestatten Sie die Frage: Wie politisch ist der Bayerische Rundfunk? Wie parteipolitisch?

Wilhelm: Politik braucht den öffentlichen Resonanzraum, den Medien wie der BR schaffen: Sie berichten über politische Entwicklungen, ordnen diese ein und kommentieren sie auch. Die Bürger können vor allem dank der Leistung der Qualitätsmedien politische Prozesse besser verstehen und aus unterschiedlichen Quellen ihre Meinung bilden.  Aber Medienmacher sind nicht selbst Politiker. Ein Journalist, der hier ein falsches Verständnis mitbringt, ist fehl am Platz. Die Medien, die sich ja auch wechselseitig kontrollieren und beobachten, würden dies thematisieren. Die Kontrollfunktion der Medien bezieht sich auch auf die Medien selbst. Nach meiner langjährigen Erfahrung kann sich ein Journalist, der sich in Wahrheit als Politiker versteht und eine eigene Agenda verfolgt, nicht halten. Wir dürfen uns weder vom Lob noch von der Kritik der Parteien leiten lassen, sondern einzig von journalistischen Maßstäben und unserem in der Verfassung verankerten  Programmauftrag als öffentlich-rechtlicher Sender.

Für die einen bleibt der BR der "Schwarzfunk", die CSU trauert unterdessen den alten Zeiten nach.

Wilhelm: (lacht) Sie können in der Tat Äußerungen aus der Politik für beide Thesen finden: "Schwarzfunk", "Rotfunk", was auch immer. Wichtig ist, dass sich unsere Redakteure und Reporter davon nicht beeindrucken lassen. Eine Schere im Kopf oder vorauseilender Gehorsam ist immer schlecht. Es geht einzig und alleine um den journalistischen Maßstab: Seriöse Recherche, Ausgewogenheit in der Darstellung unterschiedlicher Positionen – audiatur et altera pars, auch die Gegenseite hören.  Besonders wichtig ist auch die Trennung von Bericht und Kommentar.

Das journalistische Handwerkszeug weiß auch die Staatsregierung zu schätzen - und besetzt gerne manche Pressestelle aus dem Pool des BR. Ein BR-Moderator, Alex Dorow, sitzt sogar im Landtag. Haben Sie damit Probleme?

Wilhelm: Eine Demokratie ist ohne politische Betätigung ihrer Bürger, ohne Parlamentarismus nicht lebensfähig. Dass verschiedene Berufsgruppen mit ihren spezifischen Erfahrungswerten im Parlament repräsentiert sind, bereichert den politischen Diskurs. Im Bereich des Journalismus müssen aufgrund der notwendigen Unabhängigkeit der Berichterstattung besondere Regeln gelten: Während der Abgeordnetenzeit ist eine journalistische Betätigung beim BR ausgeschlossen.

Öffentlich-rechtliche Sender räumen den Parteien üblicherweise Sendezeit entsprechend der politischen Stärke bei den letzten Wahlen ein. Wie gehen Sie da mit dem Phänomen der Piraten um?

Wilhelm: Die Piraten sind in mehrere Parlamente eingezogen. Sie liegen nach den Umfragen auch bundesweit über fünf Prozent. Sie sind damit im bundespolitischen Kontext derzeit eine relevante politische Kraft, über die wir auch berichten. Die weitere Entwicklung der Piraten werden wir journalistisch aufbereiten. Das Aufkommen der Piraten korrespondiert stark mit der sich über das Internet verändernden Diskussionskultur und ist schon aus diesem Grund ein spannendes Phänomen unserer Zeit.

Sie sprachen zu Beginn von der Veränderung der Medienlandschaft. Wie dramatisch sind Ihrer Ansicht nach die Umwälzungen?

Wilhelm: Wir stehen mitten in einer Revolution der Medien. Das ist historisch gesehen ausgesprochen interessant: Immer, wenn ähnliches in der Vergangenheit passiert ist, hatte das starke Auswirkungen auf die Gesellschaft. Die Reformation und der Humanismus wären beispielweise ohne die Erfindung des Buchdrucks nicht möglich gewesen. Derzeit erleben wir einen gesellschaftlichen Wandel, der ausgeht von der Digitalisierung und der Möglichkeit, dass Millionen Menschen jenseits der klassischen Medien miteinander kommunizieren können. Die Folge ist, dass Bürger heute in einer Form politisch aktiv werden können, die bisher undenkbar war – denken Sie an neue Formen des Protests wie Shitstorms oder Organisationsformen wie Flashmobs. Menschen organisieren sich immer weniger in Volksparteien, sondern punktuell. Das verändert unsere Gesellschaft, unsere Politik und die Regeln der repräsentativen Demokratie. Hier entstehen neue Formen der Teilhabe am öffentlichen Diskurs – jenseits von Parlamenten und Medien. Die Entwicklung begleiten wir in der Berichterstattung, sie fordert uns aber auch als Medien-Unternehmen. Was Musikverlagen, Magazinen, Zeitungen und Filmwirtschaft passiert ist, ereilt auch die Rundfunkveranstalter: Die Digitalisierung erhöht rasant die Zahl der Nutzer von Onlinemedien. Traditionelle Verhaltensweisen ändern sich: Viele schalten die Tagesschau nicht mehr um 20 Uhr ein, sondern im Netz wenn sie Zeit haben. Wenn nationale oder internationale Ereignisse die Menschen aktuell bewegen, wollen sie live dabei sein. Denken Sie an den Arabischen Frühling: Journalisten vor Ort haben live gebloggt und Fotos ins Netz geladen. Diese Entwicklung gibt es nicht nur bei den Nachrichten, sondern auch bei der Unterhaltung: Die Menschen wollen nicht mehr warten, bis eine ausländische TV-Serie mit zwei Jahren Verzögerung synchronisiert bei uns läuft. Sie  schauen die Serie lieber sofort online und im Original.

Welche Folgen hat das für den BR?

Wilhelm: Wir reagieren auf die Entwicklung. Jeder Sender, der verharrt, läuft Gefahr, marginalisiert zu werden. Wo es früher drei Fernsehsender gab, sind es heute 300. Wo es beim Hörfunk ein paar Dutzend Sender gab, sind es mittlerweile sogar tausende. Wo früher eine Marke unverwüstlich stark war, weil man daran gar nicht vorbei konnte, gehen Anteile heute zurück. Wir müssen in dieser neu entstandenen, riesigen Angebotsfülle mehr denn je unsere Marke BR im Markt aktiv positionieren – und das bei einem eingefrorenen Etat. Es ist eine besondere Herausforderung, bei gleichbleibenden Finanzmitteln immer mehr Ausspielwege, mit steigenden technischen Anforderungen und gegen eine wachsende Zahl von Wettbewerbern zu bedienen. In der aktuellen Berichterstattung werden wir sicher auch in Zukunft eine starke Stellung haben. Das kann nicht ohne weiteres so einfach von dritter Seite ersetzt werden. Blogger und „citizen journalists“ werden allerdings interessante Zusatzangebote machen. Ebenso ist es bei der medialen Abbildung der unterschiedlichen Facetten Bayerns. Niemand hat ein so dichtes Korrespondentennetz wie der Bayerische Rundfunk. Bei unterhaltenden und fiktionalen Formaten hingegen wird die Konkurrenz zunehmend stärker werden.

Mehr Informationen, schnellere Informationen, zugleich ungefilterte Informationen – ist das wirklich ein Gewinn für unsere Gesellschaft?

Wilhelm: Eine Flut an Informationen führt beim Einzelnen in der Regel nicht dazu, dass er mehr Durchblick gewinnt. "Overnewsed and underinformed" lautet das Stichwort. Es gibt viele Einzelinformationen, aber das große Bild ist nur sehr mühevoll zusammenzusetzen.  Die Orientierung im immer breiter und schneller werdenden Informationsfluss fällt vielen zunehmend schwer.

Klüger wird die Gesellschaft dadurch also nicht?

Wilhelm: Vieles, was heute passiert, ist jenseits des Erfahrungshorizontes des Einzelnen. Er kann nicht mehr beurteilen, wie es mit dem Euro weitergeht oder mit der Energiewende – obwohl es jeden Tag neue Informationen gibt. Hier setzen die Qualitätsmedien ein, um Orientierung zu geben. Eine gewaltige Aufgabe, denn sie müssen die Beschleunigung der Informationen managen und sie entschleunigen, die Hintergründe und Zusammenhänge sichtbar machen. Die Aufgabe der Journalisten ist nicht mehr nur der Transport der Nachrichten – sondern  immer intensiver auch  Entwicklungen einzuordnen.

Wie reagiert der BR darauf?

Wilhelm: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss seine Rolle stärker definieren. In den Jahren der aufkommenden Konkurrenz der Privatsender hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk vielleicht zu sehr mit Quotenorientierung reagiert. Es gab einen Wettlauf um die Publikumsgunst. Heute ist die Situation eine andere: Wir wissen, dass der Wettbewerb weiter zunehmen und unübersichtlicher wird. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird seiner Rolle nach meiner Überzeugung am besten gerecht, wenn er den gesellschaftlichen Diskurs stützt und mündige Meinungs- und Willensbildung befördert.

Sie bauen zugleich den BR grundlegend um. Wann ist mit Ergebnissen zu rechnen – und welche Veränderungen sind denkbar?

Wilhelm: 50 Millionen Deutsche nutzen das Internet, die Hälfte davon hat ein eigenes Profil in einem sozialen Netzwerk. Der derzeit am schnellsten wachsende Zweig sind Smartphones. LTE-Technologie, flächendeckende W-LAN-Versorgung und immer erschwinglichere Tablet-PCs  werden einen immensen Schub auslösen.  Viele  werden zwar noch über Jahre Radio und Fernsehen nutzen wie bisher. Aber ein immer größerer Teil wird das in der digitalen Welt tun: "on demand", interaktiv und mobil. Wer Rundfunkbeiträge zahlt und neue Medienplattformen nutzt, sollte uns über diese auch empfangen können. Unser Ziel ist es, den BR in diesem Bereich noch breiter aufzustellen und auch die immer stärkere Konvergenz der Medien zu berücksichtigen. Parallel zur zusammenwachsenden Technik ist es sinnvoll auch journalistische Ressourcen und Kompetenzen stärker zu bündeln. In vielen Bereichen des BR arbeiten Redaktionen von Hörfunk, Fernsehen und Online noch getrennt. Hier wollen wir Synergien erreichen. Hierzu haben wir im Herbst einen intensiven Diskussionsprozess ausgelöst – von unten nach oben. Tausend Kollegen haben sich direkt eingebracht. Ende September befasst sich die Geschäftsleitung in einer Klausur intensiv mit den Vorschlägen der Mitarbeiter. Wo es Sinn macht, wollen wir bislang getrennte journalistische Bereiche in neue Einheiten überführen. Um diese Synergien herzustellen, müssen auch Gebäude verändert werden. Der Anpassungsprozess ist deshalb auf mehrere Jahre angelegt.

Die Internetinhalte des BR sind auch heute nicht kostenlos – sie werden mit Gebührengeldern bezahlt. Denken Sie auch darüber nach, bezahlpflichtige Inhalte anzubieten? Etwa für Smartphones?

Wilhelm: Im geltenden Rundfunkstaatsvertrag ist geregelt, dass wir zur Erfüllung unseres öffentlich-rechtlichen Auftrages nichts extra verlangen können. Jenseits des Auftrages, etwa bei den On-Demand-Angeboten von "Germany’s Gold" wäre dies jedoch möglich, ebenso wie die Finanzierung über Werbung. Jede Überlegung in Richtung zusätzlicher Entgelte ist zu hinterfragen, nicht nur juristisch, sondern auch vor dem Hintergrund ihrer Akzeptanz. Da der Medienmarkt im Umbruch ist und Bezahlinhalte sukzessive eine höhere Akzeptanz erfahren, bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber die geltenden Regelungen in den nächsten Jahren überprüft.

Zum Abschluss bitte noch ein wenig Öl ins Feuer: Warum braucht München noch einen Konzertsaal für das BR-Symphonieorchester?

Wilhelm: Der Großraum München ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gewachsen, um mehrere 100.000 Einwohner – ohne dass die Konzertsaal-Infrastruktur daran angepasst worden wäre. Die letzten Investitionen in Akustik und Bühnentechnik  in Prinzregententheater und Gasteig stammen aus den 90-er Jahren. Aber um es klar zu sagen: Wir verstehen uns nicht als Münchner Orchester – das Symphonieorchester gastiert überall in ganz Bayern, und alle Konzerte werden landesweit übertragen. Damit könnten alle Hörer teilhaben an der besseren Akustik eines neuen Saals. Denn die Akustik im Gasteig ist nicht auf Weltniveau, wie uns Dirigenten, Solisten, Orchester, Musikkritiker unisono sagen. Dass eine Stadt mit einer einmaligen Musiktradition wie München keinen wirklich exzellenten Konzertsaal hat, ist nicht befriedigend. Ein Kulturstaat wie Bayern braucht eine weltweit anerkannte Spielstätte. Das BR-Symphonieorchester ist im übrigen das einzige Weltorchester ohne eigene Heimstätte.


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