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Süddeutsche Zeitung BR-Intendant Wilhelm "Das Fernsehen stirbt nicht"

Ulrich Wilhelm beginnt an diesem Montag seine zweite Amtszeit als Intendant des Bayerischen Rundfunks. Ein Gespräch über das Sparen im Stakkato und den Wert von klassischer Musik. Das Interview führte Claudia Tieschky in der Süddeutschen Zeitung.

Stand: 20.02.2016

Ulrich Wilhelm | Bild: BR

Süddeutsche Zeitung vom 31.01.2016

Als Ulrich Wilhelm im Mai 2010 zum Intendanten des Bayerischen Rundfunks gewählt wurde, gab es zwei konträre Meinungen. Die einen fanden es unmöglich, dass ein Mann, der gerade noch Regierungssprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel gewesen war und auch noch CSU-Mitglied ist, nun einen der größten ARD-Sender führen sollte. Die anderen fanden genau das eine gute Idee, weil sie Wilhelm im Merkel-Job als kompetenten Vermittler schätzten. Nur eines haben vielleicht weder die einen noch die anderen gedacht: dass der so oft lächelnde blonde Mann ein ganz normaler Intendant werden würde. Allerdings einer, der den guten alten BR in den größten Umbruch seit Gründung führt. Am 1. Februar beginnt die zweite Amtszeit des heute 54-Jährigen.

Herr Wilhelm, Ihre Fernsehdirektorin Bettina Reitz verließ im Herbst den BR. Sie habe sich bei dem Sparzwang wie die Sterbebegleiterin des klassischen Fernsehens gefühlt, sagte sie. Hat Sie das getroffen?

Ein Gefühl bringt keine Lösung, ich betrachte die Dinge nüchtern und sachorientiert. Man kann es beklagen und es ungerecht finden, dass wir wachsende Aufgaben bei sinkenden Mitteln erfüllen müssen, aber wir haben von der Gesellschaft einen Auftrag und den wollen wir mit Leidenschaft erfüllen. Ich blicke lieber mit Optimismus in die Zukunft, weil die digitale Medienwelt neben Herausforderungen auch viele Chancen bietet und der BR ein großartiges Potenzial hat.

Ist da nicht doch etwas dran, dass das Fernsehen kaputtgespart wird?

Eindeutig nein. Die Aussage bleibt hinter der eigentlichen Dimension des Problems zurück: Das Fernsehen stirbt nicht, es wird ebenso wie der Hörfunk durch den digitalen Wandel nur anders. Unsere Herausforderung besteht darin, diese Medienrevolution zu bewältigen - und das, obwohl unsere Budgets schrumpfen und wir seit Jahren nicht einmal den Inflationsausgleich erhalten. Die immer wieder zitierten Mehreinnahmen stehen den Rundfunkanstalten ja nicht zur Verfügung, sondern müssen auf einem Sonderkonto zurückgelegt werden. Daher muss der Bayerische Rundfunk insgesamt kleiner werden - als Folge der politischen Einsparvorgaben. An den Programmen sparen wir aber generell weniger als an Verwaltung und Technik. Unsere Klangkörper sind in diesem Jahr sogar ganz ausgenommen, sie sind ein Kulturgut höchsten Ranges.

Trotzdem ist der Einwand nicht so leicht vom Tisch zu weisen. Sie führen im Frühjahr ein neues Programmschema ein. Ursprünglich, um jüngere Zuschauer für den BR zu gewinnen. Mitten in der Entwicklung kam heraus dass in diesem Jahr 22 Millionen Euro gespart werden müssen. Dass es nun eine Reform ist, die das Fernsehen einfach billiger machen soll, werden Sie nicht bestreiten.

Da kommen zwei Dinge zusammen, die ursächlich nichts miteinander zu tun haben: Mit einem Altersdurchschnitt von 66 Jahren ist das Bayerische Fernsehen das älteste Fernsehprogramm Deutschlands und erreicht große Teile der Bevölkerung nicht mehr. Wir müssen dringend handeln. Das andere ist, dass wir für all unsere Aktivitäten durch politische Vorgaben weniger Geld zur Verfügung haben und sparen müssen. Die Herausforderung besteht nun darin, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen.

Nun will die Kommission KEF, die den Finanzbedarf der Sender prüft, offenbar vorschlagen, die Haushaltsabgabe weiter zu senken. Damit würden die Finanzwünsche der ARD beschnitten.

Was uns heute zu schaffen macht, ist das Stakkato von immer neuen Kürzungen und Sparzwängen. Da ist es sehr schwierig, eine lange Linie zu entwickeln. Eine solche lange Linie müsste sogar im Interesse der Politik liegen - schließlich ist es Aufgabe des Rundfunks, für die Gesellschaft relevant und dabei gleichzeitig reformfähig und beweglich zu bleiben.

Interessant, wie könnte das aussehen?

Wir leben zwischen den KEF-Berichten immer nur in Zeiträumen von zwei Jahren. Was wir brauchen, ist ein neuer strategischer Ansatz: KEF und Länder müssten eine Periode von zehn bis zwölf Jahren in den Blick nehmen. Für diesen Zeitraum würden sie gemeinsam mit den Anstalten Ziele für Strukturreformen des Rundfunks, aber auch Spielräume für nötige digitale Innovationen festlegen. Diese Aufgabe müssen wir zusammen denken. Wir brauchen eine Innovationsreserve, die wir selbst durch Reformen erwirtschaften, um die Veränderungen am Medienmarkt zu stemmen. Wenn wir nur sparen müssen, werden wir durch den dramatischen Medienwandel marginalisiert. Das wäre der Abschied vom Bild des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie es im Grundgesetz verankert ist.

Der Spardruck hat jetzt auch zur Folge, dass der BR weniger neu produziert. Sie übernehmen mehr Sendungen von anderen ARD-Anstalten und bringen mehr Wiederholungen. Das machen alle Dritten so. Würden Sie zustimmen, dass es bei der Zahl der Dritten Programme letztlich darum geht, zu welchen Paketen man die weiter schrumpfenden regionalen Programmproduktionen schnürt?

Meines Erachtens müsste die Politik die Grundentscheidung treffen: Wollen wir Rundfunkanstalten, die die Lebenswelten in den verschiedenen Ländern abbilden und anspruchsvolle Informationen, Bildung und Unterhaltung bieten, oder wollen wir einen langsamen Niedergang mit immer mehr Wiederholungen und weniger Vielfalt? Ersteres wäre mit einem fairen Inflationsausgleich zu haben. Alle Anstalten sind zu Reformen bereit.

Sie wollen eine Grundsatzentscheidung?

Ich würde mir wünschen, dass - wie über andere große Zukunftsthemen unseres Landes - eine intensive Debatte geführt wird. Medienpolitik ist ebenso gesellschaftsrelevant wie Bildung oder Energiepolitik.

Irgendwie scheint der Reiz der Medienpolitik sich für Politiker erschöpft zu haben. Warum? Es kann ja nicht nur daran liegen, dass es Leo Kirch nicht mehr gibt.

Viele Politiker beklagen bestimmte Fehlentwicklungen im Journalismus: Die Schnelllebigkeit, die dichte Taktung der Hypes, die oft mangelnde Nachhaltigkeit von Recherche und Themenaufbereitung. Sich deshalb aber von der Gestaltungsaufgabe der Rundfunkpolitik genervt abzuwenden, wäre fatal.

Tempo und Geschwindigkeit waren immer Schlüsselwerte im Journalismus. Ist diese Klage der Politik nicht auch Wehleidigkeit?

Das ist mir zu hart.

Oder sagen wir, eine Sehnsucht nach Bonner Zeiten?

Ja, bei manchen vielleicht. Aber aus vielen Gesprächen weiß ich, dass gerade die ernsthaften Sachpolitiker es als stark unbefriedigend empfinden, dass sie in dieser Schnelllebigkeit der Medienwelt über unfertige Zwischenstände schon Erklärungen abgeben müssen mit einer Überzeugtheit, als sei die Lösung schon definitiv. Medien müssen ihre Mechanismen auch mal selbstkritisch hinterfragen. Es ist kein Gesichtsverlust, wenn ein Handelnder den Mut hat zu sagen: "Wir wissen das noch nicht."

In Ihrem Rundfunkrat sitzen auch viele Politiker. Die waren teilweise regelrecht schockiert über die Höhe der nötigen Einsparungen. Hat die Deckungslücke mit Investitionen in das trimediale Konzept BR hoch drei zu tun?

Nein. Der BR liegt bei der Investitionsquote und übrigens auch bei den Personalkosten unter dem ARD-Durchschnitt. Die Ausgaben für "BR hoch drei" und die Tilgungen für den Neubau in Freimann kommen erst in einigen Jahren. Mit den Einsparungen haben diese überhaupt nichts zu tun. Für die Finanzierung des Neubaus hat der BR das aktuell günstige Zinsumfeld genutzt und eine Schuldverschreibung gezeichnet.

In welcher Höhe?

Wir reden von 200 Millionen Euro, die wir bis zu 30 Jahre abfinanzieren, mit Jahresraten, die wir gut verkraften können.

In ein paar Jahren müssen Sie trotzdem die Kosten Ihres neuen Sendezentrums abtragen, das nährt den Sparzwang weiter.

Wie gesagt, der Neubau allein löst keine neuen Sparrunden aus. Er ist langfristig in unseren Planungen kalkuliert und finanziert. Sie müssen auch gegenrechnen, dass wir uns viele Millionen Sanierungskosten für die vorhandenen Gebäude sparen und zudem einen trimedialen Campus in Freimann gewinnen. Vielleicht ist einmal Gelegenheit, kurz zu erläutern, was die trimediale Neuausrichtung überhaupt bezweckt.

Gerne.

Immer mehr Beitragszahler nutzen Hörfunk- und Fernsehangebote nicht mehr klassisch, sondern über das mobile Internet oder über Suchmaschinen und Empfehlungen in sozialen Netzwerken. Für diesen wachsenden Teil des Publikums müssen wir auch digitale Angebote entwickeln, ohne unsere angestammten Angebote zu vernachlässigen. Dieses können wir viel besser leisten, wenn wir uns nicht mehr wie bisher nach getrennten Verbreitungswegen, sondern nach Inhalten aufstellen: Fernsehen, Hörfunk, Online an einem Ort, mit starken Fachredaktionen. Das ermöglicht mehr journalistischen Tiefgang, neue Inhalte und effizienteres Arbeiten. Erste Erfolge dieser Strategie sind etwa unser neues Klassikportal br-klassik.de und die Nachrichten-App "BR 24". Diese erreicht ein neues an Politik interessiertes Publikum - übrigens mit einem Altersdurchschnitt von 45 Jahren, 20 Jahre unter dem des Rundschau-Publikums.

Sie begeben sich mit dieser App aber erneut in eine Konkurrenz, die eigentlich schon abgerüstet war, in die mit den Verlegern, die nun gegen BR24 klagen.

Hier geht es um die Frage, ob unsere News-App presseähnliche Inhalte verbreitet, oder nicht. Die Klage der Verleger bezieht sich auf den Stichtag 29. September 2015, eine Woche nach dem Start von BR24. Die App hat sich seither weiterentwickelt, in Richtung noch mehr Video und Audio. Die Rechtslage ist aus unserer Sicht klar, wir glauben, dass die App zulässig ist.

Darüber kann man anderer Ansicht sein.

Darüber wird das Gericht entscheiden. Unabhängig von der Klage vertraue ich darauf, dass wir von Konfrontation zu Kooperation kommen. Ich bin überzeugt, Verleger und Rundfunk haben als Anbieter von qualitativ hochwertigen Inhalten gemeinsame Interessen und brauchen einander .

Was hat Sie dazu getrieben, sich öffentlich mit der CSU anzulegen und auf dem Neubau eines Konzertsaals zu beharren, aber die klassische Musik auf Ihrem Sender 2018 von UKW ins Digitale zu verbannen?

Der BR hat unter meiner Amtszeit die ohnehin schon hohen Investitionen in die Klassik noch einmal ausgeweitet. Wir haben unseren fantastischen Chor, das Symphonieorchester von Weltruf und das wunderbare Rundfunkorchester. Ihre Prämisse stimmt also nicht. Was den neuen Konzertsaal angeht, freue ich mich über die klare Standortentscheidung der Staatsregierung. Wir wollen ein noch breiteres Publikum an klassische Musik heranführen. Der künftige Frequenztausch von BR-Klassik und PULS hat einen ganz anderen Hintergrund.

Selbst wenn Sie gesetzlich auf fünf UKW-Programme beschränkt sind - warum lassen Sie dann nicht BR Klassik auf UKW, holen das Jugendangebot PULS dazu und verzichten dafür auf eines der Mainstream-Angebote für B1 und B3?

Die Programme Bayern 1 und 3 unterscheiden sich deutlich, haben verschiedene journalistische Schwerpunkte, eine unterschiedliche Ansprache und sind, jedes für sich, tief in der Hörerschaft verankert.

Für irgendetwas muss man sich entscheiden. Dass man die Klassik von UKW nimmt, ist auch eine Entscheidung.

Unsere Überlegung und auch die Mehrheitsmeinung im Rundfunkrat war, dass es leichter gelingt, die Klassikgemeinde ins Digitale zu überführen als die jungen Leute über DAB+ an PULS heranzubringen. Gerade für die Klassik bietet DAB+ eine rauschfreie, hervorragende Klangqualität, dazu viele multimediale Zusatzinfos. Gleichzeitig ist das digitale Antennenradio heute kein Randthema mehr, die Leute kennen es, viele haben schon Geräte zu Hause, es gibt Nachrüstlösungen für alle Geräte, auch fürs Auto. Und bis Ende dieses Jahres werden wir eine technische Abdeckung erreicht haben, mit der rein zahlenmäßig mehr Hörer in Bayern BR-Klassik über DAB+ empfangen können als über UKW. Ich bin ein leidenschaftlicher Klassik-Fan und kenne viele Künstler in der Klassik-Welt persönlich gut. Trotzdem kann ich nicht einfach sagen, mir ist der eine Bereich im Haus wichtiger als der andere. Wir werden den Klassikhörern aber sicher nicht die kalte Schulter zeigen.


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